Bölzer – Lese Majesty
Drei Jahre nach ihrem Debütalbum Hero (2016) kehren Bölzer mit Lese Majesty zu dem Format zurück, das ihren Ruf über die triumphalen EPs Roman Acupuncture, Aura und Soma begründet hat, legen aber vor allem auch ihr inneres Mastodon frei.
Was natürlich ein bisschen effekthaschend artikuliert ist, aber zumindest assoziativ immer dann als Referenz durchaus nachvollziehbar sein sollte, wenn Okoi „KzR“ Jones seinen auch zur theatralischen Geste neigenden Klargesang sowie die knackiger zupackenden Ausläufer der Gitarrenarbeit breitbeinig in den Vordergrund schiebt, die Death-Färbungen des Bölzer‘schen Black Metals gegen eine gnödelnde Sludge-Kante tauscht und Lese Majesty durch diese Maßnahmen in zahlreichen Momenten gefühltermaßen zur Band von Troy Sanders dirigiert. Nachzuhören vielleicht am besten, wenn der Closer Ave Fluvius! Danú Be Praised! nach knapp drei Minuten ein Curl of the Burl-taugliches Riff antäuscht und den Refrain zum Himmel strebend intoniert.
Was die Schweizer sich im Verlauf der aktuellen 30 Minuten mit Mastodon aber noch viel allgemeiner teilen, ist der Mut zu puristenfeindlichem Übermut in den nonkonformistischen Melodien, zudem der polarisierende Spaß daran, sich keinem auf Nummer Sicher gehenden Traditionalismus zu beugen. Deswegen pfeifen Bölzer notfalls ihre Motive auch (wieder einmal) in die Welt hinaus und heulen einlullend den Mond an, bevor sie Hooks in adäquate Gitarrenlinien übersetzen.
Doch der Reihe nach. Denn mehr als alles andere ist Lese Majesty dann doch vor allem eine Rückbesinnung zu den archaischeren Wurzeln der Band, indem die Errungenschaften von Hero mit einer puristischeren und roheren Produktion (von Thomas Taube) konfrontiert werden, im Grunde sogar durch ein geradlinigeres Auftreten und Songwriting stattfinden, das den barbarrischen Ansatz trotz der Aneinanderreihung bisweilen progressiver Parts auf elegante Weise mit spiritueller Grandezza zelebriert.
Dennoch – oder deswegen? – will Lese Majesty als Gesamtwerk alleine Spielzeittechnisch unentschlossen zwischen Langspieler und EP pendelnd nicht wie ein restlos schlüßiges Ganzes wirken, mutet bisweilen unrund und unfokussiert mäandernd an, weil all das angedeutete Potential diesmal nicht restlos befriedigend abgeschöpft wird und das Duo so seine Klasse zu unausgegoren kanalisiert.
Der Opener A Shepherd In Wolven Skin tackert etwa dramatisch gallopierend und dringlich, Atmosphäre und Performance sitzen sofort und reißen kompakt mit. Der hypnotische Refrain hebt sich allerdings (im Gegensatz zum Hero-Material) nicht wirklich von der eiligen Strophe ab, kann die Einzigartigkeit der Band nicht gravierend genug entfaten. Bölzer schicken an sich viele Ideen über die Abfahrt, variieren Rhythmen und Saitenwut, doch erst der erwähnte gepfiffene Pre-Chorus und der etwas gestelzte Melodiebogen danach kontrastieren mit dem nötigen Ausfallschritt. Ein leidlich zusammenhängendes Geflecht lebt so vor allem von der Atemlosigkeit der ständig nach vorne gehenden Inszenierung, die über 9 Minuten aber auch stets etwas zu unverbindlich bleibt.
Für den gehobenen Genre-Level reicht das freilich locker – um über den Bölzer-Standard hinauszukommen wäre eine Prise zusätzlicher individueller Extravaganz jedoch kein Fehler gewesen. Wie das beispielsweise ja auch Into The Temple Of Spears später vorführt, wenn Jones und Schlagwerker Fabian „HzR“ Wyrsch bolzen wie von Sinnen, bis in die Wüste spitzen, und die unberechenbaren Tempowechsel grandios zünden. Auch wenn der kotzende growlende Gesang ein bisschen zu austauschbarer Death ist, lotsen Bölzer den Sonng spätestens beim erhebenden Pathos des Chorus auf das Niveau von Hero.
Dass dazwischen mit Æstivation ein rituell zu Midsommar schnaufend-atmender, schnipselnder Synth-Ambient liegt, zu dem Jones irgendwann manisch beschwörend in das ekstatische Suspence-Ambiente gröhlt, ist an sich verdammt stimmungsvoll – doch bleibt das skizzierte Interlude leider nur ein konsequenzloses Zwischenstück ohne Mehrwert. Ähnlich ärgerlich das Ergebnis des bisweilen triumphalen Ave Fluvius! Danú Be Praised!. Ein langes Intro führt zu einer starken Machtdemonstration mit finsteren Trademarks und ungestümer Dynamik, einem fast schon pathosgetriebenen Wechselbalg in seiner catchy peitschenden Varianz – der sich irgendwann somnambul fallen lässt, gedankenverloren treibt und enttäuschenderweise keinen Höhepunkt erfährt, sondern sich immer mehr in die minimalistische Klangmalerei zurückzieht.
Das Problem von Lese Majesty wird hier überdeutlich: Bölzer nutzen diesmal die Räume und die Dichte nicht kompromisslos genug, agieren nicht so radikal, dass die Klimaxe und Ohrwurm-Zuspitzungen wirklich euphorisch ihre Katharsis-Spannungen ablassen würden und vertändeln sich mal im Müßiggang, wenn Stringenz gefragt wäre, während sie anderswo nicht das Volumen anbieten, das ihnen zustünde. Kurzum: Lese Majesty ist eine wirklich gute Platte – aber mehr noch eine, die eigentlich abermals eine herausragende hätte werden müssen und deswegen ein bisschen frustriert.
Kommentieren