Carpenter Brut – Leather Teeth
Unmittelbar vor der anstehenden Europa Tour zaubert Franck Huesco alias Carpenter Brut einen Überraschungscoup aus dem Ärmel: Leather Teeth ist genau genommen das erste reguläre Studioalbum des Franzosen, dazu der Auftakt einer neuen Trilogie – und zwischen Signature Sound und Aufbruchstimmung mutmaßlich bereits jetzt mit das beste, was dem Synthwave im Jahr 2018 passieren wird.
Deswegen sei es auch gestattet, gleich eingangs das größte – letztendlich vielleicht auch ohnedies einzig gravierende – Manko von Leather Teeth anzukreiden:
Das offizielle Debütalbum von Carpenter Brut (Trilogy war schließlich nur eine Sammlung der zwischen 2012 und 2015 erschienen EPs) fühlt sich mit seinen 8 Songs in gerade einmal 33 Minuten gerade auch wegen der Erweiterungen im Klangbild schlichtweg eine Spur zu kurz an, um mehr als die Quintessenz seiner elektrifizierenden Präsenz entfalten zu können, um die Intensität seines Wirkungsradius tatsächlich erschöpfend zu artikulieren – das süchtig machende Leather Teeth fühlt sich am Ende eher wie ein rauschhafter Appetithappen an, der den MO von Trilogy gekonnt aufbricht und mit unstillbarem verlangen auf Repeat läuft.
Dass dem Gesamtgewicht der Platte (für sich stehend, also ohne die bereits in Aussicht gestellten Sequels) zumindest ein weiterer Song für einen restlos befriedigenderem Durchlauf gut getan hätte, könnte im Kontext freilich auch daran liegen, dass etwa das treibend-pulsierende Inferno Galore weniger seinem Titel gerecht wird, als dass Carpenter Brut in diesem Fegefeuerchen die Stärken seines Mini-Albums eher nach allen Regeln der handwerkskunst spektakulär-unspektakulär nach Hause spielt, als das Thermometer durch die Höllendecke zu katapultieren. Oder aber daran, dass das finale End Titles erst einen Doogie Howser– Chill Out-Modus andeutet, dann aber den etwas zu ziellos mäandernden Leviathan gibt und damit zu unbedingt entlässt.
Diese relativen Schwachstellen von Leather Teeth lassen sich jedoch alleine dann schon ansatzlos verschmerzen, wenn die dynamische Abfahrt gerade am Stück unheimlich knackig funktioniert und selbst in den weniger zwingenden Phasen eine enorm kohärente Homogenität und mitreißedende innerliche Spannung erzeugt.
Überhaupt pflegt Carpenter Brut auf Leather Teeth eher auf eine ganzheitliche Konsistenz zu gehen, anstatt noch einmal die highlighspezifische Individualität seiner doch recht ähnlich gestrickten EPs und Soundtrackbeiträge rund um Hotline Miami und Furi zu bedienen.
Ein logischer Ansatz für das zugrunde liegende Konzept mit seiner hirnwütigen Trash-Story: „Leather Teeth, das ist die Geschichte von Bret Halford, einem introvertierten Chemiestudenten. Er mag ein Mädchen, sie mag ihn nicht und will lieber mit dem Star-Quarterback zusammen sein. Bret wird wahnsinnig und braut ein Präparat, das es ihm erlauben soll alle zu kontrollieren. Stattdessen entstellt es ihn und er beschließt, ein Rock Star zu werden. Als Leather Teeth, Sänger von Leather Patrol, will er das Mädchen (und andere) verführen“.
Womit der Seriösitätsgrad umrissen ist. Und obwohl Huesco dabei seiner bisherigen brutal übersteuerten Weirdo-Ausrichtungen zwischen John Carpenter und Kavinsky, zwischen Mitch Murder und Justice, weitestgehend fortsetzt, expandiert er stilistisch diesmal eben doch auch markant in die umliegenden Interessensgebiete: „Als ich noch ein Kind war, hat mich das alles kalt gelassen, aber jetzt wusste ich, dass ich etwas mehr Glam Rock haben möchte.“ Daher auch die offensichtliche Referenz der Hauptfigur zu den Größen dieser Zeit (Bret Michaels (Poison) und Rob Halford (Judas Priest)“.
Was dann eben auch zu einer grundlegend polarisierenden Entwicklungen führt, zu herrlich pathetischen Gitarrensolos und dramatischen Synthieschwällen, die (nicht nur im atemlos als Sonic hyperventilierend-hetzende, dann wieder ätherisch durchatmenden Über-Sahnestück Hairspray Hurricane) direkt aus Van Halens Jump assimiliert zu sein scheinen. Neben diesen großartig in den Carpenter Brut-Clash passenden Sounderweiterungenführt dies darüber hinaus zu zwei noch deutlich aus dem Gefüge herausragenden Konsequenzen: Die potenten Single-Kracher Cheerleader Effect sowie Beware the Beast penetrieren den erfrischenden Retro Wave mit hemmungsloser Selbstsicherheit, vollziehen einen zutiefst unironischen Balztanz um den kitschigen Pop der 80er und werfen dafür sogar an der Mikrofront schwere Geschütze an die Pathos-Waagschale.
Cheerleader Effect macht mit Zeremonienmeister Kristoffer Rygg (alias The Mouthpiece Of The Night) übersteigert dort weiter, wo The Assassination of Julius Caesar noch betont intellektuell veranlagt war und ein feines Understatement fand, ist wahrscheinlich sogar der kaum subtile Funke an Action und Spektakel, der dem 2017er-Ulver Geniestreich abseits von Sic Transit Gloria Mundi abging.
Wenn Rygg da also vor Carpenter Brut im Rücken mit zutiefst cheesy daherkommenden Baukastenlyrics (Copyright: Yann Ligner, The Shadow Whisperer) einen auf Peter Murphy im Lemon Demon-Outfit macht, so verführerisch, pseudonachdenklich, kraftvoll, schlagwörterbehaftet smart und nonchalant slick über eine beinahe proggig ausholende Bridge in den Nachthimmel funkelt, dann ist das (als wohl schon jetzt perfekteste Feature 2018!) nicht nur ein weiterer Beweis dafür, wie passgenau dem Norweger diese zutiefst den 80ern hörige Gangart der jüngeren Ulver-Vergangenheit steht, sondern auch nichts weniger als ein stilecht maßgeschneideter Hit, der sich (wie alles auf Leather Teeth) selbst niemals zu ernst nimmt, jedoch mit beeindruckender Trittsicherheit die Gratwanderung schafft, jedwedes Gefühl der Persiflage zu vermeiden: Eine Zeitkapsel-Meisterleistung.
Beware the Beast fährt wiederum als zweiten Triumphzug der Synergie Mat McNerney als The Dream Crawler auf: Gallig und theatralisch übersetzt der Wahl-Skandinavier einen triefenden Hardrock-Synthpop mit dem Gestus von Heavy Metal-Gott Dio auf den Dancefloor, die Gitarre heult mit dem Keyboardflächen um die Wette in einen episch die Sportlichkeit anstrebendem Refrain. Schon erstaunlich, dass Carpenter Brut dem nahtlos zum Klangbild passenden McNerney gerade durch die frontale, bewusst über den guten Geschmack hinausschießende Over The Top-Veranlagung der Komposition den idealen Rahmen für seine leidenschaftlich-klagende Stimme liefert und damit erstmals eine verdiente Authentizität verleiht, die so weder Grave Pleasures, Beast Milk oder Hexvessel erreichten. Beware the Beast wirkt im Gegensatz zu den prätentiösen Stammbands von McNerney immerhin nicht als markwirtschaftlich motivierte Szene-Bedienung, sondern als formvollendet natürlich gewachsene All In-Aufrichtigkeit ohne falsches Schamgefühl – eventuell ein idealer Song Contest-Beitrag in einer besseren Vintage-Welt.
Dass das Songwriting dabei eher generisch an bekannten Tropen schmarotzend angelegt ist, einen schwindelerregenden Tribut ohne substanzielle Eigenheiten darstellt, funktioniert paradoxerweise gerade im Kontext absolut schlüssig.
Abseits der beiden markantesten Aushängeschilder setzt Leather Teeth ansonsten schließlich weniger auf konkrete Melodien und konventionelle Strukturen, als dass sich die Platte durch ein stets Umschichten der Soundästhetik definiert, durch immer wieder neu akzentuierte Impulse und Wendungen in der Inszenierung wandelt – wenn etwa die Gitarren plötzlich deutlicher am Rock hochdrehen oder ein Chor das Geschehen unterspült, Carpenter Brut antizipiert. Nachzuhören beispielsweise im drückend nach vorne gehenden Monday Hunt. Hart und wuchtig folgt alles dem eiligen Beat. Der Background schwillt unwirklich erhaben an, geht bis zum abhebenden Metalsolo, ohne seinen organischen Zombie-Aktionsradius dafür unnatürlich ausweiten zu müssen und vereint seine elektronischen und rockaffinen Elemente in einem Tritt aufs Gaspedal – agressiv und nostalgisch.
Der Titeltrack packt seine bedrohlich-sinistren Synths mit prächtig wummernden Drums und bollernder Rhythmik in den fett produzierten Klangraum aus neongrell vibrierender Energie und manisch aufgeladener Rastlosigkeit, ist eine souveräne Machtdemonstration ohne gleich eingangs auf Innovation setzen zu müssen. Sunday Lunch findet dagegen ein Kassettentape, das MGMT und Phoenix als Outrun-Soundtrack für Vice City umdeutet, in der Nachmittagssonne dösend ein schwülstiges Kenny G-Saxofon kurzerhand durch die sehnsüchtig-geile Funk-Lick-Gitarre ersetzt. Carpenter Brut plätschert hier elementar dahin und lässt die anachronistischen Analog-Keyboardschichten mit einer unironischen Selbstverständlichkeit düdeln, den Bass sexy slappen und die Gitarre gniedeln, baut eine optimistische Dringlichkeit auf, bleibt aber mit epischer Weite ungezwungen. Die Zügel sind eben nicht immer eng gehalten, eine Übersättigung nutzt niemandem.
Man merkt nicht nur in diesen Szenen, dass Keyboarder Huesco (hier firmierend als Franck B Carpenter) Leather Teeth mit seinen Erfüllungsgehilfen Adrian Glitter (The Guitar Player) und Flo Sparkles (The Drummer) auch ganz gezielt so konzipiert hat, diese so unmittelbar packende Platte (und vor allem auch den haltlos transportieren Spaß dahinter) live reproduzierbar ist – gerade dort wird Leather Teeth mit noch mehr Power unter der Haue wohl erst so richtig reinknallen. Lässt man sich auf dieses furiose, niemals elitäre, immer offensichtlich und frontal arbeitende B-Movie-Feuerwerk ein, ist der Unterhaltungswert schließlich bereits auf Tonträger mit einer regelrecht infektiös-schweißtreibenden Körperlichkeit immens, im hauseigenen Schaffen des Franzosen sogar beispiellos. Ob das nun rückblickend eine zu kompakt gestrickte, die Metabolismus-Fühler mit Pommesgabel ausstreckende Übergangsplatte im Carpenter Brut-Kosmos darstellen wird, oder die aktuell wildeste Party im frakophilen Synthwave, ist eigentlich egal. Die Luft nach oben ist schließlich da wie dort dünn.
[amazon_link id=“B079VLFDVG“ target=“_blank“ ]MP3 Download auf Amazon[/amazon_link]
2 Trackbacks