Blind Girls – An Exit Exists

von am 1. September 2024 in Album

Blind Girls – An Exit Exists

Auf An Exist Exists, ihrem dritten Studioalbum, drehen die australischen Blind Girls nicht nur den Mathcore-Gehalt in ihren Emoviolence- und Screamo-Derwischen markant nach oben.

Noch etwas steigt nämlich: Der längst voll im Bandkosmos angekommene Luke Sweeney, Mark Grant, Julian Currie, Ben Smith und Sharni Brouwer spielen sich sechs Jahre nach ihrem bereits so bockstarken Debüt Residue endgültig in die oberste Riege der Szene. Was womöglich vordergründig daran liegt, dass Blind Girls eine zutiefst eklektische Band sind – diesen Umstand aber spätestens jetzt so eigenständig wie möglich und ohne ständige Referenzlast ausleben wollen.
Dass das Songwriting dafür meist in jeder Nummer formelhaft zwei Seiten den Medaille beleuchtet und die Vocals abseits der vom Tempo getriebenen Schreie phasenweise zu weinerlich ins wehklagende Jammern tendiert, sind da eher subjektiv störende Kritikpunkte.

Denn während das Chaos aus aggressiver Melancholie und pessimistischer Melodik in leidenschaftliche Katharsis strukturiert wird, in dem 12 Songs über 21 Minuten über ein starkes Pacing und ein makelloses Sequencing gerade als Ganzes aufzeigen, ringt sich An Exist Exist karrieredefinierende Szenen am Fließband ab, denen alles nochmal um das Quäntchen eindrucksvoller gelingt, als es die beiden tollen Vorgänger bereits ablieferten.
Dissonance keift fauchend, tummelt sich nach vorne stürmend an seinen Riff-Wällen aufreibend und Loveless lauert am Feedback wirbelnd, wo die Gitarren zwischen manischen Figuren neben der Spur drangsalieren. Das gefinkelt verzahnte Blemished Memory konterkariert seine Rückkopplungs-Schikanen mit einer kontemplativen Postrock-Einkehr voller Wehmut (in denen die Vocals dann eben zu tranig klagen) und Less Than Three wärmt sich kurz auf, um dann tackernd wie fließend flimmernder Blackgaze zu kippen, wo die klaren Saiten über der Tortur durchatmen. Make Me Nothing ist zähflüssiger und heavy, flüstert seine tragische Psychose mäandernd vor das atmosphärische Interlude-Geplänkel Pallid Mask, bevor sich die Attacke Closer to Hell im Suspense einrichtet.

Das tumultartige Chaos AI Generated Love Letter beruhigt sich alsbald und das blastende Lilac fusioniert postrockige Züge mit wogend stichelnder Aufregung. Das elektronische Dark Ambient-Zwischenspiel Death of an Unsung Thought bleibt stilistisch eine Ausnahme, fügt sich aber ebenso homogen in den Fluss ein, wie der nervöse Noise Rock von …It’s Starting to Rain, der mit seiner eskalierenden Schiene zu den Drohgebärden der Riff-Kaskade Home Will Find it’s Way überleitet.
All die Agonie und Rage, die Blind Girls dabei in diesen depressiv mutierenden Landschaft aufwecken, hat stets etwas organisch wachsendes, niemals überladenes oder gar erzwungenes an sich. Die Band scheint überlegter zu agieren, verlässt sich aber auf ihre Intuition. Sie hetzt nicht im Umschalten der Szenen, auch wenn eine aufgekratzte, fast spastische Unruhe das Momentum lenkt. An Exit Exists ist unberechenbar und zielgerichtet, ein Wechselbad der Gefühle. Was für den Hörer zu einem ebenso auslaugenden wie erfüllenden Ergebnis führt.

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