Celeste – Infidèle(s)
Ob die Menschenfeind-Ästheten Celeste mit dem gewohnt bitterbösen Infidèle(s) tatsächlich ihr bisher abwechslungsreichstes Werk aufgenommen haben, darüber darf man ebenso diskutieren, wie über die Frage, ob die Franzosen auf ihrem fünften Studioalbum nicht vielleicht sogar eher grundsätzlich noch aggressiver als bisher klingen.
Ersteren Punkt bringen Celeste selbst ins Gespräch („Thus their new album is by far their most diversified to date, showcasing ever richer melodies.„), machen eine Verifizierung durch eigentlich doch variabler auftretende Alben wie Morte(s) Nee(s) oder Animale(s) im Rückspiegel allerdings schwierig. Der zweite Diskussionspunkt drängt sich dagegen unwillkürlich auf, wenn etwa Comme des amants en reflet metallisch nach vorne tackert und seine Eingeweide über einem reißenden Höllenschlund auskotzt, À la gloire du néant sich wie von der Tarantel gestochen in die Eleganz über dem Standard kloppt, das knackige De l’ivresse au dégoût praktisch vor lauter Hetzerei dem Wahnsinn zu verfallen scheint, oder Sombres sont tes déboires als mathematischer, chaotisch-hirnwütiger Schub irgendwo in die vagen Schattenzonen zwischen Gojira und Meshuggah bolzt, nur um zu manischen Stakkatoschüben auszubluten und die Band den Kadaver schließlich durch eine beklemmende Instrumental-Landschaft von stoischer Hypnotik peitscht.
Letztendlich führen beiden Überlegungen übrigens ohnedies nur zu einem weitaus größeren Rätsel: Wie kann es Celeste gelingen, auch nach 12 Jahren und viereinhalb Alben – die praktisch allesamt die selbe, nur schwer zu determinierende Nische aus stoischen Black Metal-Versatzstücken, bastadisiertem Post-Hardcore-Ingredienzen und hasserfüllt in die Breite zersetzten Doom-Elementen zwischen Amenra, Plebeian Grandstand und Downfall of Gaia bearbeiten – immer noch derart mühelos zu fesseln und trotz einer gewissen vorhersehbaren Formelhaftigkeit im Anrühren der tonalen Finsternis praktisch nichts von ihrer faszinierend abgründigen Anziehungskraft verloren zu haben?
Die Antworten darauf darf ein Schulterzucken sein, das dem Weg der roten Stirnlampen hinab in die Untiefen von Celeste ein weiteres Mal ansatzlos folgt. Schraubt doch auch Infidèle(s) hinter seinem gewohnt famosen Artwork (Marta Bevacqua) mit einer verstörend brutalen Atmosphäre und einer sich selbst zerfleischenden Stimmung aus Verzweiflung und Aggressivität seine Vorzüge wie rostige Schrauben unter die Fingernägel: „Celeste still are, and will always be the masters of black. Like no others they understand its various shades, its warmth and its coldness, its exclusiveness and immersiveness, its monstrosity and its beauty.“ erklärt die Band fängt die Aura ihrer ersten Platte seit knapp vier Jahren damit adäquat ein, lässt dabei aber außen vor, dass sich das Songwriting abermals um Nuancen verschoben hat. Der Crust schmiegt sich näher an Blackened Hardcore-Gefilde, das sludgy-dissonante Riffing ist ein klein wenig griffiger ausgefallen.
Was auf dem 2013er-Opus Magnum Animale(s) bis zur Erschöpfung in die Breite getrieben wurde, soll nun auch im Detail funktionieren. Infidèle(s) arbeitet insofern tatsächlich kompakter und fokussierter, ist darüber hinaus vielleicht sogar das bisher kurzweiligste Album der Band geworden, deren auslaugende Konsequenz man im ersten Moment (und ohne die nötige Aufmerksamkeit) einmal mehr durchaus als brütende Monotonie missverstehen kann. Das Schlagzeug tackert da schließlich gewohntermaßen wie von Sinnen, die flächigen Gitarren dräuen darüber apokalypisch aufgefächert, Brüllwürfel Johan geifert sich inmitten des Mahlstroms mit giftigem Nihilismus aus und blutender Kehle aus – sicher, man kennt den MO der Kombo längst.
Allerdings richtet das mysteriös-bedrohliche Quartett aus Lyon das Augenmerkt diesmal auf Details, löst sich gar von einem übergeordneten Konzept, jeder Song steht primär für sich selbst: „Celeste have gone a long way from their relentless first albums where you could barely notice when a song finished and the next one started. Here we are facing 10 different absolute entities, each with its own character and emotion.“ – und doch wurden sie alle aus dem selben destruktiven Negativismus geboren.
Cette chute brutale föhnt erst, wie die Deftones seinerzeit ihren Husarenritt When Girls Telephone Boys malträtierten, reißt sein Steuer mit einer verstörenden Ruhe umher, ist psychotisch rasend und unhastig überlegend zugleich. Tes amours noirs illusoires rattert mit energischen Blastbeats und legt darüber eine Wall of Sound wie einen majestätisch ausgebreiteten Nebel, fließend wie ein Strom, der Deathspell Omega mit weitläufigem Postrock verbindet.
Entre deux vagues exerziert dagegen die Hochgeschwindigkeits-Zerstörungswut der Band mit besonders böser Misanthropie, weil die angedeuteten Momente der Einkehr sich plötzlich als Eintritt in eine unberechenbare Folterkammer entpuppen, während Sans coeur et sans corps die Grenzen der Erträglichkeit der bitteren Medizin von Infidèle(s) hinten raus endgültig mit überspannendem Bogen ausreizt: In ihrem Komfortbereich lassen Celeste kein Wohlgefühl zu, höchstens wenige Momente der erstickenden Hoffnung.
Sotte, sans devenir repetiert seine drangsalierenden Spannungen etwa zu einen hoffnungslosen Schwermut, die hinter der unermüdlich treibenden Freudlosigkeit wächst, bevor ausgerechnet das klaustrophobisch mahlende, geduldig schwelgende Instrumental (I) ein klein wenig Luft zum Atmen im drückend dichten Fluss der Platte zulässt.
Nichtsdestotrotz ist schließlich auch Infidèle(s) als Gesamtes freilich wieder unfassbar kohesiv verschweißt, rührt eine stockdunkle Strenge in der rohe Melange aus präzisen Linien und in der hypnotisierenden Dichte der verschwimmenden Konturen an. Womit die Franzosen in Summe trotz aller minimaler Adaptionen im Sound mehr als alles andere wieder puren, typischen Celeste-Terror pflegen, den so aber eben auch einfach keine andere Band da draußen hinbekommt.
Am Ende von Infidèle(s) steht deswegen eine regelrecht profane Erkenntnis: Dachte man, dass Celeste ihr ureigenes Hoheitsgebiet mit Animale(s) endgültig bis zur Erschöpfung durchdekliniert hätten und sich ohne gravierende zusätzliche Impulse zukünftig doch merkbare Abnützungserscheinungen einstellen müssten, scheinen die peinigenden Kuren der Franzosen offenbar auch alleine mittels mikroskopischer Feinjustierungen ein unersättlich wirkendes Suchtpotential nach der puren, rauschhaften Schwärze des Metal zu destillieren.
Dass die Pausen zwischen Veröffentlichungen – die immer wieder wie schmerzhafte Obsessionen und niemals wie verpflichtende Routine klingen – dabei immer länger werden, spielt der Wirkungsintensität des seit jeher formvollendeten Gesamtkunstwerks Celeste mutmaßlich zusätzlich in die Karten.
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1 Trackback
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bf - 12. Oktober 2017
tolle kritik und ja – es ist beängstigend wie gut das neue CELESTE album ist! über jede kritik erhaben saugt es den zuhörer in einen mahlstrom aus geformten chaos, mit zarten dissonanz melodien die immer wieder kurz erglühen um schnell hinaus ins nichts mitgerissen zu werden, wie aus einer wundervoll leuchtenden roten sonne eines jet-triebwerks. es ist musik wie sie schon immer verstanden worden ist, als ein zustand jenseits der technischen mittel die sie erschaffen. Ave CELESTE!