Botch, Great Falls [09.03.2024: Arena, Wien]
Legendenabend in der Wiener Arena: Die stets so unverdient unter dem Radar der allgemeinen Aufmerksamkeit fliegende Allstar-Institution Great Falls macht den Support Act für die als Abschiedstour dienende Rückkehr von Botch.
Angesichts dieser Konstellation – und richtiger: alleine schon aufgrund der unfassbaren Freude darüber, dass das ikonische Quartett aus Tacoma nach der einsamen Single One Twenty Two (die sich mittlerweile übrigens als relativ straighter Ohrwurm ideal in die Klassiker-Setlist einfügt) zwanzig Jahre dem eigentlichen Bandende 2002 tatsächlich noch einmal live in hiesigen Gefilden erleben zu dürfen! – ist es eigentlich unglaublich, dass die Arena nicht aus allen Nähten platzt, sondern nur sehr gut gefüllt ist, aber eben nicht voll besetzt. Ob Wien im Speziellen nicht wirklich interessiert an der Farewell-Tour von Botch ist, oder, was angesichts der Berichte der restlichen Tour-Stopps bisher wahrscheinlicher scheint, sich das Interesse auf Botch in Europa ganz Allgemein im überschaubaren Rahmen bewegt, bleibt offen.
Nachdem Dave Verellen, mittlerweile mit Glatze und stylischem Oberlippenbart ausgestattet, sich dafür entschuldigt hat, dass es doch etwas länger gedauert hat, bis seine Band wieder mal im Lande sei, wird jedenfalls eruiert, wie hoch die Quote der extra für die Show von auswärts angereisten Besucher ist im Raum ist – und gefühlt sind da alle Hände in der etwas luftiger gefüllten Location oben. (Zumindest eine Gruppe Italiener mit einem wie unter Koks-Begeisterung dauerbrüllendem, sogar die ruhigen Parts von Oma in unangenehmer Selbstdarstellung belästigenden Leitwolf, tut dann übrigens auch alles, damit dies bemerkt wird.)
Beim Set von Great Falls ist dieser Umstand freilich noch offenkundiger: die Halle ist zum Zeitpunkt, als die Veteranen die Bühne betreten, vergelichsweise spärlich gefüllt – doch notfalls kann man das Trio aus Seattle auch in der kompakten Einlass-Schlange vor der Arena gut hören. So laut und gewaltig nehmen Great Falls in die Mangel, spielen ihr Amalgam aus Noiserock, Mathcore und Post Hardcore mit einer sich selbst zerfleischenden Intensität im aggressiven Sound-Moloch, der so dicht gestrickt reißend schnell und auslaugend zäh plättet. Der hühnenhaft aufragende Shane Mehling behandelt seinen geschwungenen Bass eher, als würde er dem Instrument mit attackierender Schlaghärte pure Brutalität beibringen müssen, geißelt ihn regelrecht, während seine beiden Kollegen Demian Johnston und Nickolis Parks mit brüllender Giftigkeit Spitzen setzen.
Vor allem die Objects Without Pain-Klammer aus Dragged Home Alive und Thrown Against the Waves gerät so furios, weil noch dreckiger und garstiger als auf Platte, aber auch das zu Funny What Survives abbiegende Material dazwischen (das von der Band trotz Setlist nicht namentlich identifiziert werden kann) überzeugt absolut.
Great Falls geben sich danach am Merch-Stand umso freundlicher und versprechen wiederzukommen. Besser wär’s: diese, so gerne unter Wert verkaufte Band, mit ihrem von Kiss it Goodbye bis Playing Enemy reichenden Reputation, ist eigentlich viel, viel zu gut, um „nur“ mit zu kurzer Spielzeit von knapp 30 Minuten im Vorprogramm aufzutrumpfen – die haben einfach absolutes Hauptattracktions-Klasse, das weiß man. Und live sind sie einfach noch deutlich besser, als auf Tonträger.
Mit ziemlicher Sicherheit nicht wiederkommen werden dagegen Botch, die mit dieser Comeback-Tour eben auch gleichzeitig eine Farewell-Runde drehen. Und damit ordentlich Eindruck hinterlassen. Viel mehr noch: Die Eindrücke des Wien-Gastspiel des Quartetts halbwegs nüchtern und ohne ständige Superlative zu sammeln, zu reflektieren und wiederzugeben, erweist sich, ganz ohne nostalgische Verblendung, als nahezu unmöglich.
Denn wo die – niemandem zum Poser machenden – Rahmenbedingungen (vom Sound bis zur bockstarken Lichtshow) überzeugen, ist die Performance, die Botch abliefern, einfach brillant und schlichtweg euphorisierend. Keine schale Denkmalpflege, sondern hungrig und dringlich, motiviert und perfekt auf den Punkt findend (wenn man davon absieht, dass die Pause zwischen regulärer Setlist und Zugabe ein klein wenig den Druck aus der Show löst – dafür aber im Durchatmen eben doch auch eine fabelhafte Steilvorlage für das atmosphärische Afghamistam darstellt, in dem Bassist Brian Cook den melancholischen Gesang übernimmt, derweil Charismatiker und Chef-Sympath Verellen in der Menge badet, unzählige Hände abklatscht oder das Szenario wassertrinkend am Schlagzeugpodest sitzend beobachtet (und ausnahmsweise mal nicht seine ständig die Senkel öffnenden Schuhe neu binden muss, bevor er nach Konzertende noch mit den ersten Reihen tratscht).
Die Stimmung auf und vor der Bühne ist vom ersten Moment an gut, steigert sich aber mit Fortdauer des (nahezu wunschlos befriedigenden) Sets immer weiter, da viele Besucher nach und nach ihre Hemmungen ablegen, ein bisschen Extase liegt gar in der Luft.
Praktisch ansatzlos wird crowdgesurft (obgleich Verellen explizit darum bittet, ein wenig mehr aufeinander aufzupassen, und so machen Sprung in die Menge besorgt beobachtet), der Pit ist (abseits der italienischen Beeilung) positiv ausgelassen und die meisten Songs (vor allem natürlich Hutton’s Great Heat Engine ist ein Gemeinschaftserlebnis) werden frenetisch mitgebrüllt, manchmal gar mit durch die Menge gereichtem Mikro. John Woo, Thank God for Worker Bees, Japam,… da reihen sich die Highlights ohne Unterlass aneinander – und sie klingen als chaotische Wirbelstürme heute genauso frisch und kraftvoll wie damals, werden wohl auf ewig ein Nonplusultra darstellen.
Dass Groove-Monster Cook gegen Ende ein Kabel eingeht und er von der Bühne muß, um ein neues zu holen, während Dave Knudson an Soundeffekten bastelt und Tim Latino die so nach Transitions From Persona to Object entstehende ungeplante Wartezeit mit einem stoischen Schlagzeugbeat ausfüllt, bevor man unter den Augen von Chauncey nicht erst im explodierenden Saint Matthew Returns to the Womb demonstriert, wie tight die Musiker im blinden Verständnis aufeinander eingespielt sind, sind da nur ein paar explizite Momente, die sich ins Gedächtnis einbrennen.
Die Freude und Dankbarkeit der Band über die Freude und Dankbarkeit der Fans kommt ehrlich und authentisch daher, macht den (durch die abschließende lange Schlange am Merch-Stand weit nach Show-Schluss um 22.00 Uhr noch nicht beendeten) Abend immer mehr auch zur Herzensangelegenheit, die alle Hoffnungen und Erwartungen für diese einmalige Rückkehr nicht nur stemmt, sondern übertrifft. Die manchmal geführte Diskussion darüber, ob Botch die wichtigste Gruppe in der Geschichte des Genres seien, kann an diesem Abend jedenfalls gefühlt nur eine Antwort kennen.
Setlist:
To Our Friends in the Great White North
Mondrian Was a Liar
John Woo
Spaim
Japam
Framce
Oma
Thank God for Worker Bees
One Twenty Two
Vietmam
Transitions From Persona to Object
Hutton’s Great Heat EngineEncore:
Afghamistam
C. Thomas Howell as the „Soul Man“
Saint Matthew Returns to the Womb
(Hives)
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