Billie Eilish – Happier Than Ever
Happier Than Ever geht ästhetisch genau die Richtung, die man sich nach dem Debüt When We All Fall Asleep, Where Do We Go? wünschte. Schade allerdings, dass Billie Eilish dabei dennoch „nur“ ein sehr gutes, aber vor allem ambivalentes Zweitwerk gelungen ist.
Es ist an sich eine großartige Entscheidung, dass Eilish und Finneas sich für den Nachfolger ihrer 2019er Platte für eine zumeist ruhigere, ambientere, nach innen und auch subtiler ausgerichtete Herangehensweise an ihren grundlegend simplizistischen, jedoch so enorm detailliert ausgearbeiteten Trademark-Sound entschlossen haben. Der Pop sucht den Bedroom-Präfix für seine R&B- und Elektro-Balsamierungen.
Auf den Erstkontakt (und auch den zweiten Blick hinausgehend) erscheint es dabei jedoch schade, dass das Songmaterial die Tragweite dieser reifer wirkenden Praxis nicht restlos stemmen kann. Denn Happier Than Ever ruft schon eine irritierende Reaktion hervor: Ja, das ist eine Sammlung von Songs, die sofort abholt und gefällt, die zudem das (weitestgehend auch eingelöste) Versprechen gibt, sich über eine nachhaltige Tiefenwirkung zum Grower zu entwickeln. Nur will sich auch mit einigem Abstand und zahlreichen Durchgängen keine unbedingte begeisterte Euphorie anstelle der absoluten Zufriedenheit einstellen.
Doch was sind die subjektiven kleinen Schönheitsfehler, die die Gesamtwahrnehmung von Happier Than Ever auf dem Weg zum Wunsch-Nachwuchs nun trüben?
Nun, in erster Linie ist die Platte mit 16 Songs und 56 Minuten schlichtweg zu lange ausgefallen. Dass es rund um die soulige Natalie Prass‘sche „Initialzündung“ My Future laut Eigenaussage wirklich alle Nummern auf die Platte geschafft haben, an denen das Geschwisterpaar für das Album gearbeitet hat (auch wenn frühe Tracklisten diesbezüglich ein anderes Bild zeichnen), nimmt Happier Than Ever ein wenig seiner Präzision und wirkt übersättigend, lässt das Zweitwerk auch über einen etwas zerfahrenen übergeordneten Spannungsbogen eher wie ein Mixtape wirken, dass zwar homogen in sich geschlossen, aber als Mosaik gleichzeitig auch latent all over the place agiert.
Das inhaltliche Narrativ (mit seinen Reflektionen über das Älterwerden, über Selbstwahrnehmung und -bestimmung sowie die Wirkung externer Einflüsse – mit dem in nachdenklich-somnambuler Trance rezitierenden Herzstück Not My Responsibility als Zielgruppen-Indikator, den außerhalb des Album-Kontextes aber wohl nur wenige Hörer ausschließlich separiert ansteuern werden) sorgt dabei zwar für eine klare Linie, doch pendelt die Musik dazu auch unentschlossen aus.
Getting Older geht eine perfekte Symbiose mit der akribischen Produktion ein, murmelt im eindringlichen Minimalismus, der wie ein zwangloser Raum um Eilish steht. Das catchy-schimmernde I Didn’t Change My Number wummert dagegen halluzinogen und Billie Bossa Nova schnipst entspannt mit der Yacht-Gitarre: Das Klangbild ist wie aus einem Guss, der Fluss des Songwritings greift aber nur bedingt ineinander, schleust eher Einzelszenen in das Ambiente.
Oxytocin tänzelt mit seinen Contemporary Subbässen etwa ein wenig aus der Reihe (während Eilishs Gesang alles wie hinter einem Schleier zum transzendenten nicht greifbaren entrückt) und ausnahmsweise in den Club, bevor Goldwing als sakrale Skizze anmutet, als hätte Grouper zu einem Dance-Remix gefunden, der im Halbschlaf döst. Lost Cause liebäugelt mit angedeutetem Funk im Downbeat, wo alleine der gedoppelte flüsternde Gesang eine atmosphärisch brillante Nuance addiert, und Halley’s Comet übernimmt als behutsame kleine Klavierballade, die sich irgendwann wunderbar in nostalgischen Traum verliert. Dezent pulsiert die Majestät in der stillen Kontemplation des sanften Everybody Dies, führt über die bezaubernde Acoustic-Miniatur Your Power zum sedativen Dancefloor NDA (als Lehrstück in Sachen fulminant akzentuierter Autotune-Kunst) und dem saloppen Samtpfoten-Stampfer Therefor I Am.
In der Schlussphase des Albums, wenn das Titelstück als Intimität beginnt, dann aber dann aber plakativ zur Rock-Stadium-Katharsis aufplatzt (und die übersteuerte Produktion der Drums wie ein Loudness War-Klischee den einzigen inszenatorischen Ausfall der Platte liefert) und das Finale mit kraftvoller Geste suggerieren will – nur damit das wunderbar betörende Male Fantasy als schön angenehmes Gitarren-Kleinod und Epilog die Dinge enervierend in die Länge zieht: Die kontrastierende Dynamik zum leidenschaftlich hingebungsvollen Klimax davor wirkt ein wenig willkürlich, wo man eigentlich bereits mit der Dramaturgie Platte abgeschlossen hat – was Male Fantasy an sich aber nicht schwächer macht. Nur funktioniert die Platte nur als Summe seiner Einzelteile – wächst aber eben nicht synergetisch darüber hinaus.
Es ist also zum ersten ein Problem, dass der übergeordnetere Spannungsbogen keine zwingende Linie findet; zum zweiten, dass tiefgründige Teenager-Texte eines Weltstars nicht sonderlich universell sind (was sich die Platte aber eigentlich nicht als Vorwurf gefallen lassen muss); und zum dritten (und wichtigsten), dass die Melodien und Hooks mit einer gewissen Unverbindlichkeit in der Subversivität begleiten, anstatt tatsächlich aufwühlend zu packen. Sie sind oft smart, anstatt wirklich an die emotionale Wurzel zu gehen, plätschern auch flüchtig, haben enorm viel Qualität und auch Tiefe. Das führt dazu, dass Standard-Songs wie die Dreampop-Elektronik Overheated absolut nichts falsch machen, außer, nicht das gefühlte Maximum aus sich herauszuholen, weil die letzte Meter zum brillanten Geniestreich fehlen. Als Bestätigung zweier kongenialer Ausnahmetalente ist das natürlich alles Jammern auf verdammt hohem Niveau, denn Happier Than Ever ist zwar nur eine sehr gutes Album, wo ständig ein herausragendes spürbar ist – aber in seinem Mainstream-Metier auch relativ einsame Klasse.
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