Billy Strings – Renewal

Dass szenebewanderte US-Fans weiterhin darüber schwadronieren, dass Billy Strings auf Platte weiterhin nicht die magische Genialität seiner angeblich orgasmischen Liveshows erreicht (oder eher: gar nicht erreichen will, weil er hier eine kompaktere Ausdrucksform wählt), erscheint angesichts von Renewal regelrecht absurd: Besser als der 29 jährige konserviert auch im Studio derzeit niemand den progressiven Bluegrass.
Die zwei relativen Schönheitsfehlern der Platte sind nämlich mehr als verschmerzbar. Mit 71 Minuten ist Renewal zwar gefühlt schon wirklich eine Spur zu lange ausgefallen, um es am Stück problemlos zu goutieren, doch geht Quantität hier nicht vor Qualität: Trotz seiner Spielzeit ist das Drittwerk des Mannes aus Michigan absolut kurzweilig ausgefallen, niemals entsteht ein Funken Langeweile, man möchte auch selbst dann keinen einzigen der insgesamt 16 Songs missen, wenn hinten raus, zwischen Hide and Seek sowie dem wunderbar kontemplativen, folkig in der Gemeinschaft aufgehenden Leaders keine Schwächephase in einer ausfallfreien Platte auszumachen ist, der übergeordnete Spannungsbogen bei allem weiterhin zündenden Spaß an der Sache über zwei instrumentale Ausflüge aber auch weniger essentiell gestreckt scheint.
Und dass diesmal kein Instant-Evergreen der Größenordnung Away from the Mire aus dem Gefüge herausragt, ist insofern eigentlich nebensächlich, weil einerseits besagtes Hide and Seek als knapp zehnminütiger Monolith eine vielleicht selbstsicherer und ambitioniertere Art von Monstrum ist, als Strings sie sich bisher abgewrungen hat, und andererseits das generelle Level im direkten Vergleich zu Home noch einmal gestiegen ist.
Auch wenn es subjektiv erst dieser eine fehlende Ausnahmesong gewesen wäre, der eine Aufwertung zwischen den Punkten am wertungstechnischen Ende ohne Überlegung bedingt hätte, rechtfertigt die enorme Konsistenz der Platte das Kratzen am Maximum und den Schwung zur zweithöchsten Punktezahl: Einzig, dass man nicht das Gefühl hat, dass Strings hier tatsächlich noch immer nicht an seinem Limit angekommen ist, schätzungsweise zukünftig schlichtweg noch mehr für den Ausnahmemusiker möglich sein dürfte, lässt Luft nach oben, während er die Konkurrenz endgültig einteilt ist.
Der Nachfolger des Grammy-prämierten und auch hier sehr geschätzten Home entpuppt sich als Grower, der nicht nur den Level der Standards hebt, sondern das vorhandene Material auch in einen kohärenteren, organischeren Spielfluss als seine Vorgängerwerke bringt – sich auf den Gastschauplätze von Fences bis Béla Fleck auszutoben hat der Homogenität also gutgetan.
Ohne Redundanz ist Strings sowohl als Songwriter und Sänger weiter gewachsen, verleiht seinen Kompositionen tiefgründigen Unterhaltungswert mit viel Gespür für Melodien, wo er die Konturen enger zieht und die Dynamiken runder werden. Was für ein Virtuose Strings ist, muß dabei wohl nicht mehr explizit erwähnt werden, dass er seine atemberaubende Technik songdienlich als Teamplayer nutzt, kann man aber ruhig nochmal unterstreichen: Mit uneitel geladenen Gästen wie Fidel-Wizard John Mailander oder Pedal Steel-Mann Spencer Cullum Jr. liefert Strings Band um Banjospieler Billy Failing, Bassist Royal Masat und Jarrod Walker (Mandoline) eine makellose Leistung – es ist schlichtweg eine Freude zu hören, wie die Instrumente etwa in Ice Bridges in den schwindelfreien Dialog treten, allen Elementen ein gleichberechtigter Raum zugestanden wird, selbst die textliche Ebene diesmal von externen Unterstützern aufgewogen wird, auch wenn die Gitarre nach wie vor den klaren Leithammel gibt.
Mit einer generellen Tendenz zu einer traditionelleren Veranlagung (egal ob wie in Hellbender schunkelnd oder Red Daisy eiliger) bleibt weniger Raum für den Grateful Dead’schen Jamgrass (wie im nachdenklichen, psychedelisch schraffierten Nothing’s Working), doch schon der Einstieg mit dem schmissigen Hit Know It All gerät schmissig und mitreißend. Secrets hält das Tempo und addiert schöne, soulige Backingelemente, bevor Love and Regret wunderbar balladesk der Nostalgie dröhnend zeigt, was für ein grandioser Sänger Strings mittlerweile ist.
Das proggige Heartbeat of America kann als Tribut an Iron Maiden und The Trooper im Bluegrass durchgehen, wohingegen das zeitlose In the Morning Light eine fast mystische Natürlichkeit in seiner Eleganz transportiert. Show Me the Door orientiert sich zum Country, ist sofort vertraut und hinten raus beschwingt, macht den sicher geglaubten Grammy-Sieg für Sturgill wohl im nächsten Durchgang schwierig bis unmöglich.
„We’re not the leaders anymore/ All our believers washed ashore“ singt Strings ganz zuletzt, liegt damit jedoch nämlich im übertragenen Sinn daneben: Er und seine Gang haben mit Renewal das Bluesgrass-Album aufgenommen, an dem sich die Szene vorerst messen wird lassen müssen, daran kann man guten Gewissens glauben.
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