Candy – It’s Inside You
Candy haben mit It’s Inside You wohl das Album aufgenommen, an dem Code Orange seit Jahren scheitern. Was auch bedeutet kann, dass It’s Inside You nicht notwendigerweise das Album geworden ist, das man persönlich sich nach Heaven Is Here von der Band gewünscht hat.
Richtig ist im Umkehrschluss aber auch, dass It’s Inside You eine Platte ist, die man Code Orange nicht derart begeistert durchgehen hätte lassen, wie es nun bei Candy der Fall ist. So wie gleich eXistenZ derart massiv als Rhythmusmonster mit den exemplarisch brutalen Drums grummelt, verkapptes Nu Metal-Riffing als Vein‘esken Remix malträtiert, der gleichzeitig altbackener Futurismus oder eine anachronistische Reminiszenz an jene Perspektive ist, in der man sich in den 90ern die Zukunft vorstellte – nur doch irgendwie modern muskulös verschwitzt. Der potentielle Nails-Nenner You Will Never Get Me pumpt mit Justice Tripp von Trapped Under Ice seine Abrissbirne stampfend brachial und stumpf zu Methods of Mayhem und dem Drum-’n’-Bass von Slipknot scratchend, derweil das Titelstück mit David Gagliardi von Trash Talk wie die Steroide-Kur für eine DJ-Kooperation von Atari Teenage Riot und Slayer auf einem neuen Spawn-Soundtrack klingt. Love Like Snow ist mit Fleshwater–Mirsy und mmph ätherisch-ambient unterspülter Synth Pop, der seine Vocals fast am Rap skandiert. Und Dancing to the Infinite Beat boxt dann mit hämmernden Beats den joggenden Digital Hardcore für den catchy Techno Club, bevor Hypercore mit seinem Titel durchaus Suggestionen für die Genre-Klassifizierung dieses Irrsinns liefert und die körperbewusste Ausgelassenheit im wilden Berserkermodus zu einem runden Abschluss bringt.
Hätte man sich derartig puristengiftige Kampfzonen-Verlegungen noch vor zwei Jahren von Candy erwartet oder wirklich gewünscht? Keineswegs – zumal ähnliche Expeditionen anderswo ja schon gehörig daneben gingen.
Im Gegensatz zum MO der ehemaligen Kids aus Pittsburgh verzichten Zak Quiram, Michael Quick (der hier neben Uniform-Hälfte Ben Greenberg als Co-Produzent für den fetten Sound verantwortlich zeichnet), Steve Digenio, Andrew Stark und Kaleb Perdue allerdings alleine schon darauf mit optischer Penetranz zu überreizen und biedern ihre Songs auch nicht mit brüchiger Substanz und dem Vorschlaghammer am Markt an, sondern behalten den Metalcore-Pit hinter zwei bockstarken Platten immer noch gnadenlos im Auge. Sie radikalisieren jedoch Tendenzen zum Industrial und der Elektronischen Musik, die auf Good to Feel und Heaven is Here bereits vorhanden waren – also den Titel klärend immer schon in der Band steckten – und tun dies grundlegend mit einer ausgewogen rangelnden Balance, die den Extremen jenseits der von Turntables und Breakbeats abgeschirmten Geschmacksfragen nicht abgeneigt ist. Die elektronischen Impulse und Feature-Impulse sind insofern kein Gimmick, sondern Kerosin und integraler Bestandteil der Ästhetik und Attitüde der Platte. Und so sehr das auch auf dem falschen Fuß erwische mag, setzt es die Daumenschrauben gerade richtig an – überraschend, instinktiv und packend. Was auf der Wunschliste an die Band zu stehen hat, diktieren insofern Candy allein.
Die Kontraste sind also stark, potenzieren die Amplituden und funktionieren dennoch schlüssig verwoben. It’s Inside You polarisiert und streckt sich in stilistisch ambivalente Gefilde, verbiegt das Wesen von Candy dafür weniger, als dass es Evolutionstheorien authentisch beschleunigt, Risiken eingeht: die Wahrscheinlichkeit, dass die Basis der Szene hiervon als Jump-the-Shark-Moment entsetzt ist, ist wohl ebenso hoch wie die Möglichkeit, dass die schiere Härte der Platte neue Hörerschichten nicht erschließt, sondern ungespitzt in den Boden rammt.
Und am Ende gewinnen Candy – selbst wenn man den enger fokusierten Punch der Gruppe in ihrer Kernkompetenz auf den beiden Vorgängern noch gnadenloser und präziser finden konnte. Nicht nur wegen der Konsequenz, mit der die Band diesen Spagat vollzieht, sondern auch mit der immens effektiven Hebelwirkung, die It’s Inside You aus der Front jenseits des Hardcore bezieht und die das Momentum von Candy einfach spannend und aufregend, auch schwierig hält.
Und dann sind da auch so noch destillierte Attacken, die auch dem konservativem Slamdancer ohne progressive Ader entgegenkommen. Denn mag das Outro von Short-Circuit auch in einer dystopische Tanzfläche halluzinieren, kloppt die Heaviness davor mit Aaron Melnick umso schonungsloser. Dehumanize Me tackert massiv komprimiert und brüllt seine Salven mal zähflüssig, mal brutal rasend – Frontierer und Co. lassen da wie dort grüßen. Faith 91 ist ein purer Brutalo-Mahlstrom. Terror Managment bolzt wie von der Tarantel gestochen in den Circle Pit und Dreams Less Sweat ist eine Knocked Loose‘eske Planierraupe samt flimmerndem Solo und endlos ausblutender Härte, derweil Silent Collapse rockend den grindigen Punk kloppt. Was It’s Inside You vielleicht nicht zu dem Album macht, auf das man zwei Jahre gewartet hat – aber zu einem, an dem man sich noch einige Zeit wird wundreiben können. Schade nur, dass Candy dabei auch mit der bisherigen Artwork-Tradition brechen.
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