BIG|BRAVE – Ardor

von am 3. Oktober 2017 in Album

BIG|BRAVE – Ardor

BIG|BRAVE wissen, dass sie seit jeher auf einem schmalen Grat zwischen elegisch bezaubernden Drone-Liebkindern und monoton arbeitenden Manieristen wandern. Ardor tut insofern gut daran, das Wesen seiner Vorgänger Au De La und dem Kurzformat Feral Verdure selbstsicherer und nachdrücklicher aufzufüllen – auch mit dem klugen Einsatz externer Kräfte.

An der Grundprämisse hat sich für das Trio aus Montreal wenig geändert. Immer noch bleibt alleine die korrekte Schreibweise des Bandnames (Big ‡ Brave? B I G | B R A V E? ) schwer zu fassen,  immer noch baut der grundlegend ohne Bass auskommende, so minimalistisch gehaltene, aber doch reichhaltig texturiere Sound der Band auf dem Reverb zweier schwer atmender Drone-Gitarren, doomig kriechendes Schlagzeugspiel sowie den hiecksend polarisierenden Vocals von Robin Wattie beschränkt.
Jedoch ist die Klangwelt von BIG|BRAVE zwischen diesen Eckpfeilern enger zusammengerückt, dichter geworden, legt sich mit mehr Unverrückbarkeit in eine unterschwellig brodelnde Heavyness und exerziert seinen Charakter damit ausgiebiger, dynamischer – wenn man so will, denkt Ardor die Ansätze der bisherigen Veröffentlichungen der Kanadier subtil ausgefeilt gewichtet weiter.

Symptomatisch für den Evolutionsschub in den feinen Nuancen ist allerdings nicht nur die generelle Verdichtung der Masse der Kompositionen (gerade einmal drei Song stemmen hier 43  Minuten Gesamtspielzeit), sondern auch ein personelles Wachstum zwischen den instrumentalen Zeilen. Godspeed You! Black Emperor-Mann Thierry Amar unterfüttert zwei Songs mit zusätzlichem Kontrabass, die bereits auf dem von Efrim Menuck produzierten Debütalbum Au De La bereits Partien vertretene A Silver Mt. Zion-Violinistin Jessica Moss ist diesmal gar über die volle Distanz anwesend. Ihr typisch apokalyptisch gespieltes Instrument kriecht stets spät in das Geschehen der drei überlangen Monolithen, bereichert das Spektrum, die Stimmung und das Ambiente.
Wo BIG|BRAVE bisher auf Platte ein wenig zu dünn und unkonkret klingen konnten, erreicht Ardor deswegen nun – ohne brachial werden zu müssen, wirklich so heavy drückend zu drangsalieren oder so böse bratzend anzusetzen, wie es vielleicht im Idealfall möglich wäre – eine andere Tiefenwirkung, die in den geduldig gegossenen Kompositionen des stets so wellenförmig ausgelegten, repetitiven MO der Band schlummert. BIG|BRAVE  schöpfen mit ihren Gästen sowie Ghazi Moumneh (Jerusalem In My Heart) am Produzentenstuhl zusätzlichen Facetten und zurückgenommene Klangfarben im karg bleibenden, immer noch etwas zu wenig bissig hämmernden Ambiente ab.

Das eröffnende Sound breitet sich als regelrecht symphonischer Drone aus, geprägt von martialisch lauernden Drums, Stoizismus und dem sich gegenseitig reibenden Spiel mit der Dissonanz. Wattie hieckst verzweifelnd und optimistisch, dominant und leitend. Man darf an Julie Christmas, eine entrückte Alanis Morissette oder die junge Jarboe denken, während BIG|BRAVE sich in die Schnittstelle aus Sunn O))), Battle of Mice, den Menuck-Spielwiesen, Swans-Elementen und Esben and the Witch legen. Niemals wirkt das garstig oder brutal, niemals erschöpfend, sondern immer, als würde Wattie mit einer gewissen naiven Trotzigkeit und finster blickenden Leichtigkeit durch den Klangkosmos führen. Sie intoniert elaboriert, bittersüß-biestig und in die Höhe quietschend – was zugegebenermaßen ohne Entgegenkommen anstrengend sein kann, sich aber makellos mit den sparsamen Kompositionen verträgt.
Nach knapp sechs Minuten hält der Opener inne, sieht seinen Gitarrenanschlägen und dem lodernden Feedback wie in Zeitlupe vorüberziehenden Wolkenfeldern zu, Wattie dreht sich dazu mit geschlossenen Augen in der mystischen Atmosphäre – bevor BIG|BRAVE wieder in eine Variation ihrer raupenartigen Fortbewegung verfallen und Sound zu einem Mantra wird, das seine Spannungen niemals explodieren lassen will.

Der überragende Dystopie-Alptraum Lull zieht sich deswegen in eine intime Höhle zurück, brutzelnd und schaurig glimmernd, bleibt trotz der latenten Heavyness aller Instrumente melancholisch und fragil, still und ungemütlich faszinierend. Würden Bohren & der Club of Gore und Boris gemeinsam bezaubernd zärtliche Abriss-Balladen für die bedrohliche Momente der Einsamkeit schreiben – so würde sie den Abendhimmel ausfüllen. Ein harter, zermürbend walzender, majestätisch-unaufhaltbarer Blues aus der Ecke des Metal entsteht, verselbstständigt sich irgendwann und rollt dahin, lässt das Prinzip aus dem steten Auf-und-Abebben hinter sich.
Besser als in diesem Herstück der Platte waren BIG|BRAVE noch nie. Weil die Band ihre Wurzeln in diesem kontemplativen Umfeld noch natürlicher ausschlägt, Lull mit einer scheinbar unagestrengten Faszination wächst. Diese Band muss nicht in die Mangel der Massivität nehmen, sie kann einen sanft umso nachhaltiger erdrücken.
Gerade auch mit dem abschließenden Borer im Nacken: Wieder ist das eine schleppende Stop and Go-Hypnose, statisch und monoton, die sich elegisch als Fortsetzung von Sound windet. Das bringt zwar wenig Erkenntniszuwachs an sich, und führt auch im Rahmen die stilistischen Limitierungen vor, mit denen das Songwriting der Band zu kämpfen hat, wenn man dem rauschhaften Sog nicht vollends erlegen ist.
Bevor ein paar zusätzliche Ideen oder markanter geformte Riffs dem Moloch wirklich eklatant abzugehen scheinen, beginnt Borer hinten raus jedoch umso betörender zu verglühen. Versöhnlich tröstend schleppen sich BIG|Brave in eine ambiente Schönheit, in die man sich traumwandeln verliert. Spätestens hier zeigt sich schließlich, dass das Trio ein erhebendes Gefühl dafür entwickelt hat, Emotionen über die Räume zwischen dem Noise und der Distortion zu vermitteln, und die kleinen Mankos – wie sich aufdrängende Impulse, mangelnde (Tonträger-)Monumentalität oder Kraftschwankungen in der Vehemenz – mit der zelebrierten Konsequenz und verinnerlichten Zielstrebigkeit so mühelos wie kunstvoll auszugleichen versteht. Ardor könnte insofern die letzte Etappe vor dem ultimativen Meisterstück der immer formvollendeter auftretenden Kanadier sein.

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