Built To Spill – Untethered Moon
Ihr letztes Meisterwerk liegt vielleicht bereits über ein Jahrzehnt zurück, die Pausen zwischen den Veröffentlichungen werden dazu immer länger und Überraschungsmomente selbst sind im Bandkosmos praktisch nicht mehr vorhanden. Weil Built to Spill-Platten aber immer noch die Faszination in der Gewohnheit finden, bereitet Doug Martsch dem Indierock zum achten Mal ein Geschenk, wie man es sich zuverlässiger kaum wünschen könnte.
Im Grunde hätte es gar keine 6 Jahre dauern müssen, bis sich Martsch mit seiner Institution zurückmeldet – Built to Spill hatten den Nachfolger zu ‚There is No Enemy‚ bereits weitestgehend fertig. Nur dann stieg mit Scott Plouf und Gründungsmitglied Brett Nelson 2012 plötzlich die gesamte Rhythmusabteilung aus. Grund genug für Martsch, die an sich zermürbenden Umstände als revitalisierende Möglichkeit zu betrachten und entlang der Blutauffrischung in Form von Drummer Steve Gere und Bassist Jason Albertini alles bisher erarbeitete Material über den Haufen zu werfen und von vorne zu beginnen.
Eine Entscheidung, die sich ausgezahlt hat: ‚Untethered Moon‚ ist eine typische, klassische Built to Spill Platte geworden. Ohne Experimente, aber dafür einem immanenten Gefühl für die eigenen Stärken, dazu deutlich frischer und lebendiger klingend, als die Vorgängeralben des letzten Jahrzehnts. Alleine wie Martsch und Netson mit einer aufgeweckten Lebendigkeit um die beiden Bandneulinge tollen: Man hört die Euphorie, die innerhalb des neuen Gefüges zu herrschen scheint, den Spaß am spontanen, zügellosen Spiel, der im knapp neunminütigen Schlusspunkt ‚When I’m Blind‚ gipfelt, in dem die Gitarren um den stoisch gehaltenen Beat purzeln und damit für eine gelungene Klammer sorgen, weil auch gleich die Eingangsmomente der neuen Rhythmusgruppe gehören.
Mit rumpelndem Schritt legen Gere und Albertini im eröffnenden ‚All Our Songs‚ das Fundament, bis zum ersten Gitarrenknödeln, bis Martsch Stimme in das Geschehen schlendert. „These old songs sound like they’ve been there forever“ attestiert er und hat damit auf bestmögliche Weise recht. Neue Built to Spill-Nummern zu hören ist immer noch ein bisschen wie nach Hause zu kommen, sich mit nostalgischer Glückseligkeit in liebgewonnene Konsistenz zu lehnen und Detailarbeiten zu bestaunen: „All night/ Listen to the second record/ All these songs/ Sound like we’re in this together/ And I found a place that I know/ I’ll always be tethered„.
Spätestens wenn Martsch im locker schunkelnden Pop von ‚On The Way‚ Richtung Mars aufbricht, sich wehmütig an alle erinnert, die er auf der Erde vermissen könnte und „Now is all that matters“ sinniert, ist ‚Untethered Moon‚ eine Platte, die sich ohne unentschlossen zu wirken (eben „Being a human/Being an animal too“ – beides geht, man muss sich nicht entscheiden!) melancholisch zwischen Rückblick auf die eigene Vergangenheit und energiegeladener Aufbruchsstimmung ausbreitet, eine traditionsbewusste Frischzellenkur, wenn man so will, deren Quintessenz Martsch schnell findet: „And I knew/ When I woke up/ Rock and roll will be here forever.„
Das Songwriting schlängelt sich dahin, ohne sich in Tempo oder Zielen festlegen zu wollen, ist slackende Wertarbeit auf Augenhöhe mit Mascis und Malkmus, mit Platz für Ausbrüche an allen Ecken und Enden, Finten und Kehrtwendungen variieren die Built to Spill-Trademarks. Um zu verdeutlichen, wieviel sympathischer und charismatischer ‚Untethered Moon‚ dabei als das Gros der darunter liegenden, glattgestriegelten Indierockverwandschaft funktioniert, genügen vielleicht ohnedies die wenigen Sekunden im Ausläufer der mit grandiosem Video ausgestatteten Vorabsingle ‚Living Zoo‚, in denen Martsch seinem Songwriting alle Freiheiten gönnt, beinahe impulsiv werdend ein „Cause we’re lions/In our cages/And tigers/ In tiny spaces“ ins Mikro haut und seine Gitarre zwischen den Zeilen wie eine fauchende Raubkatze aufheulen lässt. Großes, spleeniges Kino. Und weil das Unterfangen vier Minuten davor beginnt wie ein lässig entlang der zweiten Hälfte von ‚Fever to Tell‚ schlendernder Yeah Yeah Yeahs-Song, der schnell an Fahrt aufnimmt und sogar damit liebäugelt im Geschwindigkeitstaumel auszuticken, bevor Built to Spill doch entscheiden mit unwiderstehlichem Groove abzushuffeln, dann ist das einfach verflucht nahe dran an Klassikern wie ‚Perfect from Now On‚ und ‚Keep it Like a Secret‚.
Gänzlich schafft es ‚Untethered Moon‚ letztendlich nicht in diese Dimensionen vorzudringen. Auch deswegen, weil etwa die Trübsaal-Achterbahnfahrt ‚Horizon To Cliff‚ sich den einfachsten Ausweg gönnt und kurz vorm verbrüdernden Bargesang viel zu früh ausfadet, das grandiose ‚Some Other Song‚ im Flirt mit der Hymne subjektiv ebenso zu abrupt den Stecker zieht, obgleich Built to Spill davor im Grunde ansonsten doch alles richtig machen, wie sie mit unberechenbar bleibenden Melodien, die unmittelbar aus dem Langzeitgedächntnis abgeschöpft zu sein scheinen, auftrumpfen und drumherum einen kratzbürstig schwelgenden Schmeichler aufbauen (aber die nächste Tour oder Liveplatte kommt bestimmt – und damit das letzte Quäntchen zum ausufernden Exzess).
Während nach der bärenstarken Eingangsphase also nicht jeder Song in letzter Konsequenz damit liebäugelt sich einen unmittelbaren Platz als Instant-Favorit in der makellosen Veröffentlichungsliste der Band zu erkämpfen, kommt ‚Untethered Moon‚ doch gänzlich ohne Ausfall aus und bietet genug Momente, für die sich jede Sekunde der 6 jährigen Wartezeit ausgezahlt haben.
Etwa, wenn ‚Never Be The Same‚ die 90er ohne muffigen Beigeschmack destilliert, Martsch die Gitarren im Dub-infizierten ‚C.R.E.B.‚ zum dängelnden Nahtanztwist auf die Tanzfläche (schon wieder zum Fade-Out) führt oder ‚So‚ den heavy bratzenden Jamrocker mit großem R.E.M.-Melodiegefühl macht, der zwischen hart und zart alle Stücke spielt.
Dann ist ‚Untethered Moon‚ eine Platte geworden, die zwar kaum am falschen Fuß erwischen kann, die mäandernde Momente aber im nächsten Augenblick bereits als derart liebgewonnene Verbundenheit Preis gibt, den man nie mehr missen müssen möchte. Zeitlose Klasse eben, mit geradezu unscheinbar wirkender, nebensächlicher Nonchalance aufbereitet. Irgendwo einfach anachronistische Herzensmusik: „I never meant to forget you/ I always forget people I really love/ If I haven’t seen them for a long time/ And I haven’t seen you for a long time.„
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