Bilderbuch – Magic Life
Bilderbuch zelebrieren, reflektieren und fragmentieren den All Inclusive-Club des Lebens auf Magic Life mit einer geradezu selbstverständlichen Eigenwilligkeit, feiern ihren eklektisch-überspitzten Trademark-Sound aber vor allem deutlich entspannter und demonstrativ sperriger, als auf der durch die Decke gehenden Hitschleuder Schick Schock.
Viel haben Bilderbuch ja nicht falsch gemacht, mit ihrem megalomanisch euphorisierenden 2015er-Wahnsinnswerk Schick Schock. Ein Vorwurf, den sich die herrlich exzessiv über alle Stränge schlagende stilistische Zäsur der ehemaligen 0815-Indierocker aus Kremsmünster/Wien allerdings dann doch gefallen lassen musste: Die lange im Voraus ausgekoppelten Songs rund um die Feinste Seide-EP sowie die Killer-Single OM stellten das auf Albumlänge nachgelegte Material doch in den Schatten.
Ein relatives Manko, unter dem nun auch Magic Life – weniger eklatant, aber doch – leiden könnte. Einige der spektakulärsten Songs der Platte kennt man schließlich bereits, weil Bilderbuch eben weiterhin eher mit der Tür ins Haus fallen, als sich ein paar Asse im Ärmel zu behalten.
I <3 Stress treibt hypnotisch zwischen Trap, Prolo-Fanfaren, Kendrick Lamar-Verneigung und Final Fantasy-Ladebildschirm, bevor Michael Krammer alias Mizzy Blue mit seinem hyperventilierenden Queen-Retrofuturismus Akzente setzt: Magic Life wird immer wieder derart orgasmisch von den überragenden Ideen des Gitarristen leben. Mehr noch als der mit kryptischer Billo-Blingbling-Gehabe, Falco-Versatzstücken und Autotune marschierende Frontgockel Maurice ist Krammer der deklarierte Held der Platte, der seine Gitarre spielt, als müsste er exhibitionistische Synthies mit sexgeilen Prince-Licks paaren. Deswegen reduziert sich gleich das folgende Sweetlove auch als digitaler Balztanz alleine auf Gitarre und Stimme, gibt sich verführerisch und ekstatisch als sich nonchalant windende Verführung – ein minimalistischer Triumphzug!
Und dann ist da natürlich auch noch Bungalow, die lange hinausgezögerte unbedingte Hitsingle, die mit viel Dadaismus und gnadenlosen Hooks als Zugeständnis an die Erwartungshaltungen sogar endgültig den biederen Mainstream knackt. Eine doppelbödige Poledance-Finte mit unwiderstehlichem Hüftschwung, ein How to Bilderbuch-Destilat, das aber dann eben – im großen Unterschied zu den vorauseilenden Schick Schock-Ohrwürmern – keinesfalls als Gradmesser für das restliche Album herangezogen werden darf, da sich die Perspektiven für Bilderbuch nach dem Durchbruch merklich verschoben haben.
In dieser Ausgangslage will sich Magic Life nämlich gar nicht erst am Vorgänger messen, wodurch gewisse Facetten sogar durchaus schlüssiger gelingen. Da das Gefälle zwischen den Vorabsongs und dem restlichen Material zwar merklich, aber weniger gravierend ausfällt (Nummern wie Maschin oder OM schreibt man halt nur einmal im Leben – da kann hinsichtlich der nicht umzubringenden Hitqualität letztendlich keine 2017er-Komposition mithalten, selbst Bungalow nicht) und Bilderbuch mit feinen Interludes (Carpe/Diem, Baba 2 und der Titelsong reiten allesamt als rein verbindende Atmosphärebilder unter der Minutengrenze ins Ziel) das Gesamtbild zudem detailfixierter und kohärenter abrunden als auf Schick Schock, ist der Albumfluss über extrem kurzweilige 37 Minuten nun etwa noch stimmiger und nahtloser geraten, weiß gerade in Verbindung mit der neu gefundenen, allgemein zurückgelehnteren Gangart der Platte zu überzeugen.
Selbst die als Vorabnummer so unschlüssig entlassende Skizze aus losen Hooks und Pseudo-Bläser-Haken Erzähl deinen Mädels Ich bin wieder in der Stadt funktioniert im geduldigeren, fordernder zündenden Kontext, da nunmehr eben klar ist, dass sich die Band aus der Wohlfühlzone pusht und deutlich weniger griffig, kompakt und hitfixiert als zuletzt agiert.
Ein ambitionierter Zugang, den man ihr kaum hoch genug anrechnen kann, der sich durch starke (aber eben nicht restlos überwältigende) Einschübe wie der regelrecht soulig-zärtlichen Pop-Annäherung Investment 7 zudem immer wieder ohne abgehobene Zerschossenheit festigt. Und mit einem Podest für den schlechten Geschmack wie dem toll grummelnden Funkbastard SUPERFUNKYPARTYTIME (als würde DJ Qualls die Hauptrolle in einem Boyband-Biopic über Justin Timberlake spielen) muss man schließlich erst einmal durchkommen.
Am nötigen Selbstbewusstsein mangelt es Bilderbuch nach Schick Schock schließlich nicht mehr – Magic Life geht insofern immer wieder einen Schritt weiter. Will das Erfolgsmuster des Vorgängers demonstrativ nicht wiederholen, sondern gibt sich fragmentarischer, zerissener, suchender – ist in gewisser Weise auch progressiver, wenn man damit den Mut zu irrsinnigerem Trash meint.
Als Rückseite der Medaille zeigt sich in den schwächeren Phasen der Platte dadurch aber auch, dass die Attitüde, das Stilbewustsein und das Inszenieren von aufsehenerregenden Soundklischees bisweilen doch auch gewichtiger auszufallen droht, als ein tatsächlich komplettes Songswriting.
Sprit n‘ Soda forciert seine tolle Stimmung enorm dezent, pulsiert rund um sein Solo aber ohne erkennbares Ziel; Baba stampft als Reggae-Fingerübung zur eingängigen Horizonterweiterung, die wieder nur Krammer rettet, weil Ernst lyrisch offenbar sinnbefreit keine Hand reicht und damit sogar nervt; Und das relaxt mäandernde, im Ansatz grandiose sneakers4free ist eher darin bemüht trendige Wortkreationen zu prägen („Free drinks/Frinks!„) und Nick Valensi Rosen zu streuen, verpasst aber dabei aber knapp vor der pianolastigen Hymne den eigensinnigen Anschluss zu Miguel, Frank Ocean und Co.
Dann überspannt Magic Life den Bogen einfach und karikiert den Style der Band ohne erkennbaren – oder zumindest einen nur unfertig wirkenden – Mehrwert, vor allem aber ohne emotionale Reibungspunkte. Dann ist Magic Life mehr Schein als Sein, in dem nicht der Hang zum Experiment, sondern trotz allem das kultivierte Image letztendlich Form und Inhalt bestimmt, und Bilderbuch der ambivalente Spagat zwischen fordernder Verweigerungshaltung und Trademark-Spiel nur zu oberflächlich und unbefriedigend gelingen will.
Und ja, selbst dann scheitern Bilderbuch in erster Linie ausnahmslos an sich selbst. Dennoch liefert das Quartett mit Magic Life ein Album, das man alleine aus kreativer uns künstlerischer Sicht absolut zu schätzen wissen kann (und sollte), weil es die Band gerade in Verbindung mit ihrer so unverwechselbaren stilistischen Handschrift noch einmal schwindelerregender, rücksichtsloser und konsequent freispielt, ohne dabei auf überzeugende, mitreißende und unterhaltsame Songs zu vergessen – dass subjektiv aber eben letztendlich dennoch eine kleine Enttäuschung nach Schick Schock darstellen darf.
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