Bryan Ferry, Judith Owen [01.06.2017: Stefaniensaal, Graz]
Ein Schaulaufen großer Klasse: Mit einer grandiosen Band im Rücken sowie einer Wagenladung unsterblicher Hits vor Augen begeistert Roxy Music-Boss Bryan Ferry im Grazer Stefaniensaal.
So gut das alles bisher auch gelaufen ist – knapp vor Ende meint man dann doch noch ganz klar in der Reaktion von Ferry Enttäuschung zu sehen – hat das Publikum doch eine aufgelegte Partie vermasselt und den Einsatz für den finalen Fragepart von Virginia Plain verpasst.
Am Enthusiasmus kann’s nicht gelegen haben: Längst ist die Sitzordnung des bestuhlten Konzerts aufgehoben und selbst die älteren Semester im heterogenen Publikum zur Bühne gestürmt. Da feiern Typen im Nirvana-Shirt und Shorts neben jenen im (für die herrschenden Temperaturen ungeachtet des hohen Besuchs und der Location etwas arg affektiert erscheinenden) Anzug und Schal ausgelassen die atemberaubende – und dankenswerterweise ohne offenkundigen Encore-Break auskommende – finale Stafette aus More Than This, Avalon, Love is the Drug, Virginia Plain, Let’s Stick Together, Do the Strand und Jealous Guy: Allesamt Hits, die seit Jahrzehnten nichts von ihrer infektiösen Eleganz verloren haben, offenbar alt und jung in Wallung versetzen, die Stimmung mitreißen und vom jugendlich gebliebenen Elder Statesman Ferry und seiner perfekt eingespielten neunköpgigen Band atemlos zelebriert werden.
Dabei beginnt der Abend betont gesittet: Judith Owens breitet am Klavier (begleitet von einem energisch antreibenden Trio an Percussion und Streichern) eine relativ wertkonservative – manche sagen auch: altbackene – Songsammlung aus, bei der man sich durchaus wie eine Anwältin in der Bar nahe Cage and Fish fühlen kann.
Was die Waliserin (Fun Fact: sie ist die Gattin von Harry Shearer) jedoch absolut für sich reklamieren kann, ist eine durchwegs markante Präsenz, eine immanente Dringlichkeit, sowie eine unbedingte Energie in der Performance. Zudem legt sich Owen mit einer ansteckenden Leidenschaft in ihre Songs und genießt das Rampenlicht sichtlich. Hinter den Tasten wirft sie sich in Posen wie ein Hollywood-Star der alten Garde: Der Ventilator am Boden dient zwar eigentlich gegen die schwülen Temperaturen des Abends, funktioniert allerdings eher wie eine Windmaschine.
Dich die allgegenwärtige Dosis Theatralik nimmt die Gratwanderung zwischen prätentiöser Schulmeisterei und sympathischer Dramatik elegant, indem Owens eine aus der Zeit gefallene Form der Bühnen-Authentizität verkörpert.
Bei einem Song über ihren vor fünf Jahren verstorbenen Vater stehen ihr deswegen die Tränen im Gesicht und sie muss nach Fassung ringen – dass dieser als Opernsänger sein Leben lang davon geträumt habe nach Graz zu kommen, ist jedoch eine ebenso merkwürdige Anekdote von Owen. Wie auch die Information, dass der Urgroßvater der Cellistin Bürgermeister von Graz gewesen sei.
Egal: Owen macht ihre Sache sehr gut und unterhält über 30 kurzweilige Minuten anstandslos. Doch erst eine funky Coverversion von Aquarius für das Finale lässt den Funken zum wohlwollenden Publikum restlos überspringen. Danach verliest Owen stilecht eine Dankesliste an alle Beteiligten – sehr fein!
Als echter Teamplayer erweist sich dann auch Bryan Ferry. Der alterslose 71 Jährige lässt es sich zwar nicht nehmen, die Bühne erst gut eine Minute nach allen anderen zu betreten, gibt danach aber jedem seiner meist superstylish wie aus einem Roxy Music-Artwork gefallen herausgeputzten Musikern die Chance zu strahlen: Das Neil Young-Cover Like a Hurricane wird rund um seine als Ankerpunkte agierenden Refrains eine wilde Jamsession für Bass und Gitarren, in More than This darf die (zu leise in Szene gemixte) Backinggesangabteilung glänzen und für das ausführlich dargebotene Avalon-Interlude Tara bleiben mehr oder minder gar nur die Arrangement-Abteilung auf der Bühne – das Solo wird von der Klarinette über das Keyboard zu Gitarre und Violine weitergereicht, nur um dann zu einem großen gemeinsamen Soundgipfel zu verschmelzen.
Und Ferry selbst? Thront spätestens mit einer majestätischen Darbietung des unendlich verletzlichen Where or When dennoch stets über allem, ohne permanent im Mittelpunkt stehen zu müssen.
Vom elegisch ausgebreiteten Opener The Main Thing weg sind hier also reihum absolute Virtuosen ihres Faches am Werk, bei denen jeder Ton sitzt und jeder in Wahrheit noch so einstudierte Gang natürlich eingestreut wirkt – und freilich stets maßgeschneidert in Szene gesetzt ist. Leithammel Ferry dirigiert dabei weniger, als dass er den Musikern definierte Räume zur Entfaltung lässt, seine unsterblichen Kompositionen mit kleinen Ideen, Ausflügen und Variationen aufzufrischen und ihnen mit kompaktem rockendem Druck eine Frischzellenkur verpasst. Das sind freilich enger gesteckte Freiheiten, als etwa ein Bob Dylan seit Jahren auf seiner Neverending Tour erforscht, dadurch funktionieren Ferrry’s eigentlich so sehr in den 80er verwurzelte Songs aber auch zwingender, verkommen nicht zur Nabelschau, sondern gehen zweckdienlicher und paradoxerweise auch hungriger auf.
Es ist letztendlich nichtsdestotrotz eine perfektionistische Professionalität, die jeden Augenblick des Auftritts prägt. Im Gegensatz zu ähnlichen Größen wie Van Morrison kommt dabei zu keinem Zeitpunkt das Gefühl einer distanzierten Dienstleistung auf: Kleine anerkennende Gesten dem Publikum gegenüber wirken da wahre Wunder, heben Ferry’s nahbare Darbietung sogar beinahe in die Nähe der Gewichtsklasse des bis zuletzt mit beispielloser Leidenschaft agierenden Leonard Cohen) – man meint jedoch vor allem zu spüren, dass der Band der Auftritt schlichtweg Spaß macht.
Ein Unterhaltungswert mit Umkehrschluss: Das knappe Dutzend auf der Bühne hat den ausverkauften Stefaniensaal damit praktisch von der ersten Sekunde an hörig am Haken.
Nach extrem kurzweilig verfliegenden knapp eindreiviertel Stunden entlässt der Engländer dann deswegen auch entlang zahlreicher Highlights: Das treibende Slave to Love ist der erste von vielen Klassikern und Hits, Stronger Through the Years erweist sich als kraftvolle Fragilität, Bitter-Sweet dreht den Grad an Versponnenheit nach oben und Simple Twist of Fate darf Ferrys Ergebenheit für Dylan in gelösten Schwung vorführen. Bete Noir suhlt sich in der großartigen Atmosphäre und In every Dream Home a Heartache explodiert aus dieser heraus geradezu beängstigend intensiv.
Die großartige Lichtshow tut da in all ihren auftrumpfenden Facetten ihr Übriges, während die fabelhafte Setlist rund um Fanfavoristen wie Re-make/Re-Model beinahe alle (weil ein 2HB halt doch auch noch fein gewesen wäre) Wünsche abdeckt und das stilvolle Ambiente des Stefaniensaal die an sich gesalzenen Eintrittpreise alleine schon durch den vergleichsweise intimen Rahmen rechtfertig. Dass Ferry ausgerechnet Tags zuvor in der Wiener Stadthalle auch noch Editions of You spendiert hat, bleibt da der einzige kleine Wehmutstropfen – wirklich übel wird das dem Roxy Music-Boss aber wohl niemand genommen haben, während sich der Saal nach einem formvollendeten Abend passenderweise zur Untermalung durch die Todd Terje -Kooperation Johnny & Mary leert. Klarer Fall von A Night to Remember.
Setlist:
The Main Thing
Slave to Love
Ladytron
Out of the Blue
Bitter-Sweet
Where or When
Simple Twist of Fate
A Waste Land
Windswept
Bête Noire
Zamba
Stronger Through the Years
Like a Hurricane
Tara
Take a Chance with Me
Street Life
Re-Make/Re-Model
In Every Dream Home a Heartache
If There Is Something
More Than This
Avalon
Love Is the Drug
Virginia Plain
Let’s Stick Together
Do the Strand
Jealous Guy
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