Bob Dylan – Murder Most Foul
Ob nun Möbiusbands oder zeitaktuelles Statement, Bob Dylan hebt seine aus dem Nichts kommende Monumental-Single Murder Most Foul jedenfalls über die Metaebene hinaus in den popkulturellen Kanon.
Es beginnt mit dem Mord an John F. Kennedy, mutiert zu einem Kaleidoskop im Kontext der (politischen und kulturellen) Geschichte Amerikas, referenziert nicht nur im Titel Hamlet und fordert vom Radio-DJ über weite Strecken knapp 75 Songs und Musiker, wie im hypnotischen Rausch.
Oder: Bob Dylan hat ohne große Vorankündigung den mit knapp 17 Minuten längsten Song seiner Karriere veröffentlicht, seine erste Original-Komposition seit dem 2012er Album Tempest übrigens – aufgrund der textlichen Verweise kann man wohl auch davon ausgehen, dass Murder Most Foul relativ unmittelbar danach, also um 2013 herum, entstanden sein dürfte.
Ob dem tatsächlich so ist, bleibt wie vieles hier jedoch vorerst ein Mysterium – wenn man so will. Murder Most Foul ist schließlich auch abseits seines überraschenden Auftauchends wahlweise ein Füllhorn an Geheimnissen, Zitaten und Verweisen, ein vor popkultureller, historischer und literarischer Paraphrasen strotzender Leviathan, den man wohl auf Jahre hinweg analysieren können, und dennoch eventuell nie ergründen wird.
Was sich mit Sicherheit bestimmen lässt, ist vorerst aber die Sogwirkung einer Nummer, die das polarisierende Spaltmaterial der streitbaren Kultfigur Dylan auf die Spitze treibt – wo der Literaturnobelpreisträger über die Sinatra-Tribute Shadows in the Night, Fallen Angels und Triplicate durchaus egal sein konnte, war es selten derart einfach wie anhand von Muder Most Foul, den mittlerweile 78 Jährigen zu verabscheuen, wie zu vergöttern.
Die Musik hinter Dylan ist dabei eine scheinbar ziellose Symbiose aus strukturoffen plätschernden Pianoakkorden, unkonkret vorbeiziehenden Streichern, einem wie im gedankenverlorenen Jam umhertreibendem Schlagzeug, das nur sporadisch ein paar Akzente setzt – warm, durch die losen Konturen sparsam anmutend, entschleunigt und delikat. Als würde eine Band in Trance halb erwachen und halb weiterschlummern, niemals wirklich zueinander finden, mäandernd suchen, dabei aber gerade durch diese schwammige Ziellosigkeit eine nostalgische, sentimentale Sogwirkung erzeugen, die ohne offenkundige Spannungen unendlich vage in einem eigenes Raum/Zeit-Kontinuum zu existieren scheint, während Dylan eine Litanei von bildgewaltiger, assoziativer Rezitation hinausnölt. Das ist verdammt viel und dennoch angenehm unanstrengend, einnehmend, verschlingend. Ein Ungetüm und Requiem von einer freiheitsliebenden, niemals frustrierenden Gesichtsstunde, die in ihrer verträumten Stimmung und Atmosphäre geradezu faszinierend besoffen macht, an Nick Cave denken lässt, subversiv arbeitet und absolut süchtig immer wieder betrachtet werden will.
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