Black Midi – Schlagenheim
Schlagenheim tritt den Beweis an: Die Generation der 20 Jährigen kennt nicht nur den hippen Indie von alt-J, sondern auch mathlastigen Noiserock von This Heat, Ought, Talking Heads, Steve Albini, The Drones, Pop Group, Battles oder TV on the Radio. Fein!
Schwer zu sagen, was die größte Finte dieses Debütalbums ist. Eher nicht, dass sich die blutjunge Band dahinter nach einem obskuren japanischen Electro-Subgenre benannt hat, nach dem sie aber so gar nicht klingt, während auch der Albumtitel keine tiefschürfende Bedeutung ergoogeln lässt. Dann schon eher, dass das Klischee vom Debütalbum als zugängliche Hitschleuder für szeneübergreifende Aufmerksamkeit derart konsequent sabotiert wird und Schlagenheim sich dennoch – oder gerade deswegen – im Feuilleton einschlagend als Kritikerliebling und Hype positioniert. Während all die Loorbeeren zwecks des proklamiert originär und innovativen Sounds von Black Midi eigentlich wiederum geschickt inszenierter Eklektizismus ist, der primär aufgrund des Altersunterschiedes zwischen den Musikern und ihren Impulsgebern so interessant ist.
Letztendlich ist all das aber nach 44 so herrlich hungrig, frisch und furios zu Werke gehenden Minuten aufgrund der infektiösen Energie dieser Platte ohnedies ohnedies ein gutes Stück weit egal.
Ebenso wie die tatsächlichen Kritikpunkte am Einstand des Londoner Quartetts. Etwa dass die Ästhetik der Musik hier einen höheren Stellenwert inne hat, als die emotionale Tragweite des Songwritings, und Schlagenheim mit dem weit ausholenden, erst spät pochend-beschwörenden Ducter zwar den Klimax eines erkennbaren Finales bekommt, aber dorthin eigentlich keinen wirklich schlüssigen Spannungsbogen zurücklegt, sondern eher Spontanitäten explodieren lässt.
Weil die neun Nummern eben tatsächlich in einer fünftägigen Jamsession entstanden sind, in der es sich die lange gesichtslos agiert habende Band ganz bewusst nicht im Repertoire des zuvor live erarbeiteten Materials bequem machen wollte, sogar vorausgeschickte Singles kurzerhand links liegen ließ, und sich stattdessen mit zusätzlichen Equipment (Synthesizer, Sequencer, Drum Maschinen, Banjos, Orgeln) ausgestattet dem improvisierten Experiment hingab. Was auch immer also die Finte der Platte ist – ihre größte Stärke ist es eben diese fiebrige Intensität der Kreativität auf eine Art einzufangen, deren Dringlichkeit und Leidenschaft sich über den immensen Spielwitz (sowie die starke Produktion von Dan Carey) nahtlos konservieren und organisch übertragbar hat machen lassen.
Schlagenheim vibriert insofern förmlich vor pulsierendem Momentum. Der noisige Mathrock zelebriert seinen Hang zum atonal gegen den Strich gebürsteten Krach irgendwo zwischen eingängiger Dissonanz und jazziger Virtuosität, ist weniger stressig als viel eher nervös und hibbelig, manisch und vertrackt, schleust eine kaum zu bändigende Spannung so komplex wie abstrakt durch eine elektrifizierendere Atmosphäre kompromissloser Eigenwilligkeit in der Synergie, zeigt viele unter Strom stehende Ideen zum Bestaunen auf.
In 953 quietschen die Riffs unbändiger Gitarre über eine sprunghafte Dissonanz, bremsen den Song zum schleppenden Groover, legen sich als Ambient perlend in beschwörende Gesten, sind mal ruhig und mal wild im Wechselspiel der Parts und Geschwindigkeiten vor dem Flirt mit der Kakophonie und dem Peitschen der Zügel zur rasenden Randale. Speedway frickelt feingliedrig mit Präzision um seine digitale Trance in repetitiver Konzentration. Reggae hat einen sanften R&B-Vibe in der quäckenden Stimme, doch schnell zucken die Drums und oszillieren die Post Punk-Gitarren düster, alles kippt in die hirnwütige Ekstase im flimmernden Stroboskoplicht. Of Schlagenheim kennt Television und den scheppernden Funk, maschinelles Gift und den Wahnsinn, sogar die No Wave-Disco. Das stoische bmbmbm zeigt allerdings, dass Black Midi in Summe weniger prätentiös zur Schau gestellte Dada-Texte durchaus weiterhelfen würden und auch der beißendste Krawall alleine einem unausgegorenen Skizzen-Stück kein kohärentes Ziel gibt.
Dabei zeigen die Jungspunde immer wieder, wie sich ihre Instinkte formen lassen ohne domestiziert zu werden. Das agressiv-verzweifelte Wesen von Years Ago ist etwa nichts anderes als ein Spektakel und Near DT, MI hetzt schnaufend und atemlos in einen nebulösen Trip der Zeitlupe, detoniert herrlich in einem barschen Silverchair‚esken Katharsis-Gebrüll samt flippiger Abfahrt, bevor Western sich in angenehmer Melodieseligkeit in die nachdenklich dösende Kontemplation legt. Das Kontrastprogramm ist hier nicht pure Eskalation, was dem Herzstück der Platte eine einnehmende Bekömmlichkeit verleiht und der allgemeinen Konfrontationswut eine willkommene Alternative in Sachen Dynamik und Bandbreite anbietet. Derartig imaginativ weitschweifende Glanztaten sind es dann auch, über die Schlagenheim mit Tiefenwirkung vollkommen in seinen Bann zieht, in die Tiefe geht und die Versprechen der Band auch auf gefühlsbetonter Ebene ganz ohne Finten einlöst. Black Midi sind alleine hier tatsächlich auf dem Weg zurück in die Zukunft.
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