Brand New – Science Fiction
Alternartive Rock an der Schnittstelle zur Makellosigkeit: Science Fiction ist mindestens ein weiteres kryptisches Puzzlestück im nonkonformistischen Mythos, der Brand New seit langem umgibt. Darüber hinaus jedoch eventuell sogar der finale evolutionäre Krönungsprozess der nach 2018 wohl nicht mehr existierenden Ausnahmeband.
Man kann sich als Fan rund um das Erscheinen von Science Fiction erst ( bzw. wieder einmal) schäbig behandelt fühlen: Wann und ob überhaupt ein Nachfolger zu schwierigen Noise-Derwisch Daisy von 2009 erscheinen würde, war nicht immer klar – zeitweise ebenso wenig, ob Brand New als Band überhaupt noch existierten. Vereinzelte Touraktivitäten nahm man insofern ebenso dankbar zur Kenntnis, wie die Aufarbeitung alter Komplikationen, neu eingespielter Demos, die poppunkig-unkomplizierten Revitalisierungsbagatellen Mene und I Am A Nightmare sowie die unvollendete Live-Baustelle Sealed to Me.
Und dann am 15. August 2017 plötzlich doch konkrete Aktionen – aber eben auch Zuckerbrot und Peitsche, Marke Jesse Lacey: Brand New verkünden, dass LP Nummer 5 fertiggestellt sei und über den hauseigenen Store als „Very Limited Vinyl Edition“ zum Preorder bereit stünde. Um saftige 45 Dollar. Wofür man diese Summe der notorisch unberechenbaren Band genau überweisen würde – unklar.
Aber egal, schließlich reden wir hier von Brand New. Ärgerlich nur, dass der Shop unter dem Andrang permanent in die Knie ging, selbst aussichtsreiche Order-Versuche kurz vor der Finalisierung noch abbrachen und praktisch sowieso keine Bestellung ohne Komplikationen abzulaufen schien. Bis das Begehrte Teil in Windeseile ausverkauft und die Enttäuschung am Maximum angelangt war.
Und einen Tag später? Ist Science Fiction über Nacht bereits kurzerhand an ausgewählte Fans als einzelner Longtrack (44.5902N104.7146W betitelt – die Koordinaten des Devils Tower National Monument und Schauplatz des 1977er Streifens Unheimliche Begegnung der dritten Art) inklusive Booklet mit Zitaten aus dem Schachduell in 2011: Odysee im Weltraum verschickt worden. Einzelne Tracks mussten aus diesem Brocken erst mit Shazam herausgehauen werden, bevor das Album sowohl digital als auch physisch problemlos für die Allgemeinheit erhältlich wurde.
Eine rundum verquere Veröffentlichungsgeschichte also, die im innerlichen Konflikt aus darbender Fanboy-Sonnenbrille und Frustrations-Kasteiung schlußendlich aber nur zu perfekt auf das zwischen stiller Hofflungslosigkeit und laut ausbrechender Verzweiflung pendelnde Science Fiction passen will.
Schließlich ist Brand News fünftes Studiowerk grundsätzlich ein ambivalent agierendes Album, dass das Momentum nutzt, sich jedoch vor allem lyrisch auch immer wieder dezitiert aus abermals aufgegriffene Motiven der bisherigen Discografie speist, um das eventuell finale Kapitel der Bandgeschichte als Hybrid musikalisch mit neuen Perspektiven zu verorten. Das Quartett hat aus dieser Position heraus einen vor Details strotzenden Mikrokosmos konstruiert, der hinter den begleitenden Geburtswehen und dem Fragen aufwerfenden Artwork, in seiner unheimlich dichten Atmosphäre und brillant vielschichtigen Produktion, den zahlreichen einverleibten stimmungsvollen Interludes und reichhaltigen Querverweisen einen gleichermaßen in sich geschlossenen wie weitschweifend ausholenden Fluss generiert.
Es gibt deswegen vollkommen selbstverständlich gewachsene Momente wie Desert, in dem die Band mit abgedämpft hallendem Geklampfe behutsam und anklagend mit verführerischen Backgroundgesängen durch eine Art postapokalyptischen Chain Gang-Blues-Annäherung arbeitet und mit christlich-fundamentalistischem The Archers‘ Bow Has Broken-Reminiszenz-Zeigefinger klingt wie nie zuvor. Anderswo wiederum verschlingt alleine die Suche nach all den biblischen („A million suns won’t fill you up/ If you can’t see the wine flowing over your cup„), sozialkritischen („I’m awake, there’s no part to play/ Drinking Drano, smoking grass, one under the pass„) und geschichtlichen („Slowly floss your holy molars/Deader than a Donner daughter„) Hinweisen im lauernden, über aufbrausend martialische Schüben mit wuchtig polternden Drums und eskalierenden Gitarren angreifenden (Fahrenheit) 451 selbst mit Hilfe Zeit ohne Ende.
Man kann sich also nur zu leicht in die vielen Ebenen von Science Fiction verlieren, wenn Meta-Kommentar zum eigenen Status Quo und depressiv-aufwühlende Befindlichkeitsanalyse verschmelzen, die Vergangenheit, Gegenwart und die proklamiert bereits abgesagte Zukunft der Band in 62 Minuten bravouröser Songwriter-Klasse kulminieren – auf ausufernde Art fokussiert; griffig, ohne auf Schiene zu fahren; entgegenkommender als das zerstörerische Daisy, aber nicht weniger fordernd.
Allzu straight ausgerichtet sind die Kompositionen dabei nämlich nur selten: Can’t Get It Out spielt beispielsweise mit reellen Abschiedsgedanken („I’m strumming with a heavy wrist/Were you one of the cured kids?/My shins burn for the replica youth/I hope that we can eject soon„) und verweist auf Limousine (MS Rebridge) („Because I don’t want to surrender/Or lose your face in the crowd„), während Brand New einen mitreißenden Midtempo-Hit spielen, der seine Noise-Finte mit angezogenem Alternative Rock in einen supereingängigen Refrain poltern lässt, immer hymnischer wird und sich unter bodenständigen mehrstimmigem Gesang eine Gitarre aufreibt.
Das catchy inszenierte Out of Mana lauert später dagegen um die herrlich gegen den Strich gebürsteten Gitarrenausbrüche von Vincent Accardi, wo No Control etwas zu konventionell gestrickt zum gedämpften Stadion drückt – dass die Stärken von Science Fiction allerdings ohnedies nicht in der Kompaktheit liegen, sondern im ganzheitlichen Mahlstrom des referenzschwangeren Gesamtkunstwerkes, ist zu diesem Zeitpunkt der Platte längst klar.
Lit Me Up beginnt etwa als Reflektion eines Traumes – elegisch, sphärisch glimmernd. Eine treibende Nummer, dunkel und abgründig pulsierend wie organische Depeche Mode, kanalisiert der Opener die Rahmenhandlung des therapeutischen Science Fiction. „When I grow up I want to be a heretic/ I want to climb over the wall ‚cause I’m not on the list/ I want to put my hands to work till the work’s done/ I want to open up my heart like the ocean“ installiert Jesse Lacey das Wasser-Element als tragende Projektionsfläche, bringt in gewissem Maße Gedanken der scheinbar unendlich lange zurückliegenden, erst über die Jahre zu seiner vollen Größe herangewachsenen Verweigerungshaltung Daisy zu Ende und öffnet ein Labyrinth der Referenzen: „I don’t mind having all this going on inside of me„.
Die sparsam gehaltene Zurücknahme Waste spielt deswegen mit von der The Devil and God are Raging Inside of Me-Sternstunde Limousine (MS Rebridge) entliehenen Bild des typischen Amerikaners („Yeah, we feel so American laying in the road/ Was a shoe-in for the crash of the day/ And we’re never going to walk away/ Never going home„), legt sich dazu unaufgeregt und fast lethargisch in eine beschwörende Schönheit, bevor Could Never Be Heaven die variable Dynamik der Platte zur gezupften Akustikballade zurückschraubt, nachdenklich und unspektakulär zwischen Jude Law And A Semester Abroad („And all of the songs were about you„) und At The Bottom („There were people I love below me singing„) bezaubert.
Von letzterem spannt Lacey im überragenden, Modest Mouse‚esken Same Logic/Teeth lyrische Bande zu Luca: „At the bottom of the ocean fish won’t judge you by your faults„. Was als unangestrengter Rock mit spanischen Gitarrenversatzstücken anläuft, packt emotional in immenser Bandbreite immer zwingender und wird zu einem Husarenritt, der bald tief in das allgegenwärtige Meer abtaucht.
„Under the ocean/ Next to a boiling vent“ dirigiert Lacey seine Band in 137 durch Klangräume, die sich am Sound von Nirvana laben. In den allgemeinen Referenzen stehen Slint in einer in sich gekehrten, stillen Mühelosigkeit neben Pearl Jam, eingefangen von einer Band, die mit sich selbst im Reinen scheint. Die Gitarren perlen so ruhig über die Percussion, während der in den vergangenen Jahren an Schreibblockaden, psychischen Problemen und körperlichen Gebrechen knabbernde Bandkopf über den Rand des nuklearen Vulkans tanzt und seine Band den Song plötzlich in einen eruptiven Exzess steigert. Tatsächlich heavy und brutal peitsche die Amerikaner noch, setzen die Daumenschrauben eher subtil mahlend an und denken ihre klar erkennbare Handschrift in zahlreichen neuen Facetten und Nuancen weiter.
In In the Water schweben Brand New mittels altbekanntem Textsampling so über Daisy-Fragmente („And we sing this morning that wonderful and grand ol‘ message/ And I don’t know about you, I never get tired of it„) soulige Orgelteppiche und wüstenraue Mundharmokia-Pastel, mit großem Refrain und befreiend in die Breite gehenden Finale. Wie auslaugend die Wartezeit für alle war, darüber ist sich Lacey freilich bewusst. „Can’t fake it enough/I don’t want it enough/So everyone’ll wait„.
Und natürlich hat Science Fiction als erschöpfende Geduldsprobe, die sich wohl erst im Kontext der bisherigen Discografie restlos erschließen möchte, jedoch auch außerhalb dieser furios funktioniert, nichtsdestotrotz kleine Schönheitsfehler.
Die zwölf einzelnen Songs können für sich selbst genommen etwa nicht gänzlich die Monumentalität erzeugen, die dieses unverhoffte Mammutwerk als Ganzes hervorruft. Auf Gesamtsicht fehlen der Platte zudem die restlos überwältigenden Gänsehautmomente, die gerade The Devil and God Are Raging Inside Me in den Klassiker-Status gehoben haben. Alleine, dass sich Science Fiction aber primär nur an dem hauseigenen Meisterstück messen lassen muss, kann dann aber als Qualitätsmerkmal verstanden werden.
Spätestens wenn das abschließende Batter Up als schmerzhaft niedergeschlagene Traurigkeit voller Resignation („In the valley of your slowly-fading memory/ Are there pastures bathed in some uncertain light where you won’t graze?/ Paths you won’t take?/…/ It’s never going to stop/ Batter up/ Give me your best shot„) das zumeist ohnedies so getragene Tempo der Platte hinten raus vollkommen entschleunigt, machen es Brand New einem mit Klos im Hals niemandem mehr einfach und ringen mit sich selbst, bringen die Dinge aber auf den Punkt: „That was the one right there/That’s what we were waiting for„.
Stimmt so. Sollte dies also tatsächlich der Schwanengesang dieser Ausnahmeband sein – es wäre als sensibler, intensiver, monolothischer Kraftakt ein würdiges Finale, um die Geschichte von Brand New rund zusammenzufassen und triumphal zu Ende zu schreiben, mit Tränen in den Augen und hoffnungsvollem Lächeln auf den Lippen: „And even though the roar died in your throat/ The lines get blurred/ Lose whoever you once were/ Died and returned to the earth/ Found ourselves back/ In love„
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