Brian Fallon – Sleepwalkers
„The new album is a drastic shift“ führte als Vorabdiagnose also mit journalistischer Sensationsgier auf die falsche Fährte: Sleepwalkers setzt die Discografie des Brian Fallon mit einem geradezu klassischen Traditionsbewusstsein wenige Wagnisse eingehend zuverlässig fort – schielt genau genommen sogar eher zurück zu einer Zukunft nach Get Hurt.
„Ach, das ist einer der Momente, in denen die Presse ist. (…) Die Musik auf Painkillers ist sehr folkbasiert. Deswegen war es eine einschneidende Veränderung – vom akustischen zum hauptsächlich elektrischen Gitarrensound des neuen Albums.“ bemüht sich der 38 Jährige Frontmann (der ihre Bandpause für aktuelle Jubiläen unterbrechenden) The Gaslight Anthem also rückwirkend klarzustellen und ergänzt: „Ich bin einfach nicht der Typ für einschneidende Veränderungen. (…) Ich glaube, ich bin gut im klassischen Songwriting. Ich mache halt, was ich mache. Ich experimentiere nicht herum, um etwas komplett Einzigartiges zu erschaffen. Ich will einfach nur meine Seite im Buch der Songwriter vollschreiben.“
Es ist also auch relativ zu verstehen, dass er selbst da auch 60s R&B, amerikanischen Soul und vage nachvollziehbare Erinnerung an den britischen Punk (wenn dann in kuschelig-handzahm) ins Spiel bringt, wenn es um die Einflüsse zu seiner zweiten Soloplatte geht, und Fallon The Animals, Vox Continental-Orgeln, The Jam oder Elvis Costello and the Attractions als wichtige Impulsgeber markiert: Letztendlich bleibt vor allem Springtsteen und sein Heartland Rock das prägende Rückgrat der versammelten 51 Minuten.
Womit die Quintessenz der (im positiven wie negativen) wertkonservativen Zuverlässigkeit Sleepwalkers dann auch adäquat umrissen ist, letztendlich höchstens verschweigt, dass sich Fallon mit einer neuen Backingband – The Howling Weather – durch die stilistische Inszenierung, auch die Produktion vom Spezi Ted Hutt sowie demonstrativen Gospel-Versatzstücken wieder deutlicher, flotter aber nur bedingt energischer dem Spannungsfeld zwischen dem Horrible Crowes-Debüt Elsie und der bis dato aktuellen The Gaslight Anthem-Platte annähert.
If Your Prayers Don’t Get To Heaven lässt die Gemeinde mit warmen Harmonien, Backingchören und (immer wieder aufgefahrene) Handclaps locker aus dem Handgelenk geschüttelt schunkeln, Forget Me Not liebäugelt hinter den üblichen Schema-F-Texten kurz damit Zähne zu zeigen, entscheidet sich jedoch lieber für den sicheren Middle of the Road-Hit – auch nicht vollkommen falsch.
Come Wander With Me verschenkt seinen oszilierend-luftigen Beinahe-Dub-Groove, bevor Sleepwalkers dem Albumtitel folgend vor allem im Mittelteil etwas zu beliebig zur reinen Hintergrund-Gefälligkeit mutiert. Nummern wie Her Majesty’s Service laufen jedoch ansatzlos durch, gehen gut ins Ohr wie synthiebefreite The Killers-Bagatellen, tun niemanden weh und finden den geschmackvollen Konsens. Da folgen dann auf dröge Nichtigkeiten wie das folkige Proof of Life ganz nonchalant zügiger auftretende Kurbler wie die live sicher zündenden My Name Is the Night (Color Me Black) und Little Nightmares, doch letztendlich sind selbst bläsergestützte Ausbrüche wie der Titelsong in der Amplitude eine Nudel – ein Teig; da kann ein Neptune noch so sehr bimmeln und sogar ein überraschendes Solo auspacken.
Wo die Inszenierung theoretisch für mehr Variabilität und Drive im Auftreten und der allgemeinen Dynamik sorgen, verschieben die Arrangements das Spektrum nämlich nicht, gönnt Fallon seinen Kompositionen primär Beiwerk, keine Perspektiven. Weswegen die neu gesetzten Impulse praktisch auch nicht kaschieren können, dass das grundsätzliche Songwriting hinter Sleepwalkers zumeist erstaunlich spannungsarm ausfällt. Es ist dabei gar nicht das essentielle Problem der Platte, dass Fallon hier letztendlich bloß ein weiteres traditionsbewusstes Fallon-Album entlang der Erwartungshaltung aufgenommen hat, das Überraschungen abseits geringfügig verschobener Nuancen im Repertoire vollkommen ausspart – gewissermaßen ist diese konstante Vertrautheit sicher auch sogar eine Stärke, indem Sleepwalkers alleine schon auf einer gewissen Nostalgieebene abholt.
Doch hat das Material dahinter schlichtweg nicht das qualitative Gewicht, um diese Gemütlichkeit zu stemmen. Deswegen unterscheidet sich Sleepwalkers von einer wirklich überzeugenden Fallon-Platte auf die selbe Art, wie sich etwa ein durschnittliches Motörhead-Album von einem starken abgrenzt: Durch die Klasse des Materials. Und hier fehlt es Sleepwalker eben an erinnerungswürdigen Hooks und Riffs, einem inspirierten Auffrischen der Komfortzone oder schlichtweg zwingenden, herausragenden Stücken, wie der Vorgänger es beispielsweise in Form von Steve McQueen zur Verfügung hatte – auch wenn das melancholisch treibende Watson knapp dran ist.
Oft sind es schließlich nur wenige Zentimeter, die fehlen. Beispielsweise, wenn sich das nachdenkliche Etta James in seinem Refrain für den Weichspüler anstelle kräftigender Stärke entscheidet und so zum müden Langweiler, anstatt zur Hymne wird. In seiner catchy-beiläufigen Wohlfühloase ruht Sleepwalkers seine Fallon-Manierismen überhaupt lieber guten Gewissens aus, legt keine Power an den Tag, verwertet Gefühle und Melodien ohne Biss wieder, so dass sich die Platte selten nach mehr als nur einer soliden Routinearbeit und Dienstleistung anfühlt, die dem treuen Fan in die Karten spielen will. Leidenschaft und Feuer kommen zu kurz. Vielleicht ja, weil Fallon damit beschäftigt ist, jedwede Ambitionen im Zaum zu halten, seinen klassischen Verhaltensmustern trotz der gewachsenen Möglichkeiten des Instrumentariums nicht im Weg zu stehen – was dann auch den Unterschied zu All In-Vorbildern wie Costello ausmacht.
Das alles verleiht dem nichtsdestotrotz kurzweiligen Sleepwalkers unter dem Strich eben nicht nur den vorhersehbaren Fallon-Baukasten-Charakter, mit dem man sich postwendend zufrieden geben würde (und an dieser Stelle trotzdem darauf verweist, dass Alex Rosamilia mit seiner neuen Band Dead Swords aktuell interessantere Ansätze verfolgt – nachzuhören auf Bandcamp!), sondern auch Wesen, das seine Arrangements brach liegen lässt und seine genormte Standards mit zu satter Intensitäten pflegt. Das ändert nichts am grundlegenden Können und der Handwerkskunst Fallons, beschneidet aber die Individualität von Sleepwalkers auf enervierende Weise.
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