Bob Dylan – Shadow Kingdom
Aus dem 2021er „Konzertfilm“ Shadow Kingdom: The Early Songs of Bob Dylan heraus ist auch das 40. Studioalbum (respektive im Umkehrschluss auch die zweite Soundtrackarbeit) der mittlerweile 82 jährigen Ikone entstanden.
Überwiegend auf Songs aus den 1960er und frühen 1970ern zurückgreifend interpretierte Dylan für das Projekt eigenes Material im Village Recorder von West Los Angeles neu – quasi als adäquate Kompensation für seine während der Pandemie pausieren müssenden Neverending Tour -, und verschiebt die stilistische Gewichtung von der Singer-Songwriter- und Folk-Verortung dafür weiter hin zum Americana, durchaus mit inszenatorischem Twist: Nachdem etwa Buck Meek oder Shahdzad Ismaily dem Film von Alma Har’el zumindest ihre Finger liehen, ist mittlerweile auch das Personal von Shadow Kingdom bekannt – Jeff Taylor (accordion), Greg Leisz (guitar, pedal steel guitar, mandolin), Tim Pierce (guitar), T-Bone Burnett (guitar), Ira Ingber (guitar), Don Was (upright bass), John Avila (electric bass), Doug Lacy (accordion) und Steve Bartek (additional acoustic guitar): also erstmals eine Band, in der Dylan ohne Schlagzeuger oder Percussionist auskommt.
Das ist einer der Aspekte, der dafür sorgt, dass die neuen Arrangements der Nummer einer Frischzellenkur gleichkommen. Ein anderer ist, wie spätestens das enorm beschwingte und gelöste Most Likely You Go Your Way (And I’ll Go Mine) überdeutlich macht, dass auch der Drive der prominent vertretenen Harmonika für einen allgegenwärtigen Schwung sorgt, während überhaupt alles hier so absolut motiviert klingt. Keine Nummer wird nur inspirationslos nachgespielt, jede einen unverbrauchten Antrieb.
Der beinahe aufgekratzte Zug und die hibbelige Aufbruchstimmung macht aus I’ll Be Your Baby Tonight insofern praktisch einen neuer Song, derweil It’s All Over Now, Baby Blue am anderen Seite des Spektrums ausgebremst ebenso überrascht, wo The Wicked Messenger wiederum eine reifere Geduld bekommt und auch das 1989er Stück What Was It You Wanted sich ohne die ursprünglich rhythmische Schlagzeug-Fixierung eine bisher unbekannte Seite aneignet.
Tombstone Blues wird nun quasi bis zum Slo-Mo-Spoken-Word ausgedünnt und energisch beschworen, To Be Alone with You kommt locker und ungezwungen daher, Pledging My Time hingegen bluesiger und Watching the River Flow pflegt den Roadhouse-Swing.
Besonders überragend gelingen aber die ruhigeren, in sich gehenden Stücke wie Queen Jane Approximately, das die schunkelnde Gemütlichkeit von Together Through Life und Rough and Rowdy Ways kombinierende Just Like Tom Thumb’s Blues, das melancholische Drama von What Was It You Wanted sowie der symbiotische Übergang zum weit von seinen Wurzeln entfernt sinnierende Dolceola-Sehnsucht Forever Young, in dem die nostalgische Sicht des Alters auch ohne Kitsch absolut ergreifend aufgeht, die lange Verbundenheit zu den Songs eine zusätzliche Tiefe schafft, die auch den Mut zum relativen Risiko zeigt und die wenigen Evergreens und Hits von Shadow Kingdom damit auf eine Stufe mit einer Riege an wundervollen Favoriten abseits des Spotlights stellt.
Old Dylan covert Young Dylan ist insofern geschmackvoll, gut durchdacht und absolut gefühlvoll angelegt, auch smart genug, um die ikonische Wirkung der Originale nicht reproduzieren zu wollen. Der Meister selbst singt beseelt und grandios, seine Band besticht durch zurückhaltende Grandezza.
Dass der Abspann mit Sierra’s Theme – mutmaßlich entweder eine instrumentale Variation von All Along The Watchtower oder Hurricane? – deswegen mitten in der wohligen Diskrepanz aus zeitloser Vertrautheit und fesselnden neuen Perspektive eine absolute Befriedigung anbietet, ist sinnbildlich für die gefällige Klasse, mit der Dylan im Zweifelsfall anhand von 54 Minuten auch eine schöne, abschließend rahmende Schleife um seine Diskografie ziehen würde.
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