Bilderbuch – Vernissage My Heart

von am 9. März 2019 in Album

Bilderbuch – Vernissage My Heart

Wenig überraschend: Die beste Substanz des zeitlich versetzt veröffentlichten (zweieiigen) Zwillingspaares Mea Culpa und Vernissage My Heart kombiniert hätte Magic Life einen grandiosen Nachfolger bescheren können. Und ganz generell ein schlüssigeres Gesamtwerk ergeben, als es nun auf zwei mehr oder minder kompakte Veröffentlichungen aufgesplittet der Fall ist.


Dass sich im Hause Bilderbuch eine Problematik hinsichtlich der offenkundig extrem legeren Selektion des im Jahr 2018 angesammelten Materials auftun könnte, war mit dem aus dem  Nichts kommenden Mea Culpa bereits relativ sicher, deutete sich aber im Grunde bereits durch die famos-verschwendete Stand Alone-Single Eine Nacht in Manila an (und setzt sich nun, wenn man so will, übrigens durch die verschmitzte falsche Tracklist-Fährte des Mr. Refrigarator-Fake Mr. Supercool auch konsequent fort).
Die Entscheidung, den vorhandenen Songpool zu teilen und auf eventuelle Nebenschauplätze auszulagern, ist mit den nun nachfolgenden 36 Minute von Vernissage My Heart zwar einerseits nachvollziehbar, viel mehr aber dann doch die Bestätigung, dass der Bilderbuch-Kontrast merklich aus der Balance geraten ist.
Was durchaus paradox ist. Denn wo das erste der beiden Zwillingswerke ein zwischen sehr guten Highlights und enervierend mäandernden Skizzen pendelndes Sammelsurium darstellte, verschärft Vernissage My Heart dieses Gefälle keineswegs noch einmal ähnlich gepolt, sondern gibt sich stattdessen mit ähnlich lockerem Überbau einer gewissen Gleichförmigkeit hin: Keine Nummer sticht hier wirklich herausragend aus dem Gefüge heraus, bis auf den unnötig skizzierten Nachsatz Memory Card 2 (ein akustischen Gitarrengeplänkel und lose Effekte wollen den direkten Queverweis zu Mea Culpa herstellen, bleiben aber im Kontext reiner Leerlauf) existiert auf Vernissage My Heart allerdings auch kein tatsächlicher Ausfall. Der qualitative Level hat sich ohne gravierende Amplituden viel mehr auf ein vergleichsweise unspektakuläres, weil nur sehr bekömmlich entgegenkommendes Niveau eingependelt.

Im direkten Vergleich zu Mea Culpa sind die Songs von Vernissage My Heart im Kern greifbarer, eingängiger, straighter, physisch präsenter und damit theoretisch wieder näher dran am befriedigenden Fanservice. Praktisch aber übersetzt die Band die Kompositionen mit der legeren Aufarbeitung in einen ähnlich diffus eingerauchten Space-Rausch, inszeniert infizierendere Hits so trippig vage, bis nicht nur die mit unzähligen Effekten beladenen Gitarren eine abstrakt verfremdetes Flair bekommen. Trotz einer homogen Stringenz mutet das Geschehen so wie zufällig mit schmissigen Hooks und catchy Melodien verschwimmend an, plätschert meist zwanglos zerfahren und die Strukturen unverbindlich auflösend dahin, und wird durch eine träge und energielose Ausstrahlung über der tollen Substanz damit frustrierenderweise sowohl zur logischen Folgeerscheinung von Mea Culpa, wie es dessen wieder mit klarerer Orientierungspunkten arbeitende Antithese darstellt.
Der mitunter widersprüchliche nächste Evolutionsschritt spielt Bilderbuch zwar schon auch in die Karten – weil er die Entwicklung interessant hält, da die Band stilistisch nicht stehen bleibt, sich keine Komfortzone gönnt – gräbt ihr aber phasenweise auch bestehende Qualitäten ab. Weil man hier an der Grenze angekommen ist, die hippe (Sound-)Ästhetik über das wieder konkretere Songwriting zu stellen und es damit zugunsten einer (ureigenen) Trend-Attitüde schleifen zu lassen: Emotional funktioniert die Musik von Vernissage My Heart nur noch selten, kann als angenehm zu konsumierende Lounge-Begleitmusik für tiefensentspannte Chill Out-Areas im Gegensatz zu den zwingendsten Momenten von (dem eben mit einer konträren Agende arbeitenden) Mea Culpa trotz (oder gerade wegen) der gestiegenen konventionellen Eingängigkeit jedoch keine packende Nachhaltigkeit erzeugen.

Es fehlt bisweilen einfach das Gefühl, es bei den acht versammelten Songs mit unbedingt essentiellen Bestandteilen des Bilderbuch-Universums zu tun zu haben. Umso klarer ist dagegen der Eindruck, dass die vorhandene Substanz mit mehr Konzentration deutlicher forciert hätte werden können, ohne den formlosen Reiz der Platte zu vernichten. Die einnehmende Diskrepanz aus Auftreten und Inhalt zeigen Bilderbuch dabei gerade im knapp zehnminütigen Checkpoint-Revival-Closer Europa 22, der irgendwann alle Strenge fallen lässt und elegisch sinnierend als Instrumental über sein Ziel im ambienten Fahrstuhlschacht hinausdümpelt: Das gefällt, erweckt aber nur bedingt das unstillbare Verlangen, diesem Reigen mehrmals zu folgen. Weil hier auch soviel Potential liegen gelassen wurde.
Vernissage My Heart ist insofern zwar eine fast schon subversiv-hedonistische Platte geworden, ohne aktiv mitzureißen. Selbst wenn beispielsweise der kleine Ohrwurm Ich hab Gefühle mit soviel subtilem Groove dahinläuft und praktisch wenig falsch macht – weil einfach kein restlos erfüllender Climax angeboten wird. Stattdessen wabbert auch der Titelsong eine Spur zu relaxt, auch der entspannte Hit LED Go findet ohne Forderung unaufdringlich in die Gehörgänge. Weniger Lockerheit wäre hier manchmal mehr.

Zwar gibt es im stacksenden Mr. Supercool mit ätherischer Unverkrampftheit retrofuturistische Synthies und Chöre, doch kaum Grundspannung. Der monotone Rhythmus in Frisbee läuft vielleicht zappelig dahin, später jaulen alle vom Mumblecore kommenden Slacker den simplen Refrain im Halbschlaf mit, zuviel Valium oder Gras hemmt jedoch die Endorphine. Am besten ist insofern vielleicht noch der Opener Kids im Park, der über seine heavy Gitarren die erste Lebensphase der Bilderbuch-Historie reminisziert, psychedelisch heulend und bratzend nach und nach jedoch symptomatisch immer weiter in der Verzerrung verschwindet. Was überragend hätte werden können, flirtet mit der Egalität.
Das mag dem Charakter der Platte entsprechen, der deswegen letztendlich auch durch nachvollziehbar von Mea Culpa abgegrenzt wurde. Tatsächlich hätten sich die jeweiligen Mäkel der beiden Platten aber durchaus gegenseitig aufwiegen (wenn schon nicht kompensieren) können, sich aus den insgesamt 17 Songs und 71 Minuten der zwei Alben jedoch eben nicht nur ein durchwegs organischeres Gesamtwerk, sondern schlichtweg überzeugenderes Ganzes kreieren lassen. Was dann auch keine Frage der Quantität ist (im Gegenteil: die Kompaktheit der zwei Veröffentlichungen steht Bilderbuch an sich hervorragend, gerade nach dem Flickwerk Magic Life!), sondern ausnahmslos eine der Effizienz und Qualität, indem die Dynamik sowohl in eine bessere Balance und gleichzeitig abwechslungsreichere Intensität versetzt worden wäre. Aber derartige Spinnereien gehören dann ja auch irgendwo zum Charme der Band.

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