BIG|BRAVE, Kee Avil, Ilun [08.05.2024: Orpheum Extra, Graz]
Knapp zwei Wochen nach ihren Kumpels von Godspeed You! Black Emperor kommen BIG|BRAVE nach Graz – und füllen zumindest das Orpheum Extra (mit Unterstützung von Ilun und Kee Avil) relativ ordentlich.
Zugegeben: Bag Full of Empty Bags ist an dieser Stelle bisher unter dem Radar der Wahrnehmung durchgerasselt. Allerdings tut die Grazil-Band Ilun mit einem starken Auftritt als lokaler Opener alles, um diesen Umstand zu korrigieren. Ein bisschen klingt das nämlich so, als hätten gesittete Unsane ihren Noiserock gegen den Space-Stoizismus der Secret Machines getauscht, um für Sub Pop ein Post Hardcore-Album mit offen ausholenden Genre-Horizont zu schreiben – …oder so – derweil der Einfluss, den Steve Albini in der Musikgeschichte auf ewig hinterlassen wird, während der kurzweiligen (und eigentlich mit jeder voranschreitenden Minute noch besser werdenden, spannungsbogentechnisch toll aufgebauten) halbstündigen Show greifbar ist.
Mal schauen also, ob das Songwriting des Trios auf Platte konserviert noch ausgefeiltere Szenen hängen bleiben lässt als auf der Bühne. So oder so macht das jedenfalls ordentlich Bock auf mehr!
Spine, das zweite Album von Kee Avil hat dagegen alleine schon durch seinen Constellation Records-Hintergrund bei seinem Erscheinen eine gewisse Aufmerksamkeit generieren können – diese aber zumindest hier ebenfalls in keine angemessene Review ummünzen können. Was sich in absehbarer Zukunft freilich idealerweise auch noch ändern sollte, wiewohl der Nachfolger von Crease aus dem Jahr 2022 sich nach dem ebenfalls knapp 30 Minuten dauernden Set von Vicky Mettler (unterstützt von Kyle Hutchins auf der Bühne und Zachary Scholes hinter den Reglern) nun eines schwereren Standes ausgesetzt sehen wird.
Live entwickelt der experimentelle Noise Pop der Kanadierin nämlich eine noch intensivere Präsenz, ist hyperaktiver und manischer. Manchmal wünscht man sich da zwar, dass den eingängigeren, melodischeren Elementen mehr Raum zur Entfaltung übrig bleiben würde, wenn Hutchins die Klangcollagen von Kee Avil in fast akribischer Hektik rekonstruiert, und mit elektronischen Drums gefühlt auch phasenweise überkandidelt attackiert, ihn zur Reizüberfluting füttert. Doch gewinnt die von der Elektronik flankierte Kasteiung so eben auch an eigenwilliger Identität, Konsequenz und Schonungslosigkeit jenseits der kontrastierenden weichen Facetten der Platte.
Mettler streichelt die Gitarre dann mal wie ein sanfter Folterknecht mit gepeinigtem Blick, schleicht manchmal mit glasigen Augen wie eine behutsame Horrorkreatur verrenkt in vorsichtiger Zeitlupe über die Bühne und schärft in Summe vor allem nachhaltig Eindruck hinterlassend ein Profil, das auf eindrückte Weise an Kolleginnen wie Pharmakon oder Scout Niblett in einem nervösen, spannenden Indietronica-Mienenfeld denken lässt.
Setlist (ohne Gewähr):
Felt
See, My Shadow
The Iris Dry
Do This Again
Gelatin
Saf
At His Hands
Showed You
Croak
Seit BIG|BRAVE vor knapp acht Jahren das erste Mal Halt in Österreich gemacht haben, ist viel passiert – und die beeindruckende Evolution der Band im jüngst erschienenen A Chaos of Flowers kulminiert.
Eben dieses siebte Studioalbum des (auf dieser Tour – oder vielleicht sogar darüber hinaus? – durch Liam Andrews zum Quartett aufgewerteten) Trios aus Montreal stellt dann (sofern die hypnotisches Trance der Performance nicht die Erinnerung plattgewalzt hat) in chronologischer Reihenfolge und zur Gänze die Setlist im luftig gefüllten Orpheum Extra, nachdem Duke Ellington und die Coletranes in jazziger Stimmung den roten Teppich ausgelegt haben. Und auf diesem sanften Stimmungs-Barometer walzen BIG|BRAVE ihr Material monumental in die Breite.
Das Volumen, die Physis, die atmosphärische Dichte – all dies liegt beeindruckender in den Kurven gezogen und entwickelt seinen majestätischen Sog geduldig, beschwört Slowcore-Doom-Hohheitsgebiete in den Sphären von Earth und Sunn O))), geht auch auf der Bühne nicht den einfachsten, direkten Weg zum erdrückenden Klimax. Da lassen die Wogen der Frequenzwellen die Kleidung am Leib schlottern und den Magen vibrieren, überspülen die greifbaren Wellen aus Saiten die Vocals von Robin Wattie regelrecht und machen schlichtweg Mehr aus den Songs, die in mächtiger Grandezza die Dynamik von weicher Verletzlichkeit und berauschender Heavyness in einer entrückten Schönheit vermessen.
Wattie entschuldigt sich in einer der selten aus dem nahtlosen Musikstrom ausbrechenden Kommunikation beim Publikum dafür, dass es keine flippige Lichtshow gibt, weil sie eine Gehirnerschütterung habe. Doch die nur sparsam ausgeleuchtete Dunkelheit der schummrigen Bühne mit ihren wohlakzentuiert eingesetzten farblichen Ausbrüchen verstärkt das Ambiente tatsächlich sogar ohnedies ideal, passt perfekt zu diesen Drone-Sehnsüchten, in denen Mat Ball den Freigeist gibt und mit Andrews taumelnd gegen die Verstärker gelehnt das Feedback beschwört, während Tasy Hudson von der tektonischen Zurücknahme bis zur wuchtigen Seance ganz im Dienste der Sache arbeitet, verschmitzte Blicke mit dem Gitarristen tauscht und Wattie nicht in ihrer Konzentration vor den Textzetteln stört. BIG|BRAVE sind ein Organismus hinter der Wand ihrer raumergreifenden Musik.
Im massiven Sound breiten BIG|BRAVE so ihren eigenen, schleichenden, melancholischen Klangkosmos beeindruckend fesselnd und faszinierend aus, steigern darin vieles, wofür man das Trio schon auf Platte verehrt – und in dem die Musiker selbst, das zeigen viele kleine Gesten im sonst zurückhaltenden Auftreten, bei aller Abgründigkeit glückselig mit viel Spielfreude aufgehen.
Als Wattie dann kurz nach viertel Zwölf die Rufe nach einer Zugabe mangels einstudierter weiterer Songs ablehnen muss, sich aber umso herzlicher beim Publikum bedankt, nimmt man ihr sogar eine gewisse Rührung aufrichtig ab – und dass sich die Band nach der Show als extrem sympathisches, nahbares Gespann entpuppt, rundet dieses Bild nur zusätzlich ab.
Eines der besten Alben des Jahres aus dieser Perspektive und (praktisch vor der eigenen Haustüre und zu einem unschlagbaren Preis – Kudos an die Veranstalter!) erleben zu können, ist schlichtweg eine besondere Erfahrung.
Setlist (ohne Gewähr):
I Felt a Funeral
Not Speaking of the Ways
Chanson Pour Mon Ombre
Canon : In Canon
A Song for Marie Part III
Theft
Quotidian : Solemnity
Moonset
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