Chastity – Death Lust Cuts
Brandon Williams ist mit dem Chastity-Debüt eines der stärksten Alben des vergangenen Jahrganges gelungen – nicht nur in der hiesigen Endabrechnung kletterte das Konzeptwerk Death Lust selbstverständlich bis in die Top Ten.
Trotzdem war der Mann aus Whitby, Ontario mit der Erscheinungsform der Platte unzufrieden. Was sich vor knapp neun Monaten bereits in einer anderen Trackreihung auf Bandcamp ausdrückte, wird nun noch einmal konkreter von Williams angesprochen: „We started recording Death Lust on April 1 2017, around 2 years ago today. it’s a concept album, and songs ended up getting cut by the label, severing the recording from its vision. on april 17th Death Lust Cuts will be posted online as an EP and include 4 songs, and for the first time the original Death Lust will be complete.“
Die ursprüngliche Studioplatte würde sich durch die nun nachgereichten 12 Minuten der EP ergänzt übrigens nicht unbedingt per se kompletter anfühlen, als sie es in ihrem unbändigen Vermengen unterschiedlichster Stile und Stimmungen ohnedies bereits tat. Viel eher funktioniert Death Lust Cuts hingegen (inhaltlich als gefühlter Epilog zum Konzeptwerk) auf sich alleine gestellt rundum überzeugend, hat im isolierten Kontext einen fein balancierten Spannungsbogen zu bieten und hält auch das Niveau der Nummern vom großen Albumbruder trotz des einen oder anderen Schönheitsfehlers mindestens mühelos. Mcit im Kern ruhigeren, verträumteren Kompositionen mit Hang zum noisigen Verstärker.
Das dängelnde Trepidation ist als am tranceartigen Shoegaze sinnierendes Gitarrengeplänkel samt latenten 90er Grunge-Flair, ohne Konturen und so strukturoffen ausgelegt wohl eine unkonventionelle Wahl als Single, in seiner stillen Sehnsucht und Verzweiflung aber ein umso eindringlicherer Opener: „Burn a little hole in my soul“ singt Williams, und die selbstkasteiende Wirkung von Chastity zieht in Kombination mit dem Gespür für entwaffnende Melodien und knackige Hooks wieder unmittelbar in den abgründigen Bann, beeindruckt einmal mehr mit seiner präzise akzentuierten Effektivität. Lash Out holt auch erst vor dem Chorus die Rhytmussektion dazu, nützt diese aber, um antauchende und stoppende Spannung zum catchy Ohrwurm aufzubauen, auch wenn der finale enthusiastisch packende Ausbruch nicht erzwungen wird.
Danach fährt Williams die schwersten Geschütze auf – und dennoch läuft Death Lust Cuts in seiner zweiten Hälfte allerdings auch Gefahr zu ernüchtern. Immerhin kennt man das folgende Material bereits: es sind überarbeitete Version (in getauschter Track-Reihenfolge) der Peroxide-Single von 2017. Ein ambivalentes Recycling.
Die (wieder an sich eine nachdenkliche Gitarren-Intimität, die zum dramatischen Bomben-Refrain mit Hang zur bratzenden Midtempo-Heavyness aufmacht und dort als potenzieller Hit drückt) wird produktionstechnisch an den Albumsound angepasst, der Gesang weniger klar nach hinten gestellt, die Atmosphäre verdunkelt. Williams adaptiert Die From My Mind, so wie er schon vergangenes Jahr You‘re Scary Now inszenatorisch modifizierte – und bringt den grundlegenden Song dadurch weiter.
Das abschließende Peroxide präsentiert sich weniger eindeutig gewachsen. Sicher, der Song ist sowieso immer schon eines der schönsten Stücke im Chastity-Repertoire gewesen – und bleibt es auch in seiner neuen Form.
In der sitzt Williams (nun weniger verwaschen intonierend aufgenommen) vor Melancholie verglühend am traurigen (aber subtiler gespielten) Klavier, holt langsam das melodramatisch anschwellende Orchester, das genügsamer ausgestattet wird: Alleine der weit ausholende Appendix der ursprünglichen Version fehlt nun, der noch ergiebiger im Streichermeer schwelgen durfte. Auch fehlt dem ohne erkennbaren Grund kompakter (aber auch fokussierter die Essenz erfassend) ausgelegten Song nun die unwirklich-distanzlose Unsauberkeit des Originals. Ein bisschen weniger eng gehaltenes Auftreten hätte dabei gerade in Verbindung zum Rahmen mit Trepidation sehr stimmig gepasst, doch sei es drum.
Zurück bleibt anhand vierer hochklassiger Songs viel mehr die Bestätigung, es hier tatsächlich mit einer der stärksten Newcomerbands zu tun zu haben, als ein latent unbefriedigendes Gefühl. Gerade Fans werden einen Gutteil der leider nur digital veröffentlichten EP zwar bereits (wahlweise sogar in besser) kennen, doch durch die Modifikationen im Auftreten ist so oder so ein fesselnder Mehrwert gegeben. Insofern kommen vielleicht besonders diejenigen nicht um Cuts herum, die Chastity bisher nur über Death Lust kannten – verpassen sollte aber grundsätzlich kein Genre-Freund dieses kurze Sahnestück. Wir sehen uns jedenfalls in der Endabrechnung 2019 wieder.
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