Cave In – Heavy Pendulum
Cave In machen weiter – und das mit erschlagender Ansage: Heavy Pendulum ist als Beginn einer neuen Zeitrechnung in der Bandgeschichte ein monumentaler, 71 minütiger Koloss mit Opus Magnum-Ansprüchen geworden.
Dass man sich um die Zukunft von Cave In nach dem Ableben von Caleb Scofield keine Sorgen machen müsste, war durch die 2019er Tour der neuen Bandinkarnation mit Converge-Bassist Nate Newton längst klar – außerdem waren da ja auch noch die gelungenen Coversongs von Every Time I Die, Townes Van Zandt oder den Stones. Wie – in wirklich jeder Hinsicht – groß, ja auch per se absolut! – der Restart von Stephen Brodsky, John-Robert Conners und Adam McGrath mit Heavy Pendulum nun aber tatsächlich geworden ist, das konnte man dann in dieser Form nicht vorhersehen.
Gemeinsam mit Produzent Kurt Ballou, dessen monströser Sound bekanntlich nicht jeder Band guttut, der hier aber als kongenialer Katalysator agiert, hat das stilistische Chamäleon Cave In auf seinem siebenten Studioalbum die Parameter mit monströser Kraft und so angespannten wie sehnigen und transparenten God City-Muskeln weit in den Sludge verschoben.
Heavy Pendulum ist in einem dynamischen Sog mit genügend Variablen im Schwung tatsächlich eine so heavy Abrissbirne, wie es der Titel suggeriert, walzt mit einer gigantische Attitüde und düsteren Grundstimmung, in der gerade Newton darüber hinauswächst, ein reiner Erbverwalter von Scofield zu sein. Tatsächlich trieft der Einfluss des 46 jährigen in der Symbiose mit klassischen Cave In-Trademarks aus allen Poren, wenn so viele Szenen ein Ventil für Impulse der seit bald einem Jahrzehnt brach liegenden Doomriders sein könnten.
Und dieser Ansatz, so pietätlos das auch klingen mag, wirkt wie eine ambitionierte Frischzellenkur für das Bandgefüge, das merklich hungrig ist, mehr will, ständig auf den Hinterbeinen steht und Zähne zeigt, aber dabei nicht die Balance verliert, sondern im ausfallfreien Fluss die Spannung und Intensität permanent hoch hält, während sie nun immer wieder an Kollegen wie Mastodon (besonders im mysteriös-verspielten Searchers of Hell) und Torche auf der einen Seite, oder auf der anderen 90er-Helden wie Hum und Failure (etwa in der knackig-anachronistischen Hook-Schleuder Waiting for Love) denken lässt.
Tatsächlich ist diese Steigerung der grundlegenden Aggressivität, Brutalität und Härte im Verhalten womöglich sogar genau jene Ausrichtung, die Scofield vor seinem Ableben für Cave In vorgeschwebt sein könnte. Passend dazu übernimmt sogar eine Idee von ihm den Einstieg in das Album.
New Reality eröffnet fett riffend und energiegeladen treibend als Schocktherapie mit dem charakteristisch astral schimmernden „The Cavinator pedal„-Effekt auf den breiten Schultern, während Newton dahinter mit angespannten Nackenmuskeln brüllende niederreißt, was der vorausstürmendw Brodsky in diesem catchy Biest von einem Kerosin-Ohrwurm stehen hat lassen.
Weiter als hier muss man im Grunde übrigens nicht gehen, um zu verstehen, warum Cave In weiterhin als Cave In funktionieren; warum sich bis zu einem gewissen Grad alles vertraut und doch aufregend neu anfühlt; warum die Schnittstelle aus vor und nach Caleb eine unverwechselbare Identität im Kern trägt, die personelle Umstrukturierung jedoch unter ungewohntem Druck stehend die Gravitation der Band verändert und das periphere Sichtfeld auf angestammten Trademarks ohne Vorlaufzeit erweitert hat: Newton füllt den Raum, den Scofield hinterlassen hat, ohne ihn zu imitieren, und das Quartett nutzt die Trauer als instinktiven Motor – alleine auf lyrischer Ebene immer wieder, zumindest interpretationstechnisch.
„If we could do it all again/ We would be strongеr in our ways/ To live through all of this again/ Would take much longer than a phasе“ heißt es etwa im Titelsong, in dem Cave In das Tempo der regelrecht wütenden Eingangsphase herausnehmen (nachdem in Blood Spiller malmender Stoizismus ein launig-sinistres Verlangen umarmt bis die Knochen knacken, und der duale Gesang alleine unbedingte Alice In Chains-Vibes evoziert, wohingegen Floating Skulls danach auf einer Achterbahn aus dringlichen Gitarren und einem vertrackter als es erst scheinen mag zu Werke gehenden Rhythmus eilt, quasi Space Rock auf Speed darstellt, und sich zwischen episch gniedelnd und dem tighten Zug zum Hardrock nicht entscheiden muss). Melancholischer im schwelgenden Doom brutzelnd wirkt die hypnotisch getragene Geschwindigkeit von Heavy Pendulum jedenfalls fast wie eine gefährliche Streicheleinheit, bevor der verspult nachhallender Appendix Pendulambient die Möglichkeit zum Durchatmen gleichzeitig ausdehnt, wie das ambiente Instrumental eigentlich schon die Beschleunigungsspur für das zweite Drittel der Platte ist, in dem die Band das Steuer immer wieder energisch, aber kontrolliert und methodisch herumreißt.
Careless Offering ist ein straighter, knackiger Metalsong, den Ausnahmesänger Brodsky mit der sehnsüchtig Weichheit der Melodie konterkarierend schattiert, und dann über die psychedelisch flimmernde Bridge gar bis Antenna schielen lässt, während Blinded by a Blaze nostalgischem Schwermut Raum gibt, als düstere Ballade mit schweren Gitarren, die in der Bridge geradezu tektonisch schieben, während darüber der Signature Sound der Band flimmert. Amaranthine gibt sich als zweiter Caleb-Eintrag in den Songwriting-Credits giftig und direkt attackierend mit Schaum vorm Mund dem Wechselspiel zwischen einem monströsen Newton und melodischen Brodsky samt Klos im Hals („The anthem is ours to sing/ The pain, the fight, the death, the life/ And then the love“) hin, mit manischerem Trieb auf die Überholspur biegend und dort den abrupten Wechsel zur Einkehr nehmend. In Nightmare Eyes schleicht der grummelnde Bass gedrosselt um die schillernden Effektpedale, stackst mit dunkel mahlender Theatralik, und klärt seinen Sound auf, um ihn imposant aufzubäumen und sich hinten raus ohne Längen zu ziehen, zu plätten und zu erschöpfen, bis der minimalistische Drone-Nachhall Days of Nothing das Album adäquat verabschiedet zu haben scheint.
Dass danach nicht alles gesagt ist, liegt zum einen an Reckoning, das mit einem Acoustic-Rückgrat anmutet, als wäre Final Transmission mit Handclaps zu Against Me! gewandert, derweil Adam McGrath als Leadvocalist übernehmend der Band heroisch schunkelnd eine weitere neue klangliche Facette in der folkloristischen Luftigkeit spendiert, und zum anderen an Wavering Angel, das so behutsam und hell als halbballadesk wachsender Monolith über (keine Sekunde unnötige) 12 Minuten im Grunde gleich das Stairway to Heaven der Band sein will – und ein bisschen sogar kann. (Auch wenn die Ur-Version der Nummer, die so freilich nicht in den Album-Kontext gepasst hätte, noch schöner ist).
Heavy Pendulum ist als bewusste Gegenreaktion zum reduzierten, in sich gehenden Final Transmission eben bis zuletzt eine nach außen strebende Machtdemonstration, die ihre finalen Meter – und eine verdammt kurzweilige, immer unterhaltsame Stafette aus ausnahmslos herausragenden, aber genau genommen nie genial überwältigenden Songs, deren eigentlich makellose Summe zwischen den Punkten liegend die Aufwertung beinahe gerechtfertigt hätte – mit prolongiertem Statement schließt, und sich mit diesem Kämpferinstinkt, der weit über den puren Überlebenswillen hinausgeht, wohl einen Platz in den Top 3 der an Glanztaten nicht raren Banddiskografie sichern dürfte. Was gewissermaßen als ein noch viel größerer Tribut an Scofield verstanden werden kann, als das Abschiedswerk von 2019.
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