Blood Incantation – Hidden History of the Human Race
Progressiver Oldschool-Death Metal wie von einem anderen Planeten: Blood Incantation rechtfertigen mit ihrem Zweitwerk Hidden History of the Human Race endgültig alle Begeisterungsstürme, die bereits der Vorgänger Starspawn 2016 einfuhr.
Dass das von 70s-SciFi-Ikone Bruce Pennington gestaltete Artwork Erinnerungen weckt, ist auch Alec Empires Verdienst, kann aber allgemein als übergreifendes Sinnbild für ein eklektisches Rezept verstanden werden: Blood Incantation knüpfen mit Hidden History of the Human Race nicht nur unmittelbar an ihr Debütalbum an, sondern bedienen sich mehr noch auch ganz dezidiert bei offenkundigen Einflüssen.
Das Quartett aus Denver hat seine Lehren unter anderem ungeniert adaptierend bei Atheist, Incantation, Morbid Angel, Immortal oder Immolation gemacht, trägt diese Grundsätze aber mit spirituellem Nihilismus und eigener Rezeptur an die Grenzen des Universum hinaus: In seine einzelnen Bestandteile zerbrochen ist das Werk genau genommen also vielleicht nicht wirklich originär, verbindet seine bisweilen deutlichen Einflüsse aber eben in einem solch originellen Songwriting, das mit einer schier unerschöpflich progressiven Spielwut, Riff-Stärke und Atmosphäre-Arbeit stets vor der Konkurrenz aufzutrumpfen scheint. Insofern funktioniert Hidden History of the Human Race also als mehr als die Summe seiner assimilierten Teile und ist über weite Strecken seiner herrlich kurzweiligen 36 Minuten ein grenzendominierendes Schaulaufen voller dynamischer Ideen, dass die Spannweite seiner Horizonte destilliert: Blood Incantation zelebrieren ihr traditionsbewusstes Death Metal-Amalgam derart erfrischend nach vorne blicken, agieren schwindelfrei verspielt, machen schlichtweg mehr Spaß, als ein Gutteil der Genre-Konkurrenz.
Dafür hat man für das Album vor allem drei Grundtugenden verinnerlicht. Erstens ist die Produktion der Platte ganz wunderbar organisch ausgefallen, alleine der Sound der Drums kommt natürlich und ohne Effekthascherei gemixt niemals in die Gefilde steriler Über-Perfektion, sondern behält sich eine schmutzige Physis. Zweitens sind die Kompositionen der Band nicht um Wendungen und rasante Ausschweifungen verlegenen, zünden aber selbst in den abenteuerlichsten Szenen ziemlich kurzweilig und knackig, finden auch bei ausufernder Spielzeiten von bis zu 18 Minuten meist relativ präzise auf den Punkt, schwadronieren selten um den Kern und verpassen kaum das zwingende Momentum.
Dazu steigert sich Hidden History of the Human Race drittens praktisch mit jedem Song noch weiter. Zumindest sofern man Inner Paths (to Outer Space) eher als stimmungsvolles Interlude versteht, das erst einmal für das große Finale durchatmet.
Blood Incantation schwelgen hier in einem ambienten Space-Sinnieren a la Darkspace oder Alrakis, wandern mit viel Melodiegespür traumwandelnd bis in den Death Doom, der in den letzten 60 Sekunden die Vocals zumindest als lautmalerisch erwachendes Mittel doch noch nachreicht – und eben den nötigen Raum für ein abschließendes Spektakel schafft.
Awakening From The Dream Of Existence To The Multidimensional Nature Of Our Reality (Mirror Of The Soul) ist ein epischer Monolith, der seine Auslage alleine in den ersten Passagen unzählige Male ändert, ohne willkürlich zu wirken. Nach knapp sechs Minuten Spielzeit lässt sich das Inferno in eine synthieschwangere Klangcollage fallen, düster und beklemmend, aus der es mit einer majestätischen Größe erwacht und sich mit überwältigender Dringlichkeit immer weiter auftürmt. Über den Umweg des vertrackter skizzierten Chaos ordnen Blood Incantation ihre Präferenzen neu, ändern Tempo und Dynamik immer weiter, und lassen Hidden History of the Human Race mit getragenem Tempo in einer sehnsüchtigen Schönheit verglühen, die sich bis in die akustische Wehmut zurückzieht.
Und zugegeben: Durch das immer mehr wollende Wesen des Spielverlaufs relativiert der Schlußpart die so konstant qualitätsintensiv erste Hälfte von Hidden History of the Human Race im Gesamtkontext durchaus ein wenig unter Gebühr, stellt das Brimborium der ersten drei Nummern mit jedem Durchgang ein kleines bisschen unverdient in den Schatten, lässt gerade den Opener Slave Species of the Gods vergleichsweise wie ein aufwärmend verfliegendes Interlude wirken.
Dabei gehen Blood Incantation bereits hier unmittelbar in medias res, hyperventilieren kurz und tackern dann auf der Überholspur mit irre zum Spektakel schielenden Gitarren, fantastischen Drums und gutturalen Röcheln zur Unberechenbarkeit.
Giza Power Plant lässt danach leviathanartig verschlungene Riffs zu schwindelerregenden Soli über manische Rhythmen wüten, bevor sich die Nummer plötzlich in einen psychedelisch durch den Orient durchatmenden Atmosphärepart halluziniert, der immer weiter in den Death Metal zurückgeführt wird: Die Handschrift der Band ist schon hier in einem kohärenten Fluß, stellt epische Szenen mitten neben den Reißwolf und muß sich dafür doch nie verbiegen.
Den einzigen Vorwurf, den man der Platte (besonders in dieser Phase, aber auch ganz allgemein) allerdings machen kann, ist der (gerade im Vergleich zu den referenzierten Szenegrößen- und Klassikern) Mangel an tatsächlich impulsiv agierenden und unbedingt ikonisch herausragenden Szenen, die nicht nur das aktuelle Death Metal-Momentum (weitestgehend) düpieren. Subjektiv bedeutet dies aber auch, dass Hidden History of the Human Race zumindest für den Augenblick wohl nur einen ernsthaften Konkurrenten um das über die Stratosphäre hinausstrahlenden Genre-Album des Jahres hat. Ein Duell, dass zwar wohl nur die kommenden Jahre entscheiden können werden – und für das Blood Incantation in ihrem andauernden Wachstumsprozess allerdings ganz gut gerüstet sind.
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