Boris & Merzbow – 2R0I2P0
„This year was a period of trial for everyone in the world“ sagen Boris, oder eben: 2R0I2P0 – 2020 rest in peace. Als Abrechnung mit einem Jahr, das als eines der stärksten ihrer beinahe drei Dekaden dauernden Karriere eingehen wird, taugt die achte Zusammenarbeit mit Merzbow jedoch nur bedingt.
Viel eher ist die Kooperation eine Aussöhnung mit LφVE & EVφL, das generell weitaus gelungener war, als sein allgemeiner Ruf es suggeriert – indem Boris den Großteil des 2019er Albums (nämlich insgesamt sechs Songs der Platte) in die Hände von Masami Akita übergeben, selbst im Hintergrund walten und vier Jahre nach Gensho abermals unterstreichen, wie enorm fruchtbar diese japanische Achse der Zusammenarbeit ist: Merzbow gießt seine Harsh Noise-Säure und pluckerne Elektronik geduldig und dominant über die avantgardistischen Drone Metal-Songs, rauht die Oberflächenstruktur ziseliert fauchend, verrauscht fiepend und im knarzenden Brutzeln auf, was in der Symbiose eine gleichzeitig rohe und hypnotische, ungemütliche und anziehende Atmosphäre kreiert.
Nur einmal funktioniert dieser Ansatz weniger überzeugend: Journey (von Unknown Flowers) beruht auf einem friedlichen Boden, pflegt einen an sich wunderschön ätherischen Shoegaze, von Wata gehaucht – worauf Merzbow jedoch nicht einzugehen bereit scheint, unbeirrt nach typisierter Formel weiterarbeitet und die gefühlt selben Funkwellen über den Song legt, die an anderer Stelle des Album über massive Heaviness schieben.
Dann wirkt die Zusammenarbeit nicht wie eine schlüssige Symbiose, sondern wie das vorgefertigte Nebenherlaufen zweiter Grundfesten, die nicht miteinander kommunizieren, sondern stur ihr eigenes Ding durchziehen, ohne individuelle Phasenverschiebungen anzupassen. Gerade wenn ein Song konventionieller orientiert geprägt ist, wirkt die Synergie unflexibel.
Die meiste Zeit aber zündet die aufgeworfene kreative Reibung jedoch als Katalysator. Away from You wird als weit entfernte Erinnerung an den Ambient und Postrock in einen digitalen Traum entrückt, auch die Schwere des Coalthar of the Well-Covers To the Beach passiert hinter einem codierten Schleier. Coma fungiert als Klangcollage mig Interlude-Charakter und Love als Noise-zerfressener Mahlstrom in Zeitlupe-Acid getaucht.
Es gibt meist eine kompakte Muskulatur unter den Störgeräuschen, die vor allem dann keine Effekthascherei sind, sobald der Drone die Facetten ausfüllt. Denn 2R0I2P0 ist am effektivsten, wenn sich beide Parteien auf das Erschaffen und Vertiefen von Moodpieces konzentrieren. Dann keucht etwa das sich immer bedrohlicher und martialisch verausgabende Uzume und Evol steigt mit einer fast spirituellen Klarheit ein, pulsiert und schimmert, treibt innerlich ruhig und außen mit Spannung.
Überhaupt ist es diese Interaktion der Gegensätze, die die knapp 80 Minuten mobilisieren: trippig und unaufgeregt, mächtig und minimalistisch, die Kakophonie meditativ streichelnd. Das lässt auch Songs wie das Dear-Stück Absolutego von 2017 und das zuletzt wieder prominent in den Fokus gerückte Melvis-Cover Boris geradezu transzendental zu einem ganzheitlichen Rausch verschwimmen, der aufgrund der unterschiedlichen Veranlagungen gar keine Qual der Wahl daraus macht, ob nun Refrain, (das erst hiernach entstandene, aber früher veröffentlichte) No oder eben 2R0I2P0 das beste Werk eines makellosen Renaissance-Jahrgangs für das Trio war.
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