Björk – Vulnicura
Mit der Unterstützung von The Haxan Cloak und Senkrechtstarter Arca findet Björk durch die Trümmer ihrer Langzeitbeziehung zurück aus den verkopften Umlaufbahnen der letzten Studioalben. Endlich funktioniert ein Album der Isländerin auch wieder auf emotionaler Ebene.
Alleine – und vor allem – der Opener ‚Stone Milket‚ ist im Grunde alles, was man auf ‚Biophilia‚ zuletzt so sehr vermisst hatte: Björk artikuliert mit eleganter Intensität und einer lange nicht mehr gehörten Unmittelbarkeit ein überwältigendes Gefühlskino. Anstatt über Smartphone-Apps nachzudenken, sich als lebende Kunstinstallation zu inszenieren oder uneinholbare Soundideen in (ihrer Ansicht nach) interessante Tracks umzuwandeln, lässt sie hier entlang all ihrer Stärken endlich wieder einen Song wachsen. „Like milking a stone/To get you to say it and/ Who is open?/ And who has shut up/ And if one feels closed/ How does one stay open?“ fragt die 49-Jährige, lässt sich noch Liebe aus einem erstarrten Herzen gewinnen? Ein Szenario, das die Richtung der Platte vorgibt: ‚Vulnicura‚ ist ein bis ins Mark seine Verletzlichkeit preisgebendes Break-Up-Album geworden, in dem Björk die Gradwanderung aus Experimentiergeist und Hörbarkeit bisweilen (und endlich wieder) fulminant gelingt.
‚Stone Milket‚ hätte so wahrscheinlich dennoch nicht bereits auf ‚Homogenic‚ passieren können: Björk schöpft die volle Bandbreite ihrer polarisierenden Stimme aus, klingt allerdings so nahbar, verletzlich und intim wie vielleicht noch nie, stellt dazu die Kunstfertigkeit hinter das Gefühlspanorama. Melodiebögen schmiegen sich aneinander, Strophe und Refrain sind ausnahmsweise sofort erkennbar. Ein Meer aus majestätische Streichern tut sich auf, ihr Organ und akribisch gebastelte Elektro-Unterbauten bilden eine erhabene Symbiose, die Eckpfeiler der Platte generell. Das sind bereits knapp 7 Minuten, die besser sind als alles, was Björk seit dem Nahverwandten ‚Vespertine‚ abgeliefert hat.
Interessanterweise ist der Opener aber auch der einzige Song, den Björk auf ihrem achten Studioalbum alleine stemmt. In weiterer Folge begibt sie sich weiter in die Hoheitsgebiete von The Haxan Cloak und dem kongenial tüftelnden Arca, ihre beiden Hauptkollaborateure die Isländerin wieder weiter hinaus, fordern ihr Songwriting stärker – der Opener wird deswegen die zugänglichste, hittauglichste Nummer der Platte bleiben, auch, wenn ‚Vulnicura‚ zumindest bis zur Hälfte hin durchaus eine geordnete Nachvollziehbarkeit gewähren lässt, erst danach dem Drang nach weitläufigen Expeditionen immer deutlicher nachgiebt.
In ‚Lion Song‚ pulsieren so die Beats bereits unter Hypnose, „Maybe he will come out of this/ Maybe he won’t“ hebt sich allerdings als ungewiss flehende Hookline über die beinahe märchenhaften Streicher. Die Strukturen werden freizügiger, Arca’s Produktion beginnt immer gewichtiger zu greifen. ‚History of Touches‚ ist danach ein leicht deplaziertes, nervös zerfasertes Soundgebilde, das sich scheinbar willkürlich um eine schonungslos in Erinnerungen schwelgende Björk rotiert. Spätestens hier wird jedoch auch deutlich, dass die Wahl-New Yorkerin alleine textlich noch nie derart schonungslos katharsisch gearbeitet hat. Immer mehr mutiert ‚Vulnicura‚ von hier ab zu einem enigmatischen, unaufhaltsam nach vorne strebenden Fluss aus Klängen. Langsam verliert Björk das Interesse an wiederholenden Strukturen, beginnt sich in den gedankenschweren Kokon von Arca zurückzuziehen.
Der dramatische Klagegesang von ‚Black Lake‚ steht damit als 10 minütiger Monolith an der Grenze zwischen der leichter zu konsumierenden ersten Plattenhälfte und der Metamorphose zum in sich selbst hinein starrenden Elektronik-Abgrund der zweiten, hält noch die Balance zwischen hoffnungsvoller Melodie und Düsternis, die direkt in die Arme von Bobby Krlic führt: ‚Family‚ ist praktisch eine The Haxan Cloak-Nummer mit stetig anwachsender Björk-Prägung, ein ungemütlich Malstrom aus Dark-Ambient-Texturen und todesmüde drückenden Subbässen, unweit von ‚Excavation‚ entfernt – bis das Szenario zur Mitte plötzlich in einen nervösen Geigenpart kippt und in trügerischen schillernden Scoregefilden ausklingt. Das verstörend gegen sich selbst arbeitende ‚Not Get‚ verschiebt seine Spannweite dafür in die psychedelisch aufwühlenden Gegenden des Animal Collective; das optimistisch tapsende Karusell ‚Atom Dance‚ holt Antony Hegarty an Bord, die Konturen verschwimmen im Klangraum immer verzauberter. ‚Quicksand‚ beendet die kreisende Selbstreflektion dann unterschwellig hektisch loopend, an der Oberfläche hingegen angenehm undüster strahlend, wenn auch etwas abrupt den Stecker ziehend.
Aber einzig das von Arca mit übermotivierten Spaceeffekten zerschossene ‚Mouth Mantra‚ steht sich im gesamten Verlauf selbst im Weg: hier kippen die Grenzen von aufwühlend zu anstrengend, es sei Björk gestatet. „Once it was simple/ One feeling at time /These abstract und complex feelings /I don’t know how to handle them.“ singt Björk gleich in ‚Stone Milket‘ und straft sich selbst dabei ein wenig Lügen. Hat sie doch den idealen Umgang mit der abstrakten Komplexität der Platte gefunden, indem sie alte Tugenden berücksichtigt: Björk’s Visionen sind immer dann am faszinierendsten, wenn sie beim Prozess der Kopfgeburt nicht den Umweg über das Herz vergessen. Und auch wenn sie bereits größere Songs geschrieben hat: mehr verzweifeltes, kämpfendes Herzblut hörte man noch aus keiner ihrer Platten triefen.
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