Billie Eilish – When We All Fall Asleep, Where Do We Go?
Millionen streamen ihre Songs, Dave Grohl greift zu erschlagenden Vergleichen und Thom Yorke reißt es zumindest beinahe aus dem Sitz: Billie Eilish eint jedoch am Puls des Zeitgeist agierend mit When We All Fall Asleep, Where Do We Go? nicht nur die Fanmassen von Lana Del Rey und Lorde.
Etwaigen Diskussionen, ob die aus einem betuchten L.A.-Upper Class-Künstlerhaushalt stammende Billie Eilish nicht nur eine schlau kultivierte und gezielt kalkulierte Industry Plant sei (inklusive herrlicher Urteile wie „Billie Eilish is just Lorde directed by Jordan Peele but written by XXXTentacion“), haben die mittlerweile 17 jährige und ihr Bruder/ Co-Songwriter/ Glee-Darsteller/ Produzent (und in dieser Funktion wohl neben Jack Antonoff der neue Go To Guy des Indie-kredibilen Mainstream) Finneas O’Connell ja mit einer schier erschreckend konsistenten Fülle an Instant-Hits und Ohrwürmern den Wind aus den Segeln genommen. So eklektisch Eilish auch die Vorzüge aus dem Sound erfolgreicher Vorbilder in ihrer DNA vereinnahmen mag, gelingt ihr damit doch nichts weniger als grandioser, massenkompatibler, bisweilen gar makelloser Pop, der es in seiner infektiös-ansteckenden Unbedingtkeit obsolet macht, ob er nun aus dem Reagenzglas oder der freien Natur stammt: Er funktioniert schließlich auf emotionaler Ebene und ist auch auf dem Debütalbum der Senkrechtstarterin substantiell gehaltvoll und nur selten produktionstechnische Ästhetik.
Wenn man When We All Fall Asleep, Where Do We Go? nun also (abseits davon dass das Niveau der vorangegangenen Veröffentlichungen nicht vollends gehalten werden kann) einen Vorwurf machen will, dann den, dass sie trendaffiner ausgerichtet ist als die Vorbilder und dabei nicht so zeitlos aufgeht, wie etwa Melodrama oder Ultraviolence. Man wird sich (gerade als Ganzes am Stück) ein bisschen schneller an den hiesigen 43 Minuten satt gehört haben, sie mit ein bisschen Abstand wohl weniger oft neuerlich aufsuchen. Dabei sind Eilish und O’Connell an sich durchaus schlau genug, auf eine gewisse Nachhaltigkeit zu setzen, die sich nicht immer gleich auf dem Silbertablett serviert. When We All Fall Asleep, Where Do We Go? eine Stafette an (zumindest auf den zweiten Blick zwingenden) Singles und dennoch ein kleiner (ausfallfreier) Grower, der auf eine Art kohärente Inhomogenität setzt. Die stilistischen Schwerpunkte werden wieder und wieder neu positioniert, überzeugen im gesamten Albumfluss des unausgegoren zusammengefügten Mixtape-Wesen unter einer nichtsdestotrotz homogenen Atmosphäre.
When We All Fall Asleep, Where Do We Go? ist dabei immer auch ein Duell zwischen ausgelassenen Party-Augenblicken und intimer in sich kehrenden Szenen der Nahbarkeit. Und auch wenn Eilish über Nummern wie das nervös die Hi-Hat zucken und den Bass tief wummern lassende, dramatisch beschwörende you should see me in a crown praktisch immer clubtauglich bleibt, ist es doch eine gute Entscheidung, dass hinter all den Bangern letztendlich doch die verletzlichen und ruhigen Momente nahezu immer gewinnen.
Ein paar Gegenüberstellungen: Die schmissige Eröffnung bad guy pumpt etwa verführerisch schnippend, hat auch einen lasziven Groove mit abgedämpft pulsierendem Ambiente und gleicht den penetranten „Doh!“-Part mit seiner billigen Discokugelmelodie mit einem grandiosen Downbeat-Twist am Ende aus, doch wenn xanny direkt danach als betörend-verträumte Schwelgerei über latente Distortion und einen unaufgeregten Beat taumelt, dann ist das durch und durch verwunschene aufblühende Düster-Eleganz.
Die flapsig all the good girls go to hell tänzelt in der Lounge assoziativ launig zu Ariana Grande, doch das sedativ wabbernde wish you were gay wogt entschleunigt klatschend einfach soviel feiner, nicht erst, wenn der Refrain das Stadion und die Lagerfeuergitarre zusammenzubringen versucht. Also ja, Eilish beherrscht Facetten wie das mit funky Gitarrenlicks und Synthiebässen ausgestattete my strange addiction oder den unterkühlten Dancefloor von bury a friend mit treibem Design, sorgt für minimale Tanzmoves in stilisierten Hipster-Lokalen, in denen man nicht schwitzen kann.
Doch erinnern wird man sich nach dem enthusiastisch feiernden Augenblick wohl eher an das irgendwo zwischen fragiler Banjo-Nummer mit Helium-Stimme schmusende 8, die spooky ihren Drive findende Halluzinogen-Kinderspieluhr ilomilo oder die vage bleibende Pianoballade listen before i go im melancholischen Halbschlaf, die perlend das Cinemascope alter Klassiker skizziert, dabei aber doch nicht greifbar wird, bevor der elegische Epilog goodbye als versöhnlicher Abspann die wunderbar unspektakulär auf Einkehr gepolte Schlußphase von When We All Fall Asleep, Where Do We Go? eint. Warum man aber auch über When We All Fall Asleep, Where Do We Go? mit Eilish rechnen wird müssen, zeigen die beiden bereits jetzt erwachsendsten Songs der Platte. i love you ist eine universelle Ballsaal-Schönheit und zärtliche Gitarren-Streicheleinheit, die mit kleiner Geste die herzerweichende Gefühle aufgehen lässt und when the party’s over zaubert als sphärisch streichelnder Soul, dreht sich in Zeitlupe unter einerm endlosen Sternenhimmel, der deklariert: Ja, When We All Fall Asleep, Where Do We Go? hätte mit ein paar Kniffen, schlüssigeren Spannungsbogen, strengeren Narrativ, schlüssigerer Songauswahl und weniger juveniler Zielpublikum-Sprunghaftigkeit noch besser ausfallen können. Weswegen die (wertungstechnisch leichten Welpenschutz bekommenden) Platte über weite Strecken eher als Momentaufnahme begeistert, aber auch tatsächlich wenig Zweifel daran lässt, dass Eilish die Zukunft gehören könnte.
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