Burial – Antidawn EP
Dass die EPs von Burial mit Antidawn inzwischen bereits die Länge regulärer Alben erreichen, kann man sicher auch als Indikator für die Prognose nehmen, dass William Emmanuel Bevan wohl niemals mehr einen Nachfolger zu Untrue aufnehmen wird.
Durchaus nachvollziehbar: Auf das (nunmehr zumindest noch nominell) kürzere Format von Singles und EPs umzusteigen hat dem Briten nicht nur eine gehörige Bürde von den erwartungshaltungschweren Schultern genommen, sondern auch eine konstante Momentaufnahmen einer Entwicklungen geliefert, die Burial inhaltlich immer weiter von seinem ikonischen Zweitwerk aus dem Jahr 2007 wegführen.
Nach der zuletzt ambivalent gewordenen Spaltung zwischen Rave-Vorlieben und Ambient-Interessen stellt Antidawn nun gewissermaßen in voller Ausführlichkeit die rückwirkende Fusion dieser beiden Ziele dar – denn das die 44 Minuten oder 5 Tracks nahezu überall in die Schublade gesteckt werden, nur als strukturoffene Soundcollagen angelegt zu sein, greift kategorisch doch zu kurz. Immerhin reichert Bevan seine mit Boards of Canada-artigen Konturen liebäugelnden Ambient-Nummern durchaus mit griffigen Motiven unterspült, den Minimalismus mysteriös und somnambul auskleidet, die Essenz seiner Trademarks (verwaschen knackendes Vinylknistern, sehr viel Regen, androgyn gepitchte Vovals,…) in augenscheinlich mäandernde Anti-Songwriting-Plattformen fließen lässt, deren suggeriertes Understatement die demonstrativen Signaturen mit detaillierter Akribi schichtet.
„The record explores an interzone between dislocated, patchwork songwriting and eerie, open-world, game space ambience. In the resulting no man’s land, lyrics take precedence over song, lonely phrases colour the haze, a stark and fragmented structure makes time slow down. Antidawn seems to tell a story of a wintertime city, and something beckoning you to follow it into the night. The result is both comforting and disturbing, producing a quiet and uncanny glow against the cold. Sometimes, as it enters ‚a bad place‘, it takes your breath away. And time just stops.“ diktiert Bevan und kräftigt damit durchaus die Linien der Bilder, die Antidawn im Kopfkino zeichnet.
Strange Neighborhood flicht aus irritierenden, zerfahrenen Vocal-Samples eine eilige Rhythmik, deren Hintergrund-Synthschwaden William Basinski nach Twin Peaks einladen, um im Nebel liegend einen mystischen Almabtrieb mit R&B- und Soul-Nuancen als vage Ahnung im Hinterkopf zu halluzinieren. Erinnerungsfetzen erzeugen eine anachronistische, nicht klar zu verortende Trance, gleichzeitig nostalgisch und retrofuturistisch. Dass das glucksende Alchemie-Labor letztendlich beinahe auf die Tanzfläche schielt ist symptomatisch für den restlichen Verlauf – und dafür, dass der Ambient nur eine Seite des Antidawn’schen Charakers ist.
Das Titelstück assimiliert 80er-Sci-Fi mit einer urbanen Warriors-Esoterik, die hypnotischen Lagen und Spuren wechseln die Stereokanäle desorientierend, bionische Aufzüge beamen und kristalline Laser bohren ziseliert. Das fabelhafte Shadow Paradise lässt einen treibenden Beat subkutan pumpen, ohne eine tatsächliche Körperlichkeit zu erzeugen, die Schattierungen bleibend ätherisch als choraler Geister-Club, der sich in einem transzendentalen Klangbad auflöst.
New Love klingt erfrischend, als wäre eine klassischer Burial-Song in die Weiten des Alls geschickt worden, und hätte beim Wandeln durch die Dimensionen verschiedene Frequenzbereiche mutieren lassen – spätestens hier greifen Strukturen allerdings längst unverkennbar in den MO der immer hoffnungsvoller werdenden EP, Formen sind weitaus konkreter, als es auf den ersten Blick scheint. Die Phase der Desorientierung ist Sogwirkung gewichen, bevor Upstairs Flat seinen orchestralen Score zauberhaft und anmutig träumt, als würde James Bond durch ein Wüstenmärchen gleiten, doch brutzelnde Schaltkreise zerfressen die Patina, alles endet abrupt.
Antidawn ist ein heimelig und vetraut nachwirkendes Experiment an dem geöffneten Toren der Wahrnehmung, das interessante Perspektiven auftut, ohne die radikale Zäsur zu provozieren, die viele der enttäuschenden Veröffentlichungen Bevans aus den vergangenen Jahren signalisierten. Der Raum zwischen den Tönen wird mit einer fernen Wärme und gar nicht so abstrakten, eher neugierigen denn einsamen Ruhelosigkeit gefüllt. Erstaunlich fesselnd und kurzweilig ist diese Metamorphose nicht per se aufregend, sondern eine sedative Vertrautheit pflegend, die sich imaginativ funktionierend wie die schlüssige Evolutionsfortsetzung im Burial’schen Kosmos präsentiert. Ist das Ambient, dann hat er eine absolut eigenwillige, charakteristische Prägung. Die stets rund um Weihnachten kommenden Veröffentlichungen aus dem Hause Bevan könnten zukünftig jedenfalls plötzlich wieder einen Ereigniswert haben.
1 Trackback