Cave In, Amer [24.06.2019: Chelsea, Wien]
Durch den Tod von Caleb Scofield sowie im vergangenen Jahrzehnt grundsätzlich nicht gerade rege Touraktivitäten (gerade außerhalb der USA) grenzt es wohl an ein Wunder, Cave In überhaupt noch einmal live sehen zu können. Und dann fackelt die Band das Chelsea auch noch mit einer solchen Intensität nieder, die keine Sekunde an eine Abschiedsvorstellung denken lässt.
Das vielleicht wichtigste Detail des Abend also gleich vorab: Entgegen des Titels des nur wenige Wochen zurückliegenden Epitaphs von Scofield ist die aktuelle Tour vielleicht zumindest keine Final Transmission für die Liveband Cave In: Stephen Brodsky verabschiedet sich (doch auch mit einem brodelnden Endorphinhaushalt) am Ende des knapp einstündigen, herrlich auslaugenden Sets mit einem Ambitionen für eine Zukunft erhoffen lassenden „See you next time!“
In dem angerührten Mahlstrom davor, zwischen einem knapp angerissenen Epic als kurzer Soundcheckskizze und dem (gar nich so ausufernden, aber schonungslos in der Substanz kochenden) Schlusspunkt Sing My Loves kratzen Cave In mit dem wohl idealen Scofield-Ersatzmann und Converge-Kumpel Nate Newton an Bass und Gebrüll über den Erwartungen an der Perfektion, verarbeiten Trauer als kaum zu bändigendes Biest, das sich durch alle Schaffenphasen der so wandelbaren Bandhistorie reißt.
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Die (kompakte, ohne Zugabe oder wie zuletzt um Fremd-Nummern ergänzte) Setlist ist jedenfalls unheimlich dicht und stimmig, wie aus einem Guß zusammengestellt. Etwaige Übergänge zwischen den Phasen werden durch psychedelische Drones und Feedbackschleifen praktisch ohne ruhige Minute zusammengehalten. Die Performance strotzt vor Kraft, wo die Präsenz der Band und der praktisch distanzlos spürbare Spielwitz funkensprühend infektiös und nahbar übergreift. Cave In haben richtig Bock, das merkt man zu jeder Sekunde. Der Sound dazu ist laut und erdrückend, die Lichtshow zweckmäßig und das Chelsea brütend heiß – der Schweiß rinnt in Strömen und die Luft steht, wenn die Band kurz vor elf Uhr den Strom abstellt.
Nate bedankt sich im davor nachhallenden Feedbackabschied übrigens bei der (ihn auf der kleinen Bühne in den Mittelpunkt gestellt habenden) Band und gedenkt mit Calebs emporgehobenen Bass dem vor knapp einem Jahr Verstorbenen, schnippt sein Plektrum im hitzebedingten Delirium statt ins Publikum aber hinter die Verstärker, bevor die originalen drei Cave In-Mitglieder etwas ungelenk miteinander einschlagen, sich lächelnd umarmen und in die etwas kühlere Nacht hinausschlendern: Stephen Brodsky, Adam McGrath und John-Robert Conners haben immer noch (und wieder) gemeinsam Spaß, die Chemie untereinander (und auch zu Newton) ist überwältigend. Das letzte Kapitel dieser Institution muss insofern zumindest live wirklich noch nicht geschrieben sein.
Doch der Reihe nach. Bevor Cave In (die mutmaßlich nicht nur fanboybedingte) Euphorie entfachen, liegt es nämlich erst am furiosen Support zu begeistern. Denn – ohne lange Umschweife – Amer sind (mitunter) so ziemlich das Beste, was das Segment härterer Spielarten (nicht nur) am heimischen Sektor seit langer Zeit zusammengebraut hat.
Dabei sollte einen diese Erkenntnis gar nicht überraschen dürfen: Die Wiener sind mit ihrer plättenden Melange aus Screamo-, Post Metal- und tonnenschweren Sludge immerhin seit 2014 aktiv. Dass man davon im Gegensatz zu besser informierten Szenekreisen noch nichts mitbekommen hat, lässt sich eigentlich nur ansatzweise dadurch entschuldigen, dass Amer seit ihrem Einstand …eins… merklich gewachsen sind und sich mittlerweile auch über die famose Split mit Discure hinausgehend noch einmal weiter entwickelt haben: Ihr düsteres Stilamalgam findet längst zu einer unverrückbar scheinenden, weitschweifende Katharsis – geradezu monumental und klaustrophobisch zugleich.
Weswegen ihr Set auch gerne länger als eine halbe Stunde gehen hätte dürfen. Doch so beginnt halt die Wartezeit auf das Debütalbum früher für all jene, die auch nur ansatzweise an einem erstaunlich formvollendet anmutenden Konglomerat aus Einflüssen von Ostraca, Isis, Alpinist, Inkasso Moskau oder Celeste interessiert sind.
Dass Amer derart nachhaltig überzeugen, ist auch insofern beeindruckend, da der subjektive Fokus mit ordentlich aufgestauter Vorfreude auf den Abend natürlich an sich bei Cave In pur liegt – gerade auch wegen des (trotz kleinerer Schönheitsfehler) grandiosen Comebackwerkes Final Transmission.
Von eben diesem schaffen es übrigens (leider) nur zwei Songs in die Setlist, wobei All Illusion und Shake My Blood im Kontext und als mittelteiliges Herzstück des Abends wunderbar funktionieren. Überhaupt ist der Ansatz, einzelne Nummern zu gefühlten mehrteiligen Suiten zusammenzusetzen und so für einen praktisch nahtlosen Fluss zu sorgen, eine tolle Herangehensweise an die Inszenierung einer potentiellen Werkschau. Die Dynamik und die Bandbreite der Show ist deswegen auch so homogen wie imposant, Cave In vermengen mühelos ein zwischen Melodik und Brachialität harmonierendes Spektrum, spielen ihre Songs aber grundsätzlich mit einer überwältigenden Extraportion brutaler Heavyness in die Extreme gehend. Gerade die aggressivsten und lautesten Passagen brennen sich durch einen außer Kontrolle geratenden (kleinen) Pit ein, der textsicher eskaliert – zu den Szenen rund um Juggernaut und Off to Ruin oder der Klammer zwischen Trepanning und Serpents flippen nicht wenige der erst noch statischen Besucher aus. Das ist Ekstase!
Selbst an sich bekömmlichere Songs wie Joy Opposites bekommen so eine malträtierende Kante, destillieren wie proklamiert die „spacier, heavier elements“ der Kompositionen und nutzen in dieser Ausgangslage gleichzeitig mehr freien Raum zum nuegierigen Wandern, komprimieren dabei allerdings auch eine zermalmende Kompaktheit, die keinerlei Fett im atemlosen Husarenritt zulässt. In gewisser Weise lässt der Abend insofern auch die eigene Liebe zu Cave In neu entflammen.
McGrath, auch Newton, und vor allem Brodsky werfen sich dazu in wilde Posen, zeigen in den wenigen Zwischenansagen Humor und lassen den Bass betont massiv den Magen attackieren. Trotz des an sich traurigen Katalysator von Scofields Tod ist deswegen bald klar, dass der pure Spaß an der Musik das elementare Element der Tour ist – Publikum und Band kurbeln sich dafür gegenseitig an, geben alles. Nach einer an sich wunschlos glücklich entlassenden Stunde ist deswegen zwar eher eine neue Sucht nach Cave In erwacht, als dass diese durch ein nahezu makelloses Gastspiel gestillt worden wäre. Aber das ist wohl gut so – Caleb Scofields Vermächtnis wäre auch in dieser Konstellation in guten Händen. Insofern: Caleb Scofield Forever, Cave In Forever!
Setlist:
LuminanceDark DrivingJuggernautOff to RuinJoy OppositesAll IllusionShake My BloodSummit FeverSerpentsBig RiffTrepanningSing My Loves
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