Blur – The Magic Whip

von am 26. April 2015 in Album

Blur – The Magic Whip

Was macht aus einem Damon Albarn-Song eine Blur-Nummer? Eine genaue Trennlinie diesbezüglich scheint auch Graham Coxon nicht ziehen zu wollen. Vielleicht ist das Comebackalbum der Britpop-Könige deswegen ein mitunter schizophren verschweißtes Werk geworden, das es im Wechselschritt ebenso schafft an die hauseigene Discographie der mittleren 90er anzuknüpfen wie daneben auch nahezu das gesamte Schaffen seines Sängers seit mindestens ‚Think Tank‚ zusammenzufassen.

Noch wahrscheinlicher ist, dass ‚The Magic Whip‚ mehr als alles andere einfach das Spiegelbild seiner Entstehungsgeschichte ist. Wo Albarn sich erst überzeugen lassen musste der Veröffentlichung des in 5 Tagen in Hongkong aufgenommenen Materials zuzustimmen, nachdem es viele Monate nach den eigentlichen Sessions unter dem Antrieb von Stammproduzent Stephen Street und Graham Coxon in Windeseile im finalen Mix zusammengeschraubt worden war, klingt das erste Blur-Album seit dem Beinahe-Alleingang von Albarn vor knapp 12 Jahren als Gesamtwerk betrachtet durchaus wie ein aus der Hüfte geschossenes, gleichberechtigtes Zusammenspiel der beiden Bandhirne, dominiert durch typische Albarn-Motive und besiegelt durch das in allen Facetten auftauchende Gitarrenspiel Coxons, bei dem der Frontmann wohl irgendwann die schiere Qualität der nun versammelten 12 Songs anerkennen musste: ‚The Magic Whip‚ mag zwar keine lupenreinen neuen Instant-Klassiker ins Live-Repertoire der Band drängen, wiegt dies aber mit einem unbeschwerten Zugang zur eigenen Vergangenheit sowie einer immanenten Vitalität im Songwriting auf, leistet sich in Summe keinen ansatzweise schwachen Song.

Ein gänzlich rundes Album ist ‚The Magic Whip‚ dennoch nicht geworden – unter anderen Veröffentlichungsumständen könnte man sogar in vielerlei Hinsicht von einem Schnellschuss sprechen. Denn wo gefühltermaßen auf jede klassische Blur-Nummer eine solche folgt, die sich auf einer der zahlreichen anderen Albarn-Spielwiesen mindestens ebenso stimmig platzieren hätte lassen können, scheitert der konstante Grower ‚The Magic Whip‚ deswegen überraschenderweise auch gar nicht an den immensen Erwartungshaltungen, sondern eher an einer formelhaft wirkenden Vorhersehbarkeit in der Trackanordnung, die – stark vereinfacht ausgedrückt – auf ruhigere Nummern stets rockigere folgen lässt, dabei nur einen bedingt homogenen Fluss aufkommen lassen will.

Eine Wahrnehmung, die im Grunde überwiegend auf ‚New World Towers‚ zurückzuführen ist. Dieser ist ein toller Song, eine potentielles Dakapo für ‚The Good, The Bad & the Queen‚ oder ein lupenreiner Albarn-Solosong-Hit sogar – aber schlichtweg deplaziert zwischen dem hibbelig gen ‚Parklife‚, die Beatles und The Kinks geschrammelten Opener ‚Lonesome Street‚ und der Vorabnummer ‚Go Out‚, welches nun übrigens auch im Kontext eher von seinem Tatendrang als von funkensprühender Inspiration lebt und für seinen limitierten Ideenkern schlichtweg viel zu lange ausgedehnt wird. Aller eingangs aufgebaute Elan wird von der melancholisch stacksenden Afrobeat-Melancholie auf unnatürliche Art gebremst und sorgt unmittelbar für den gravierendsten Bruch im Gesamtgefüge, der plötzlich alle darauffolgenden Aneinanderreihungen ähnlich forciert wirken lässt.
Ein bisschen ist das so, als könnte man, erst einmal begonnen habend sich zu kratzen, selbst bei marginalem Juckreiz auf nichts anderes mehr achten. Dass die Nahtstellen auf ‚The Magic Whip‚ zwischen den einzelnen Songs aber tatsächlich gar nicht derart eklatant an der Homogenität hebeln, ist hingegen spätestens dann klar, wenn ‚New World Towers‚ nicht notwendigerweise aus der Trackliste fliegt, aber zumindest weiter hinten platziert den Blick für die Sprunghaftigkeit der Platte nicht derart ungemütlich schärft, sondern ‚The Magic Whip‚ in stärkerem Ausmaß kurzweilig und abwechslungsreich gedeihen lässt, eine enorm unterhaltsame Unbekümmertheit ohne Spannungsverlust ausstrahlt, die sich auf keine konstante Schiene festnageln lassen möchte.

Das hinter neongrell blubbernden Effekten gebaute ‚Ice Cream Man‚ ist danach dann auch schlichtweg wunderbarer Pop in Reinform, das ebenso als Gorillaz-Stück mit Coxon-Feature durchgehen könnte; das erst spät aus seinem statisch geschnürten Electronica-Outfit geschälte, von Dave Rowntree  nach vorne getriebenen (aber vor allem in Hinblick auf die deutlich stärkere Liverversion) schaumgebremst bleibende ‚Thought I Was A Spaceman‚ hätte mit mehr Atmosphäre die ideale Brücke zwischen ‚13‚ und ‚Think Tank‚ bilden können, während die schlichtweg grandios schlapfende Schönheit ‚My Terracotta Heart‚ ohne Probleme wie ein vergessenes ‚Everyday Robots‚-Highlight leuchtet.
Mit weniger verträumter Linie gehen dagegen die Songs vor, die ein mitunter regelrecht traditionelles Mid-90s-Blur-Feeling vermitteln, eine unmittelbare, unkomplizierte Endorphindusche mit Britpop-Flair vom Stapelt treten, gar nicht die überragende Größe und Klasse alter Geniestreiche anzustreben scheinen, sondern offenbar vor allem instinktiv vorführen möchten, dass die Band über das letzte Jahrzehnt keinerlei Staub angelegt hat. Das kompakte ‚I Broadcast‚ ist deswegen ein simpel gehaltener Rocker, ‚Ghost Ship‚ hantiert danach mit Funk-Anleihen und Bläsern, ‚Ong Ong‚ plätschert mit einer beflügelten Mühelosigkeit als demonstrativ leichtfüßiger Sommerpopsong ohne Altlasten.

Blur nutzen auf ihrem praktisch aus dem Nichts kommenden Comeback also in vielerlei Hinsicht das Momentum, aber gerade Nummern wie das hinterrücks triumphierende Überbevölkerungsmahnmal ‚There Are Too Many of Us‚ (meldet sich nachträglich als idealer Abschiedssong für Utopia an), das sich entlang unbeugsam marschierender Streicherschanschlägen zu einer krautig laufenden Glanztat verdichtet, das mysteriös schillernde ‚Pyongyang‚ oder der orientalisch-schwelgende, rührende Schlusspunkt ‚Mirrorball‚ – und in gewisser Weise auch die außen vorgelassene Interims-Single ‚Under the Westway‚ – stellen dann in Aussicht, wieviel mehr bei dieser erfreulichen Rückkehr an sich möglich hätte sein können.
Statt das dritte Meisterwerk der Band in Folge zu werden, ist ‚The Magic Whip‚ nun allerdings eben lieber eine erfrischende Wundertüte von einem Album, von dem auf lange Sicht wohl die in sich gekehrteren Augenblicke Bestand haben werden, während die Summe der Platte vor allem darauf abzielt Blur wieder in Position zu bringen, bevor man den ersten Langspieler seit der Live-Rückkehr vor 8 Jahren auf ewig vor sich hergeschoben hätte. In gewisser Weise also vielleicht eine Art Warm-Up, das für die weitere Zukunft keine Grenzen setzt.
Wenn der Musikexpress also fragt, ob wir hier die Platte des Jahres hören, muss das wohl vermutlich verneint werden. Ob man (vor allem natürlich als Langzeitfan der Band) allerdings mit einer anderen Veröffentlichung 2015 mehr Freude haben wird, darf stark bezweifelt werden.

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