Bruce Springsteen & The E Street Band [18.07.2023: Ernst Happel Stadion, Wien]

von am 19. Juli 2023 in Featured, Reviews

Bruce Springsteen & The E Street Band [18.07.2023: Ernst Happel Stadion, Wien]

Stadion-Magie: Bruce Springsteen und seine (exklusive der abwesenden Patti Scialfa neben bewährten Tour-Mitgliedern und weiteren Gastmusikern auf eine 18 köpfige Besetzung angewachsenen) E Street Band beehren (womöglich gar zum letzten Mal, wie mancherorts gemutmaßt wird?) auf ihrer ersten Tour seit 2017 auch das Wiener Ernst Happel Stadion.

Bald den 74. Geburtstag begehend, merkt man dem Boss sein Alter in so mancher Bewegung mittlerweile dann doch ein klein wenig an – da kann er sich im formellen Zugabenblock noch so demonstrativ und neckisch das Hemd seines Rockabilly-Outfits aufreißen und die blanke Brust präsentieren; seine leidenschaftliche Performance hingebungsvoll in die beseelten Arme einer Band legen, die wohl nicht wenige als die beste ihrer Zunft preisen werden; oder über fast drei Stunden eine Spielfreude entfesseln, deren Unterhaltungswert man sich nicht einmal entziehen kann, wenn man womöglich nur gelegenheitshalber in das mit über 50.000 Besuchern ausverkaufte Ernst Happel Stadion gepilgert ist, um Zeuge eines Event-Charakters zu werden, der keine Pyro-Szenen, inszenatorische Effekthascherei oder sonstige Gimmicks benötigt, sondern ausnahmslos auf die Kunst musikalisch versierter Ausnahme-Könner setzt, die 26 Songs mit einer entwaffnend ausufernder Kurzweiligkeit inszenieren.

Bruce Springsteen 2

Während die Auswahl der Nummern immer wieder auch von einer latenten Nostalgie, Sentimentalität und Wehmut im Angesicht der Vergänglichkeit zeugt (vor allem bei den beiden Quasi-Acoustic-Solostücken – dem unter die Haut gehenden The Last Man Standing, bei dem sich Bruce von mitunter etwas holprigen Untertiteln und später auch der Trompete von Barry Danielian begleitet an die Anfänge der Castiles und den Tod seiner ehemaligen Kollegen erinnert, sowie dem tranigen, vom Publikum jedoch behutsam mitgetragenen Closer I’ll See You in My Dreams; aber auch bei dem Danny Federici und Big Man Clarence Clemons gedenkenden Tenth Avenue Freeze-Out) ist da noch so ein Zeichen der Zeit: Springsteen setzt diesmal erstmals nicht auf die Unberechenbarkeit einer täglich variierenden Setlist, sondern bespielt jeden Tourstopp mit mehr oder minder derselben Setlist.
Ohne die hier und da auftauchenden Ausnahmen, die die Regel bestätigen, bekommt Wien so gewissermaßen ein vorab erwartbares Program serviert – das sich aber zu keinem Zeitpunkt nach einer starr bleibenden, routinierten Pflichtaufgabe anfühlt: Wo anderswo die Massenabfertigung mitschwingen würde, lieben hier über ein Dutzend makellose Handwerker so offenkundig das, was sie tun, und stecken durch eine beispiellose Authentizität in diesem Mega-Rahmen mit dem Spaß an der Sache an, der Funke springt sofort über. Wieviel Spielfreude alleine in Kitty’s Back steckt, ist so eigentlich unermesslich.

Springsteen 3

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Generell ist es schwer bis unmöglich, an einem gerne auch ewig hätte weitergehen dürfenden Abend seine persönlichen Highlights herauszupicken.
Die Gänsehaut erzeugende Rezitation von Springsteen im perfekten, an Tiefgründigkeit gewinnenden Backstreet? Der kaum weniger erhebende Soul (SOUL!) des perkussiv getragenen Nightshift samt einem vogelfreien Nils Lofgren? Oder die massiv treibenden Drums im Duett She’s the One – bevor Exzentriker Steve Van Zandt in Working On The Highway oder gerade auch in der grandiose Posen reißenden Slapstick-Passage um Glory Days, Dancing in the Dark und dem den Born In the USA-Run einleitenden Bobby Jean zeigen kann, warum Silvio Dante der bestmögliche Lieutenant für seinen Kumpel Bruce bleibt, weil diese Szenen den Po wackeln lassend nur zu einfach aufgesetzt und latent lächerlich wirken könnten, aber wirklich alle – auf der Bühne und davor – ein glückseliges Lächeln im Gesicht zeigen?

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Die unerbittlich Stimmung machenden Mitmach-Endorphine The Rising, Mary’s Place und Prove it All Night? Oder doch eher die unsterblichen Überhits wie Born to Run entlang seiner brillanten Bläser-Sektion mit einem längst angekommenen (wenn auch immer noch nicht offiziell im Gefüge aufgenommenen) Jake Clemons? Das vom Publikum gestemmte Thunder Road mit all seiner universellen emotionalen Auftrittsfläche? Die von der Kamera-Abteilung wirkungsvoll eingefangenen Freude im Gesicht junger und alter Besucher, wenn sie Plektren oder gar eine Mundharmonika abgreifen, derweil Bruce immer wieder am vorderen Bühnenrand zur direkten Publikumsinteraktion schreitet?

Tatsächlich muss man sich nicht entscheiden: Wo auch das Set ohne wirkliche Unterbrechung auskommt, verschwimmt hier ein fantastischer Augenblick in den nächsten, bleiben nur die heftig überzogenen Merch-Preise (die aber eine passgenaue Vorbereitung auf Depeche Mode kommende Woche bieten) ein negativer Wehrmutstropfen, tanzen all die unzähligen mitgebrachten Schilder und Plakatee in einer begeistert mitmachenden Menge, der auch noch ein wirklich gut gelungener Sound kredenzt wird und die eine zeitlos gute Show mit viel Momentum so motiviert dargeboten bekommt, so lebendig, frisch und motiviert, dass man nur hoffen kann, dass dies, knapp 50 Jahre nach ihrer Gründung immer noch die Maßstäbe diktierend, nicht tatsächlich die letzte, so atemberaubend wie eh und je keinerlei Altersschwäche zeigende Tour der heart-stopping, pants-dropping, hard-rocking, booty-shaking, love-making, earth-quaking, Viagra-taking, justifying, death-defying, legendary E Street Band und ihrem zuverlässig arbeitenden, glohrreichen Leader Springsteen war.

Setlist:
No Surrender
Ghosts
Prove It All Night
Letter to You
The Promised Land
Out in the Street
Darlington County
Working on the Highway
Kitty’s Back
Nightshift
Mary’s Place
The River
Last Man Standing
Backstreets
Because the Night
She’s the One
Wrecking Ball
The Rising
Badlands
Thunder Road

Born to Run
Bobby Jean
Glory Days
Dancing in the Dark
Tenth Avenue Freeze-Out
I’ll See You in My Dreams

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