Big Thief – Dragon New Warm Mountain I Believe In You

von am 24. Februar 2022 in Album

Big Thief – Dragon New Warm Mountain I Believe In You

Big Thief bleiben mit Dragon New Warm Mountain I Believe In You im ungebremsten (und mittlerweile auch trotz der qualitätsbewussten Zuverlässigkeit weniger selektionskritischen) Veröffentlichungsrausch, tauschen die stilistische Charakterschärfe und Kohärenz der beiden 2019er-Alben U.F.O.F. und Two Hands aber gegen eine variable Vielseitigkeit (oder auch: Sprunghaftigkeit) ein.

Dass man sich rund um den Plan, dass Big Thief aus Langspieler Nummer 5 gleich ein Doppelalbum machen würden (was bei derartigen Ankündigungen in der Regel ja selbst bei den loyalsten Fans einer Band gerne für ein skeptisches Stirnrunzeln sorgt), keine Sorgen um den Output des Quartetts aus Brooklyn machen müssen würde, war angesichts einer makellosen Diskografie im Rücken eigentlich spätestens klar, als sich alle Vorboten der Platte – das wunderbar bittersüß-erblühende Kleinod Sparrow, Certainty (das wenig später mit dem liebenswürdig betörenden, märchenhaft flötierenden Folkpop von No Reason ja noch ein aus der selben Idee geborenes Schwesterstück bekommen hatte, das sich mit Handclaps und Chor zwar anders entwickelte, aber ebenso als unendlich sanfter Balsam bezauberte) oder Change mit jedem Durchgang mehr zu hausinternen Klassikern zu mausern begannen.
Und um es gleich vorwegzunehmen: In der selben Schiene füllen Songs wie Promise Is A Pendulum (eine zart-fragile Miniatur aus Gitarre und Stimme, skizziert von Lenkers Solo-Melancholie), das die alleinige Romantik etwas aufgeweckter verfolgende The Only Place, oder die so unaufgeregt undunspektakulär, im besten Sinne friedlich plätschernde Band-Stille 12000 Lines diese Riege praktisch ansatzlos weiter auf. Wo man sich also ohnedies keine Sorgen um die Band machen musste, sind die Grundbedürfnisse mit einer absolut befriedigenden Konstanz zur Genüge gedeckt.

Interessanter ist Dragon New Warm Mountain I Believe In You allerdings, wenn Big Thief die Masse und Instant-Vertrautheit eines (im Grunde durch den Titel und das Artwork ideal ausgedrückten) Sammelsurium-Charakter-Albums nutzen, um einige neue Facetten im Bandsound auszuprobieren – also so, wie es die gleichzeitig aus dem Rahmen fallenden und doch symptomatische Herolde Little Things und Time Escaping (dessen Saiten wie hibbeliger Percussion Art Pop funktionieren, und klingen, als hätten riesige Buntstift-Metalrohre Werbe-Klassiker mit den Talking Heads im Hinterkopf nachgestellt) als Indikatoren vorwegnahmen.
Der ruhig erwachende Folk des Titelsongs ist angenehm wie Morgentau, öffnet seine Strukturen aber bezeichnend formoffen, unkonkret und mäandernd. Heavy Bend erstaunt wie das flüsternd-wattierte Blurred View als mystische Downbeat-Liebelei mit R&B-Tendenzen, ohne den typischen Big Thief-Charakter tatsächlich zu retuschieren. Flower of Blood legt eine sachte-vertrackte Rhythmik über konturlose, leicht dissonant schrammende 80er Delay-Klangschwaden aus dem Hause von Springsteen, während Wake Up to Drive mit Ziehharmonika und Drumcomputer-Beat, dem rund um die heimlichen gemeinschaftlichen Harmonien beinahe ein bisschen die Pferde durchgehen können, der The The-Song der Band ist. Simulation Swarm zieht dem schmissig-federnd-flanierden Gang der Drums hinten nach in ein oszillierendes Geflecht aus Traum-Gitarren Geflecht und zeigt eine betont lässig-eilend skandierte Intonation, die so nahe am kauzigen Pop-Spektrum ist, wie nur wenig zuvor des Vierers – bevor das rumpelnde Love Love Love den Indierock schrullig ins Visier nimmt.

Außerdem ist da eine (manchmal zwischen den Zeilen stattfindende, aber immer irgendwie spürbare) Konzentration auf den Country, die nur einmal über die Stränge schlägt – wenn Spud Infinity mit Fidel und Maultrommel unbekümmert und locker den Heuschober zur niedlichen Partylocation macht -, grundlegend aber zu ausgewogen balancierten Perspektiven führt.
Red Moon knödelt mit seinem funky Bass bis die Zügel hinten raus so pfeifend wie nonchalant losgelassen werden, Dried Roses ist eine zurückhaltende Lagerfeuer-Western Introspektive, oder Blue Lightning eine betont salopp gnödelnde Wilco-Referenz bis zu dezenten Bläser-Arrangements.
Diese Country-Nähe und grundlegende Paletten-Erweiterung steht Big Thief ebenso wie die längst verinnerlichte Trittsicherheit im angestammten Big Thief-Hoheitsgebiet. Und trotzdem hätte Dragon New Warm Mountain I Believe In You ein besseres Album (oder eher: ein Album plus zusätzliche EPs – denn missen will man eigentlich keinen einzigen der hier aufgefahrenen Songs!) ergeben, wäre das vorhandene Material strenger selektiert worden und hätte einen übergeordneten Spannungsbogen anstatt der sprunghaften Impulsivität der eigentlich willkürlich geordneten Potpourri-Trackliste getauscht (wofür auch alleine Love Love Love mit seinem aus dem Nichts startenden Beginn und Fade Out-Ausklang als demonstratives Sinnbild dafür steht, dass viele Ausschnitte der Platte aus dem Jam geboren wurden). Und auch wenn Dragon New Warm Mountain I Believe In You als Gesamtwerk vielleicht weniger rund ist, als seine Vorgänger, ist es doch schon wieder ein essentielles Album für das Quartett geworden – gerade für deren Entwicklung: Ein niemals redundantes, angesichts seiner Länge erstaunlich kurzweiliges und ständig auf  verschiedenen Arten unterhaltsames Übergangswerk ohne klare Linie, aber viel Ambition. Und noch mehr Herz und Seele.

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