Boris – ア バオ ア ク -Boris Performing Fade-

von am 5. März 2024 in Livealbum

Boris – ア バオ ア ク -Boris Performing Fade-

ア バオ ア ク -Boris Performing Fade-: ein 2022er-Drone-Kunstwerk wird live zu einem Fanpleaser-Meisterstück seiner Zunft. Der Beweis ist als Download via Bandcamp digital erschienen.

Aufgenommen am 2. April 2023 in Tokyo (und für diesen Mitschnitt die damalige Zugabe Feedbacker aussparend) verschmelzen Takeshi (vocals & guitar), Wata (guitar [Tatsache!], bass & echo) und Atsuo (drums & electronics) für die Darbierung von Fade auf der Bühne zu einem soundgewordenen Kutten-Organismus und zelebrieren Drone-Können auf einem Level, dem nur wenige auf Augenhöhe begegnen können: auch wenn das wahre Ausmaß der vor Ort entfesselt sein müssenden Intensität freilich nicht restlos adäquat eingefangen worden sein kann, erschüttert die Macht der Rückkoppelungen und in Zeitlupe verschobenen Frequenzen selbst in konserviertem Zustand unter die Haut gehend, fesselt und packt und fasziniert in seiner instinktiven Natürlichkeit.
Mehr noch, als es die Studioversion Ende 2022 bereits tat.

Unterschiede zwischen den Versionen sind dabei schon bei einem Blick auf die Trackliste erkennbar, indem die ursprünglich kürzeren Stücke nun etwas länger ausgefallen sind, während die im Studio-Original längeren Nummern etwas gekürzt wurden. In beiden Fälle bleiben Boris dem Ausgangsmaterial dabei zwar relativ treu, nehmen sich aber gleichzeitig die Freiheiten, die ursprünglichen Gefühlswelten weiter zu erforschen.
Konkreteres lässt sich gleich an 序章 三叉路 aufzeigen: Wo der Opener auf Platte weite Strecken in den Ambient vermaß, lehnt sich die Live-Variante in physischere Welten, ist purer Drone, dessen monströse Gitarren nun nicht mehr nur erahnen lassen, welch unfassbare Präsenz, welches Gewicht, welche körperlich eindringliche Erfahren diese meditativen Wellen in der Trance der Heaviness bedeuten. Alles wirkt bedrohlicher, intensiver, auch härter – die Transformation der Nummer in den Zeitlupen-Metal gen Ende passiert runder.

Auf diese Weise entstehen eigene Identitäten in jeder Interpretation von ア バオ ア ク –Boris Performing Fade-, auch wenn die Distanz wie etwa in 第一章 月光の入り江 -Howling Moon, Melting Sun- weniger gravierend ausfällt. Hier sind beispielsweise die halluzinogenen Stimmen verschwunden, dafür vibriert der Klangkomsos finsterer und rumort gar, als würden die Saiten guttural zum Funeral Doom growlen, derweil die Becken akzentuierter zappeln und alles kompakter gehalten in einem Space-Delirium transzendiert, wo das somnambule 第二章 満ち草 nun wie ein Roadhouseblues schwoft.
Das zähe 第三章 (汝、差し出された手を掴むべからず) schreitet zuerst in relativ dichter Werktreue als okkulte Slow Motion, doch der subkutane Ausbruch in den rotzig fetzendem Punk ist bei alles schleierhaft verbliebenen Entrückung nun mehr als nur Andeutung.

Die dereinst kompakt ins sich selbst gehende, durchatmende Drohgebärde 第四章 マリンスノー wird auf vollständig neues Fundament gebaut: die ursprüngliche Komposition (mit ihrem sich gleichermaßen wie ein generischer Archetypus und ebenso ikonische Zeitlosigkeit des Genres anfühlendem Riff) nimmt live nur das finale Drittel der verdreifachten Spielzeit ein – davor üben Boris als ultimativen Kontrast ein Experiment in Sachen Reduktion und verfolgen eine Art Tinnitus-Grundton, dessen Nullinie über weite Strecken kaum merklich variiert. Wo der Drone sonst oft in seiner Lautstärke und Dominanz der Heaviness plättet, muss man hier genau hinhören, um überhaupt irgendeine Aktivität feststellen zu können. Das funktioniert im Verlauf, im Sog, dann auch deutlich faszinierender, als es sich lesen mag.

Mit Geduld verwaltet das Trio danach die grundlegend wenig originellen, dafür aber umso kompetenter beschworenen Stärken des Genres (und der eigenen Ausnahmestellung darin) anhand von 終章 a bao a qu -無限回廊-, dessen Klangraum an abstrakter Konkretisierung praktisch lehrbuchartig funktioniert. Bis ア バオ ア ク -Boris Performing Fade- dann vor dem sparsam vorkommenden Applaus des über weite Strecken in Andacht verharrendem Publikums relativ abrupt abgedreht wird, macht all dies vielleicht streng genommen kein Meisterstück des Drone aus, keinen essentiellen Klassiker des Genres.
Aber mit Fanbrille (und einer grundlegenden Begeisterung für Fade, das hier so etwas wie sein optimiertes Update erhält) stellen die 73 Minuten des vorerst nur digital veröffentlichten Konzert-Mitschnitts subjektiv ein veritables Sahnestück der Boris-Diskografie dar, das zwischen den Punkten liegend die Aufrundung bei der Bewertung absolut verdient.

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