BIG|BRAVE – Vital
Wenn eine Band eigentlich seit eigentlich jeher, im Falle von BIG|BRAVE spätestens aber seit dem Zweitwerk Au De La, derart angekommen ist, ist es natürlich hochgradig paradox, wenn sich ein Album wie Vital doch auch gewissermaßen wie eine Selbstfindungsphase anfühlt.
Eventuell ist es insofern vielleicht richtiger, von einer Vermessung der ureigenen inneren Wertmaßstäbe zu sprechen. Immerhin haben die Kanadier selbst einen Besetzungswechsel ohne relevante Charakterverschiebung überstanden: Tasy Hudson ersetzt den 2018 ausgestiegenen Louis Alexandre Beauregard ohne jede markante Umstellung im grundlegenden Sound der Band, immer noch spielt die Achse aus Robin Wattie und Mathieu Ball ihre Songs wie gebetsmühlenartig zwischen laut und leise kriechende Walzen, schwer aus- und pausierend im klärenden Einatmen.
Schon der Opener Abating the Incarnation of Matter bietet insofern keinerlei Überraschungen, wenn sich das Trio in bewährter Weise unermüdlich und stoisch einen Berg aus Doom, Drone und Sludge und Post Metal hinaufschleppt, vor jedem anrollenden Passage kurz Luft holend. BIG|BRAVE drängen in gleichermaßen erschöpfter wie unnachgiebiger Hartnäckigkeit. Die Spannung wird immer dichter, die Band zieht die Dynamik enger, ohne ihre Rolle zu verlassen, doch wird die Stimmung alleine dadurch subversiv immer dringlicher, weil der Gesang immer manischer und flehender aus sich herausgeht. Schon zu diesem Zeitpunkt lässt sich übrigens attestieren, dass Wattie noch nie eine bessere Leistung abrief, als auf dieser Platte.
Wo die Sängerin (die ja zuletzt übrigens ja auch mit ihrem Abstecher zu Thou absolut aufzuzeigen wusste) und Co. den also altbekannten, zutiefst simplen und gleichzeitig anmutig wie archaisch-primitiven MO von BIG|BRAVE auf Albumlänge bisher auch durch externe Impulse und Gäste differenzierten, kommt Vital ohne derartige zusätzliche Einflüsse aus. Zwar werden die Texturen immer wieder durch andächtige Elemente ausgeschmückt, die das Viertwerk der Band beinahe schamanistisch und spirituell angehaucht in die ästhetische Nähe von OM rücken können – freilich ohne jeden Patchouli-Geruch oder okkulte Vorstellungen.
Anstatt also das Farbspektrum wie bei Ardor (2017) und A Gaze Among Them (2019) zu verändern, kommt die Variation diesmal jedoch von innen heraus, wächst aus einem Songwriting, dass sich über weite Strecken wie eine Optimierung der gängigen Formel anfühlt und die Vorzüge der Attribute auf den nächsten Level hebt.
Am eindrucksvollsten deutlichsten wird dieser Schritt in Half Breed, einer der besten Nummern der Band bisher, indem die Komposition mit einem umwerfenden Selbstvertrauen wächst. Field Recordings und Tempel-artige Schraffuren begrüßen einen Kontrast aus der kasteienden, verletzlichen Katharsis von Wattie (diese Performance!) in der regelrechten Acapella-Stille und vom Noise infizierten Eruptionen. Ruhe und Sturm agieren streng, aber harmonieren in symbiotischer Wechselwirkung. Irgendwann lässt sich die Band in die Wogen eines mystischen Groove fallen, der durch die Distortion mit geradezu ritueller Trance einer meditativen Séance als Mantra folgt – bevor die Instrumente im Appendix noch deutlicher als sonst Platz für die Präsenz der Stimme machen.
Der ambiente Traum Wited, Still and All… gedeiht dort fabelhaft als in sich gehendes Herzstück, lässt sich melancholisch und körperlos durch hypnotische Klangschichten irgendwo zwischen den Schuld-und-Sühne-Klageliedern von Emma Ruth Rundle und den strukturfreien Andachten von Neptunian Maximalism treiben.
Of This Ilk zeigt durch die gebrüllte Unterstützung im Refrain ganz wunderbare Sumac‘sche Tendenzen in einem Stop-and-Go-Hadern, das wie eine tonnenschwere Erinnerung an You Would Know wirkt – auch wenn diese stimmliche Facette letztendlich zu wenig konsequent, roh und brutal eingesetzt wird, um ihre eigentliche Präsenz gravierend im restlichen Gefüge geltend zu machen. Wird die dabei aufgestauten Energie allerdings erst einmal freigesetzt, kommt das Öffnen des Druckventils einem Kraftakt, einer Katharsis gleich.
Wenn der Abgang der Nummer mit entschleunigter Klangschalen-Aura das abschließende Titelstück gebiert, schmälert das dennoch den Gesamteindruck, den Vital hinterlässt, weil der Closer mehr oder minder nach dem praktisch identischen Muster wie Of This Ilk gebaut ist (abgehakt sträubt sich die Nummer erst, bevor die Dynamik sich doch noch bündelt, ein straighter Rhythmus die Handbremse löst und in Gang setzt) – nur weniger gut: Zwar mutet das finale Drittel wie eine emotionale Reinigung im Stile von Cult of Luna an, doch ist der Weg dorthin redundant und mäandernd.
Das lässt den übergeordneten Spannungsbogen ohne Klimax vielleicht unverdientermaßen unrunder wirken, nicht zu Ende gedachter, zielloserer, als er tatsächlich ist. BIG|BRAVE bleiben allerdings keineswegs die Antwort schuldig, ob sie auch ohne kreative Katalysatoren von außen eine alleine auf sich selbst vertrauen könnende Hinwendung zur Perfektionsfahrt unternommen haben. Näher bei sich selbst war das Trio vielleicht nie – die Vorfreude auf die angekündigte Kooperation mit The Body ist trotzdem noch größer, als die eher zur puren Zufriedenheit, denn zur Euphorie tendendierende Begeisterung hierüber.
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