BIG|BRAVE – A Gaze Among Them

von am 20. Mai 2019 in Album

BIG|BRAVE – A Gaze Among Them

Kaum jemand sonst legt Minimalismus derart maximal aus, wie die den sehnsüchtigen Leidensweg im Drone findenden BIG|BRAVE. Ihren spätestens 2017 mit Ardor determinierten Soundkosmos und Modus Operandi balancieren sie über A Gaze Among Them dabei noch tiefschürfender und facettenreicher aus.

Das vierte Studioalbum der mittlerweile ja auf Southern Lord gelandeten Kanadier definiert insofern keine neuen Grenzen für BIG|BRAVE, sondern kleidet viel mehr bekanntes Terrain mit ergiebigeren Texturen aus, detailliert die Tapeten (auch unter der abermaligen Hilfe der Godspeed/ Silver Mt. Zion-Kumpels Thierry Amar am Kontrabass und Seth Mancheter am Synthesizer und Produzentenstuhl) noch eine Spur reichhaltiger, liebevoller gar, geht bestimmter zu Werke, als Feral Verdure (2014), Au De La (2015) und sogar Ardor (2017).
Dem Artwork irgendwo durchaus adäquat entsprechend, geht es darum zu zeigen, dass BIG|BRAVE ihre Formel rund um monotone Repetition und minimalistisch Formen, in denen der Gesang von Robin Wattie das einzige melodisch formende Element bleibt, nicht nur verinnerlicht haben, sondern die ausgewogene artikulierende Gesamtperspektive auch in einem breiteren Spektrum meistern.

A Gaze Among Them ist so zumindest im Subtext wohl wirklich auch eine Spur heller, und vielleicht nicht nur im rumorenden Quasi-Interlude This Deafening Verity auch wahrlich um die Ahnung wärmer, als alle bisherigen Alben der Band.
Absolut wunderbar produziert, atmosphärisch und einnehmend, detailreich und nuanciert, baut A Gaze Among Them dem Post Metal und Drone von BIG|BRAVE ein organisches Nest mit viel Volumen und Masse. Das wie auf einer Jam-Basis orientiert wirkende, stets aus einem grundlegenden minimalistischen Motiv heraus wachsende – nun ja – „Songwriting“ (eher: gezeichnete Stimmungsbilder) bekommt so einen zusätzlich lebendigen Rahmen. Strukturen bleiben erkennbar, agieren hinter einer gesteigerten Zugänglichkeit jedoch diesmal genau genommen weiter aufgelöst. A Gaze Among Them ist damit im BIG|BRAVE-Kosmos weniger denn je an der brutalen Detonation von purer Heavyness interessiert, sondern gibt sich viel mehr der passiv-aggressiv auslaufenden Schönheit hin.

Unter diesen Voraussetzungen fühlen sich die versammelten vier Monolithen absolut natürlich entstanden und kultiviert an, ergeben als Gesamtwerk einen runden, homogenen Gesamteindruck – obwohl das abschließende Sibling ein klein wenig zu abrupt aus der Trance reißt.
Dort, am Ende der Platte, zaubern BIG|BRAVE immerhin einen dystopisch beklemmenden, böse-majestätischen Industrial mit den Mitteln von Sunn O))) (allerdings um eine zärtliche Note erweitert), meditieren seelenruhig, während rund um sie ein Suspence-Zeitlupen-Orkan pocht. Harret der Dinge, die da kommen, quasi – ohne an ein konkretes Finale zu gelangen, ist jedoch Schluss. Und wahrscheinlich ist es nach wie vor die Weigerung, einem Stück auch einen konventionellen, befriedigenden Climax zu verschaffen, oder die pure Katharsis auch konsequent zu kanalisieren, der letzte Millimeter, der BIG|BRAVE weiterhin zur puren Formvollendung fehlt.
Stattdessen bleibt der Weg das Ziel. Was frustrierend sein kann, auf A Gaze Among Them aber entlang so viel substanzieller Tiefe doch vor allem zum bisher definitivsten Teilabschnitt der Kanadier nachwirkt.

Muted Shifting Of Space mag sich schwerfällig brutzelnd nach vorne schleppen, hat aber eigentlich einen dynamischen Drive. Typisch wellenförmig folgt die sich überschlagende Melodie im Gesang dem repetitiv oszillierenden Fuzz/Gitarre-Muster, nimmt in den Arm, selbst wenn der Schub später mit viel Distortion detoniert. Eigentlich drückend, auf eingeschränkter Bewegungsfreiheit basierend, nimmt Muted Shifting Of Space damit gleitzeitig viel Raum ein, die tonale Reinigung führt in einen mit sich selbst in Einklang stehende, beruhigend träumende Einkehr.
Holding Pattern beginnt dagegen als elegischer Ambient, der Gesang taucht von spirituellen Drones und ganz hinten versteckten Cymbals in den Abgrund, der immer wuchtiger Präsenz zu zeigen beginnt, physischer wird, pocht und hämmert, in die Verzerrung schweift – doch die Band zähmt den Ausbruch, domestiziert alle ungebändigte Rohheit, verfällt in einen stoischen Groove. Über allem steht jedoch das Herzstück Body Individual. Ein wummernder Score, eine bedrohliche Klangcollage aus rührenden Verstärkern in leeren Fabrikshallen mit einem apokalyptischen Postrock Anstrich samt Jazz-Avantgarde-Attitüde aus den Albträumen der Nine Inch Nails. Wattie sucht Harmonien in diesem Moloch, und irgendwann kippen ihre Begleiter Mathieu Ball und Loel Campbell in eine Hypnose, die mitnimmt – egal wohin.
Näher dran an ihrer oberen Leistungsrenze waren BIG|BRAVE im imaginativen Kaninchenbau wohl noch nicht, sie scheinen ihrem eigenen Meisterwerk wieder um einige Millimeter näher gekommen zu sein. Womit ihnen jedoch bereits jetzt einmal mehr ein Werk von konzentrierter Konsequenz gelingt, das beispielsweise die Nahverwandten von Brutus aktuell wieder nur andeuten konnten: Ein – im eigentlichen Wortsinne betrachtet – Quantensprung für die Band also.

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