Cassandra Jenkins – An Overview on Phenomenal Nature

von am 26. Mai 2021 in Album

Cassandra Jenkins – An Overview on Phenomenal Nature

Spektakulär unspektakulär, was Cassandra Jenkins auf ihrem Zweitwerk so alles zwischen Singer-Songwriter-Dasein, Sophisti-Ambient und kammermusikalischem Pop zaubert: An Overview on Phenomenal Nature kann wirken, als wäre es gar zu reibungslos als Easy Listening-Begleiter konzipiert, offenbart aber mit nonchalantem Suchtpotential Tiefgang.

After David passed away / My friends put me up for a few days / Off the coast of Norway / And every morning they’d say / Baby, go jump in the ocean / It’s cold enough to get your blood moving / Yeah, the water / It cures everything“ singt Jenkins in New Bikini, einem behutsam zum Slocore schweifenden Blick zu Saxofon-verhangenen Erinnerungen, mit getragenem Besen-Schlagzeug und einer Atmosphäre zwischen Bon Iver, Bon Iver und Destroyer, um jene Zeit zu reflektieren, als David Berman starb und die 37 jährige als New Yorkerin als Begleiterin der Silver Jews plötzlich mehr oder minder alleine in Europa gestrandet war. Jene Zeit also, in der An Overview on Phenomenal Nature geboren wurde.
Gemeinsam mit dem für eine bestechend einfühlsame Produktion verantwortlich zeichnenden Josh Kaufman ist daraufhin jedenfalls eine Platte entstanden, die sich keinesfalls wie eine Trotzreaktion oder suhlendes Selbstmitleid anfühlt, sondern vielmehr eine mit sich selbst im reinen balsamierende, kluge und empathische Einkehr, die in ihrem Eklektizismus zudem als karrieretechnische Initialzündung höhlt: An Overview on Phenomenal Nature ist ein Kaleidoskop, das in jeder Auslage andere prominente Assoziation aufzeigt, ohne Jenkins jedoch auch nur ansatzweise zur eigenschaftslosen Kopiistin zu machen.

Der Opener Michelangelo sorgt noch für einen relativ reibungslosen Übergang von der Ästhetik des ersten Studioalbums Play Till You Win – mit Gitarren, die bis zum bratzenden Solo flanieren, einem zurückgelehnten Rhythmus, subtilen Orgelteppichen und einer bittersüß zwischen Nostalgie und Melancholie wandernden Melodie, die in wunderbaren Arrangements mit unendlich eleganten Streichern aufgeht, während Jenkins so sachte und vorsichtig intoniert, als könnte der kantige Ohrwurm zerbrechen – positioniert seinen Folkrock referentiell aber ansatzlos zwischen Aimee Mann und Okervill River, inklusive wunderbarer kleiner Zeilen wie: „I’m a three-legged dog/ Workin‘ with what I got/ And part of me will always be/ Looking for what I lost/ There’s a fly around my head/ Waiting for the day I drop dead“.
Das sphärischeres Hard Drive lässt sein Blasinstrument träumen und die Saiten perlen, erzählt bildreich als Spoken Word-Stück, das im Refrain mühelos zum weichen Gesang wechselt. Irgendwann klingt die Gitarren offen wie der Transatlanticism-Vorbau nach, man muß aber noch mehr an die besten Zeiten von St. Vincent denken.

Crosshairs ist ein sanfter, folkiger Slowcore-Ästhet wie aus den Gedankenwelten von Weyes Blood, und Ambiguous Norway ein stiller Moment, wie ihn The National auch in ihren introvertiertesten, zurückgenommensten Augenblicken flüstern könnten, während Hailey als sphärische Ballade die Kundschaft von The Weather Station an der Hand nimmt, ohne sich anzubiedern: Das Songwriting ist stets erstklassig, die Handschrift keineswegs austauschbar.
Wenn das abschließende The Ramble als siebenminütiges Instrumental einen unschuldigen Spaziergang zwischen strukturoffenen Field Recordings und dösendem Ambient unternimmt (ein bisschen jazzig und ätherisch, weil der ebenso luzide wie somnambule Score warm und weich wattiert ebenso friedlich mit Vogelgezwitscher und Synthieschwaden, wie mit Saxofon-Streicheleinheiten umgeht), dann fehlt es An Overview on Phenomenal Nature entlang all seiner wunderbaren Kleinode vielleicht gerade hinten raus nach der bärenstarken ersten Hälfte an einem wirklichen Spektakel; oder der Summe am Eindruck, zumindest einmal wirklich überwältigt worden zu sein. Was aber eigentlich nur zum Charakter und auch Zauber einer absolut subversiv und dezent arbeitenden Platte passt, deren Reiz so auch etwas niemals greifbares behält.

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