Bill Callahan – Shepherd in a Sheepskin Vest
In den sechs Jahren seit Dream River hat sich einiges an Material bei Bill Callahan angestaut: Shepherd in a Sheepskin Vest ist mit 64 Minuten Spielzeit über 20 Songs das bisher ausführlichste Album des Smog-Meisters.
Dass das Volumen seines sechsten Studioalbums durchaus erschlagend wirken kann ist dem 53 Jährigen wohl bewusst: Vorab zur physischen Version hatte Callahan Shepherd in a Sheepskin Vest digital auf drei Tranchen aufgesplittert veröffentlicht.
Dabei ist gerade die Länge auch elementarer Bestandteil einer Platte, deren übergreifendes Narrativ essentiell für die Wirkung des Gesamtwerkes ist, indem es den inhaltlichen Fokus mehr oder minder auf das Leben als Familienmensch legt, in dem Callahan mittlerweile sein Glück gefunden hat. Man verliert sich deswegen in den strukturoffenen Erzählungen wie in einem episodenhaften Roman, nein, einem nicht plotgetrieben, uferlos fließenden Epos, dessen mosaikartiger Episoden-Handlungsbogen über eine lose Riege an folkigen Americana-Stücken konturlos und unaufdringlich in eine nur an der Oberfläche gleichförmigen Reduktion verschwimmt, nur selten konkrete und zwingende Momente – geschweige denn explizite Ausnahmesongs – in den Vordergrund rückt, da die Atmosphäre über dem Ganzen stehend die Wahrnehmung mit nonchalanten Details prägt.
„Well, it’s been such a long time“ schrammelt Callahan in Shepherd’s Welcome aus den Off kommend ins Zentrum, während The Ballad of the Hulk als mit digitalen Streichern, Drummachine und popkulturellem Schmunzeln ausgestatteter Tribut an Bruce Banner schmeichelt. „It feels good to be writing again/ Clear water flows from my pen/ And it sure feels good to be writing again“ gesteht der Mann vom „Top of the Mountain“ in Writing – doch die Songs muten an, als wären sie Callahan wie selbstverständlich zugeflogen. Morning is My Godmother ist ein sentimentales Kleinod mit bezauberndem Backgroundgesang von Gattin Hanly Banks, in 747 schmiegt sich Callahan an Nick Drake, bis der klappernde Rhythmus hinten raus schon beinahe aufs Gaspedal steigt.
Die diffus gegen den Strich gebürstete Folk-Klanginstallation Released versetzt seine Hook und What Comes After Certainty findet einen ganz eigenen Zugang zur Romantik („True love is not magic/ It’s certainty/And what comes after certainty?“), wo Son of the Sea seinen tragischen Seemannsgarn mit Wilco-Flair spannt. Am besten: Das wunderbar unangestrengten Traditional-Cover Lonesome Valley schunkelt unendlich liebenswürdig und The Beast kommt tatsächlich auch als Individuum in die Nähe Callahan’scher Klassiker.
All dies will hinter dem Schleier der allgemeinen Stimmung allerdings gar nicht so eklatant auseinanderdividierbar wirken (wie auch live ein bisschen erdig-kantiger daherkommt), erst nach und nach werden die Impressionen akzentuierter. Es ist jedoch zu keiner Phase anstrengend in die nur augenscheinlich kontrastfreien Tiefen der Platte abzutauchen, sich in der profanen Schönheit der simplen (Love-)Songs zu verlieren, deren Ergebnis letztendlich mehr als die Summe ihrer Einzelteile ist. Jedes kleine Element hier lässt Shepherd in a Sheepskin Vest weiter wachsen, warm und komfortabel, einem Mosaik gleich. Nichts scheint überflüssig, auch wenn die tragenden Elemente assimiliert werden, das Album wie ein transzendentales, hypnotisches Ambientwerk funktioniert.
Man folgt Callahan und seiner schmeichelweichen Stimme mit traumwandelnder Anmut und wohliger Entspannung durch das aufgeräumte Instrumentarium aus diversen Gitarren, bauchigem Bass und einem dezentem Schlagzeug, sporadischen Marimbas und Mundharmonika-Einsätzen, deren nachhallende meditative Gravitation einem selbst über den Umweg der schöngeistigen Hintergrundmusik das Herz betörend aufgehen lässt.
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