BRUIT ≤ – Apologie du temps perdu, Vol. 1

von am 28. Januar 2023 in EP

BRUIT ≤ – Apologie du temps perdu, Vol. 1

BRUIT ≤ verschnaufen knapp einen Monat nach Parasite (The Boycott Manifesto) noch einmal mit dem meditativen, orchestral-anmutigen Kopfkino-Soundtrack Apologie du temps perdu, Vol. 1, um die Aufregung, die ihr Debütalbum The Machine is burning and now everyone knows it could happen again aus dem Jahr 2021 in mehreren Schüben verursachte, sacken zu lassen.

Die wohl beste „neue“ (…) Postrock-Band der letzten Jahre gibt dafür relativ außerhalb ihres theoretisch angestammten Genre-Hohheitsgebietes zu Protokoll:

During the past year we had the chance to travel across Europe and expending our first album on stage. Night after night we tried to push the limits of our individual energies and our collective sound. We had witness sonic, emotional and physical intensity that we never imagined we would have.  In this frenetic whirlwind it seemed essential to us to find moments to stop, meditate, and take a step back. These musical meditations take the form of an ambient EP in which we were able to freely explore the idea of creating a music refuge.
The whole was recorded in our studio „La Tanière“ and in the „Studio Capitole“ by mixing production techniques of all ages. In « La sagesse de nos aïeux », the composition have been made 100% on a paper as a tribute to the music of our ancestors, then it have been recorded and mixed on an old tape recorder. We then slowed down the tape to give this heavy and low sound that seems like fossilized. In « Rêveur lucide » we first recorded a guitar/bass improvisation on a 90’s cassette „portastudio“. This is the basis of the whole piece, which is then cut, processed and organized on software and then re-injected into synthesizers and other more contemporary treatments.
Finally, on „Les temps perdus“ we worked on scores for the synthesizers and the strings and in improvisation for the piano, the bass guitar and the drums. We created textures with an old Roland tape delay and at the end finalized the mastering on a beautiful Studer tape machine at Chab mastering with Adrien Pallot. This last piece is a form of synthesis of the experimentations of the first 2 pieces.

Tatsächlich haben Theophile Antolinos (Guitares / Tapes), Clément Libes (Violins /violas/ keyboards / bass), Julien Aoufi (Drums) und Luc Blanchot (Cello)  mit Apologie du temps perdu, Vol. 1 ein ganzheitliches kleines Juwel geschaffen, das seinen runden Spannungsbogen mit einem Songwriting verfolgt, das so geduldig und nuanciert seine grundlegende Dynamik und Akzente sorgsam ausbalanciert, die Ästhetik mit einer vielschichtigen Subtilität dekliniert, und jedes Element durchdacht bis ins Detail wirken lässt, wiewohl die knapp 25 Minuten der Platte so instinktiv gewachsen agieren.

In La sagesse de nos aïeux breitet sich der Score im Ambient sinfonisch und malerisch aus, sehnsüchtig tröstend schwelgen die Streicher romantisch und erhaben in einer neoklassizistischen Grandezza, bis die avantgardistische Dystopie um Sprachsamples düstere Ambitionen zeigt.
Rêveur lucide schimmert dort latent dröhnend und verschoben modifiziert, transferiert seine stellare, sphärische Elegie mit elektronischer Trip Hop-Schraffur in eine Aufbruchstimmung, deren Drums organisch, fast jazzig treiben und die Gitarren tänzeln, das Amalgam in wummernder Schönheit transzendiert, als hätten 65daysofstatic einen orchestralen Score für eine Godspeed-Doku geschrieben. Dass der Song als gefühlter Teil einer übergeordneten Suite, die das in sich geschlossene Gesamtwerk La sagesse de nos aïeux darstellt, zu kurz geraten ist, weil jeder der faszinierenden Parts gut und gerne ergiebiger erforscht hätte werden dürfen, steigert im Grunde nur die Sucht des Wiederhörens.

Les temps perdus schließt den Kreis als Kumulation und kontemplativer Space-Traum, der piepst und funkelt, betörend liebenswürdig pendelt, den Rahmen mit Streicher-Arrangements im retrofuturistischen Sinnieren legt, aber über den Horizont hinaus tragend majestätisch erblüht – und sein tatsächliches Finale beinahe zu abrupt findet, weil hier alles ewig weiterlaufen könnte, ohne dass per se ikonische Szenen im elegischen Gewächs entstanden wären.
Postrock ist das alles dann streng genommen freilich nur am Rande – oder eher im Kern – doch gerade das macht die Anziehungskraft dieser immer mehr wie ein vergessener Klassiker der Genre-Hochzeit auftretenden Band so eindringlich und reizvoll. Zu bemängeln gibt es insofern an sich wenig – nur das Prinzip der Pelagic Secret-Preorder, das mit Apologie du temps perdu, Vol. 1 seine Premiere feierte, muss man, mag das Label per se auch mehr oder minder nur Hochkaräter im Stall haben, nicht wirklich begeistert aufnehmen.

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