Carpenter Brut – Leather Terror

von am 7. April 2022 in Album, Heavy Rotation

Carpenter Brut – Leather Terror

Franck Hueso hat mit Leather Terror ein relativ überraschungsarmes, konsenfreundlich auf Nummer-Sicher gehendes Carpenter Brut-Album rund um seinen Protagonisten Bret Halford als Serienkiller aufgenommen. Er macht damit aber nicht nur alles richtig, sondern vielleicht sogar um das kleine Quäntchen besser, als auf Leather Teeth von 2018.

Die auf eine risikoscheue Effektivität, ungefährliche Befriedigung und massentauglichere Verdaulichkeit ausgelegten Optimierungsarbeiten, die Hueso am Trademark-Sound seines (den Darksynth wie kaum ein anderer Name in der Szene prägendem) Alias vorgenommen hat, lassen sich eigentlich schnell auf den Punkt bringen: Das Songwriting von Carpenter Brut ist sieben Jahre nach Hotline Miami 2 songorientierter, ausgereifter und kompletter, ja auch konventioneller strukturiert konzipiert als bisher bereits, während die gewachsene Bandbreite der geladenen Gäste die Variabilität für ein größeres Farbspektrum im Neonlicht nutzt.
Gleichzeitig ist Huesos Gespür für das Albunformat aber auch kompakter und runder gewachsen, was erklärt, wie er eine brillante (und vielleicht auch falsche Erwartungen hinsichtlich der stilistischen Ambitionen weckenden) Nummer wie Fab Tool von vornherein aussparen konnte. Die Dynamiken sind auf Leather Terror jedenfalls herrlich ausbalanciert und ohne Ballast mit einem spielfreudigen Zug ausgestattet, dass es 2022 wohl schwer sein wird eine kurzweiligere, flüssiger durchrauschende Platte zu finden, als das nominelle Zweiwerk des Franzosen. Mit dem keineswegs als Ausfall durchgehenden Color Me Blood hat es schließlich auch nur eine Nummer in den Verlauf geschafft, die als solider Standard ein wenig abfällt – selbst sie wird jedoch von der vorherrschenden Ästhetik im Kontext mitgetragen.

Die Stimmung und Atmosphäre der 45 Minuten wird vom cinematographischen Opening Title adäquat eingeführt. Das düster die Spannung provozierende Intro baut sich mit pochender Percussion, Glockenschläge, dramatischen Streichern und beschwörenden Chören auf, der hämmernd treibende Rhythmus kippt nahtlos in den Übergang zum bollernden Straight Outta Hell, das mit seiner sägenden Dringlichkeit und funkelnden Keyboards (dessen äthereische Texturen mit dem atemlos kloppenden, straighten Punk-Tempi Schritt zu halten versuchen) über den wie breitbeinige Riffschleudern arbeitenden Synths keinen Hehl daraus macht, dass Leather Terror im Kern eine Metal-Platte (ohne Gitarren) ist – ein bisschen als wäre Dillinger Escape Plan als impulsiv veranlagte, unkompliziert den Körper ansprechende Goth-Rocker im Club wiedergeboren worden.
The Widow Maker pumpt mit verhaspelnden Rhythmus stampfend als Rückenwind für Gunship Dark All Day ohne Saxofon hat Kerosin in die Venen injiziert bekommen, ohne die Waage im ausgeglichen Melodiegespür zu verlieren: diese Sehnsucht kennt eben das Gaspedal, und am Ende die die hymnische Tendenz. Eine ideale Interaktion von zwei seelenverwandten Seiten einer Medaille.

Imaginary Fire hat auf sich alleine gestellt noch wie eine B-Seite von Child Soldier: Creator of God gewirkt, spätestens im Gefüge des restlichen Materials wächst die Symbiose mit Greg Puciato jedoch zum orthodoxen Ohrwurm, dessen fast behutsame Strophen und Bridge den die Intensität hochdrehenden Refrain nicht mehr als leicht auszurechnende Pflichtübung erscheinen lässt, sondern seine Single-Qualitäten zelebriert.
Auch deswegen, weil « …Good Night, Goodbye » danach den unmittelbaren Umbruch in den mit melancholischen Klaviertupfern ausgeschmückten, minimalistisch-knisternden und knarzenden Elektro-Ambient vollzieht, aus dem sich zu verträumten Streichern die Stimme von Ulvers Garm erhebt: Hueso und Rygg, das ist einfach eine Synergie, die die im anachronistischen Synthwave-Himmel erdacht wurde und auf Leather Terror zwar nicht zu so einem Übersong wie (dem generell von Carpenter Brut bis heute unerreicht bleibenden) Cheerleader Effect führt, aber zu einer unheimlich sphärischen Ballade, die im Dienste des übergeordneten Ganzen als seine Kräfte sparender Ruhepol funktioniert, so elegant und nostalgisch – und plötzlich aus den Gedanken reißend auf den Dancefloor von Day Stalker gerissen wird, der im matten Stroboskop-Blinken anmutige Bewegungen vollführt, die Bassline umarmt und mit dem Beat im retrofuturistischen Flimmern flirtet, bis das nur nominell separierte Night Prowler wie ein purer Endorphinschub nahtlos greift, als wären sie von seinem Siamesischen Zwilling etablierten Motive erst auf Steroide gesetzt und dann auch noch umd das imaginative Spektrum erweitert worden: Der Sog (dieser eigentlich einzig noch aus dem Hotline Miami-Kosmos stammen könnenden, die Evolution von Carpenter Brut festhaltenden Nummern) ist einfach superb – wie Hueso es schafft, ständig unter Strom zu setzen und zu fesseln, ohne Gleichförmigkeit neue euphorisierende Ideen detonieren zu lassen, löst Hochgefühle aus.

Das cheesy als muskulöse 80er-Powerballaden-Referenz gewollte Persha-Gastpiel Lipstick Masquerade unterwältigt dagegen, weil es merklich mehr galliges Gewicht provozieren will, als die Hooks tatsächlich tragen können. Zumal die Schlußphase der Platte allerdings auch bereits ihre Gravitation spüren lässt, das Spotlight des finalen Albumdrittels ganz für sich reklamiert.
Stabat Mater (eine eigentlich Spekulationen provozierende Titelwahl hinsichtlich der Bande von Hueso und Deathspell Omega) mit Sylvaine ist dort als Eröffnung einer Suite ein esoterischer Nachhall zu Garms Besuch, lässt aber hinter seinem mystischen Schleier die Schaltkreise brutzeln, bevor das so organische Sequencing ohne Nahtstellen in die typische, betont epochale, choral-jubilierende Welt von Paradisi Gloria führt. Dass der Spannungsbogen zum Beginn der Platte damit bereits rund geschlossen ist, klammert jedoch nicht den Titelsong-Abspann aus, in dem TribulationJonka Johannes Andersson ein gothisch orgelnd-pochendes Ungetüm mit Ben Koller als Rückgrat zum greinenden Deathrock dirigiert.
Die Frage nach der Halbwertszeit lässt Leather Terror danach vorerst offen, soll ruhig die Zukunft (und vielleicht auch der finale Teil der konzeptionellen Leather-Trilogie) die Nachhaltigkeit der Platte weisen – vorerst nutzt Carpenter Brut das Momentum mit einem vor keine Herausforderungen stellenden, schnell erfassten und noch ansatzloser gefeierten Fanpleaser-Destilat, das für den breiten Konsens geeignet hinuntergeht wie süchtig machendes Slasher-Öl.

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