Bilderbuch, Lino Camilo [16.10.2024: Orpheum, Graz]
Bilderbuch starten in die nächste Tranche ihrer Softpower 2024-Tour mit dem ersten von zwei (trotz nicht gerade günstiger Ticketpreise) ausverkauften Konzerten im Grazer Orpheum.
„Freut ihr euch schon auf Bilderbuch?“ fragt Lino Camilo, um dem einsetzenden Jubel grinsend ein augenzwinkerndes „Das ist natürlich scheiße, weil jetzt bin ich noch ein bisschen da“ hinterherzulegen.
Kurzfristig als Support Act an Bord geholt ist es natürlich nicht scheiße, dass die Wiener Musikerin auf der Bühne steht, um ihr bisher größtes Konzert zu spielen. Die von „Jadu Heart, Big Thief, Alexandra Savior und Cibo Matto“ inspirierte Musik erinnert nämlich durchaus interessant – mal knackiger im Indie, mal formoffener zum avantgardistischen Artpop tendierend – vage an eine Melange aus Babyshambles, Ahnoni und Jeff Buckley, macht also grundlegend schon vieles richtig, ist ästhetisch anziehend und auf eigenwillige Weise referentiell. Stimmlich dazu nicht immer sauber, aber beseelt und hingebungsvoll. Die minimalistisch aufgestellte, wiewohl breit agierende Band hat auch Spaß und legt sich ins Zeug, wenngleich jene Phasen, in denen man nicht den beliebigen Rock forciert, deutlich interessanter ausfallen.
Das einzige Problem ist, dass die passenden Songs noch fehlen. Die Kompositionen dümpeln mäandernd umher und verlieren gute Ansätze, ohne zum Punkt zu finden. Dem bereitwillig tratschenden Publikum gefällt es dennoch, der Applaus geht klar.
Eingerahmt von drei Videowalls (und hinter einem naturalistisch-hippiesken Jonathan Wilson’eskem Folk-Intro) fegen Bilderbuch dann etwaige Gesprächs-Intentionen in der Menge ansatzlos weg: Der Sound ist (wie immer in der Location) spitze, kraftvoll und besonders massiv, wird durch den Einsatz zweier synchron wirbelnder Schlagzeuge zusätzlich mit einer vehementen Kraft aufgeladen, die dem Set von 0 auf 100 gehend voll rhythmischer Intensität eine muskulös getriebene Dynamik verleiht, während die Stimmung der Besucher exponentiell ansteigt. Der extrem dichten Präsenz, die Bilderbuch für diese Tour kultiviert haben, kann man sich in der ballernden Vehemenz nicht entziehen, Nummern wie Gigolo haben live nun um ein vielfaches mehr Dampf unter der Haube, als in der Studioversion. Und gerade das Softpower-Material kommt als 2023-Highlight in dieser Umsetzung noch entfesselter zur Geltung. Warm werden muss hier also niemand – passend dazu hats gefühlte 40 Grad im Saal.
Maurice Ernst tollt als exzentrischer Chef-Charismatiker unter einer Teufelshörner-Mütze über die Bühne, das Publikum frisst ihm aus der Hand. Bungalow mutiert unter diesem Umständen im mächtigen Groove, bei dem Ernst großteils der Menge den Gesang überlassen kann und rund um eine Dada-Story zu seinem verletzten Zeigezeh daran erinnern, dass der Mensch in der Gemeinschaft Übernatürliches vollbringen kann. Der heutige Abend solle dazu zählen.
Er berichtet von einer Zeit der Doppelmoral und verspricht „Graz, ich opfer mich auf für dich!„, nur um zu fragen: „Aber kann man mir trauen?„, bevor er von Politik fantasiert und im loungigen Geklimper verrät, dass die Allgemeinlösung nur „alle müssen Jazz hören, die ganze Zeit“ lauten könne. Ein Bilderbuch-Konzert kann wirklich eine verdammt kurzweilige, für gefühlt jeden einzelnen in der dezitiert heterogenen Besuchermasse, eine bedingungslos unterhaltsame Sache sein. Alles bewegt sich und jubelt, unkaputtbare Hits wie Maschin oder Checkpoint (Nie Game Over) werden besonders frenetisch gefeiert. Schade höchstens, dass Gelb ist das Feld von 2022 auf der aktuellen Tour zu kurz kommt.
Wo der Show selbst also zwischen den Songs der Schalk im Nacken (oder der Teufel vorm Mikro) sitzt, gehen die Scherze nie auf Kosten der Musik. Die Band ist perfekt eingespielt, hält die Zügel mit einem profesionellen Gespür für Dramatik und Entertainment eng, lässt in einer fabelhaften Lichtshow strahlend aber Raum für freigeistige Ausflüge.
Aber Airbags wird zu einem fast 20 minütigen Jam ohne Verschnaufpausen, Spliff dreht psychedelisch ab und Ab und Auf wird (mit Widmung fürs Ernsts angeblich anwesenden, jedoch mutmaßlich justament am Klo anhängenden Vater) weicher ausgeträumt.
Zur Zugabe lassen sich Bilderbuch nach dem extatisch pumpenden Club-Kerosin Bluezone bitten, machen allerdings auch hier (abseits einiger kleiner subjektiver Längen im Spannungsbogen) wenig falsch: Gitarrist Michael Krammer gehört die Bühne für das später zum Raggae schippernde Baba erst nahezu alleine, Nahuel Huapi zaubert gefühlt jedem Anwesenden ein glückseliges Lächeln ins Gesicht. Willkommen im Dschungel ist deplaziert, trumpft dafür mit einem (beinahe) in Einigkeit knieenden Orpheum („einer der geilsten Clubs in Österreich„, den die Band nach neun Jahren endlich wieder bespielen dürfe) auf, bevor der Übersong OM sich selbst in aller Ergiebigkeit verdient zelebriert. Nach rund 100 Minuten ist dann aber auch genug. Denn toll ist das alles fraglos, Band und Publikum haben Spaß und genießen den Abend, den Augenblick. Den Eindruck, dass all die Begeisterung mittlerweile jedoch auch einfach eine Art profesionelles Business as usual für Bilderbuch darstellt, nimmt man insofern wohl relativ exklusiv als subjektiven Beigeschmack mit.
Setlist:
Softpower
Dino
Digitales Wunder
Gigolo
Kitsch
Bungalow
Schwarzes Karma
Aber Airbags
Maschin
Ab und Auf
Checkpoint (Nie Game Over)
Spliff
BluezoneEncore:
Baba
Willkommen im Dschungel
Nahuel Huapi
OM
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