Biffy Clyro – Opposites

von am 26. Januar 2013 in Album

Biffy Clyro – Opposites

Den angekündigten sauberen Spagat zwischen den beiden Fanlagern macht ‚Opposites‚ letztendlich nicht – könnte aber Anhänger der Prä-‚Puzzles‚ Ära mit der von seit damals bedienten Stadion-Fraktion aussöhnen. Noch viel wichtiger: die größte kleine Rockband des Planeten hat die Schnappsidee „Doppelalbum“ tatsächlich bravourös hinbekommen!

Die von 14th Floor vorsorglich simultan veröffentlichte, als wenig sinnvolles – weil: viele Highlights aussparendes – Schnittwerk auf nur eine Disc zurechtgestutzte Version wäre nicht nötig gewesen. Sicherlich: ‚Opposites‚ braucht keineswegs alle seine 20 Songs um ans Ziel zu kommen – es kann sie sich aber jeden einzelnen davon schamlos leisten ohne ins Straucheln zu kommen. Präsentieren sich Biffy Clyro doch abermals in unantastbarer Form – natürlich weiterhin weitestgehend entfernt von den progressiveren Wahnsinnstaten der ersten drei Alben, grundsätzlich aber ist ‚Opposites‚ deutlich mehr ‚Puzzle‚ als ‚Only Revolutions‚ – also wieder mehr Experimentierfreudigkeit in Songs, die wieder mehr Haken vor der massentauglichen Dramatik und Opulenz schlagen und trotz der nötigen Ausfallschritte auch ohne allzu überschäumenden Schmalz und zuviel Pathos abermals all jenen den Geifer aus dem Maul treiben sollten, die Simon Neil mit nacktem Oberkörper im Konfettiregen der Wembley-Arena schwitzen sehen wollen.
Der angekündigte Bruch zwischen ‚The Sand at the Core of Our Bones‚ (theoretisch die poppigeren Konsenshits) und ‚The Land at the End of Our Toes‚ (theoretisch die experimentellere Seite) ist deswegen auch weder nötig noch möglich, weil Biffy Clyro eben nicht mehr die Band ist, als die das Trio 2002 auf der Bildfläche erschienen ist – und so beide annähernd gleich starken Seiten von ‚Opposites‚ gar nicht so grundverschieden mit massenhaft experimentell veranlagten Konsenshits vollgestopft sind.

Die Eröffnungshymne ‚Different People‚ macht den spannungsfördernden Dramatikanstieg, hat Biffy-typische Platzhalter-Lyrics ala „We are Alive Tonight„, die auf ‚Opposites‚ dennoch wieder an Qualität zugelegt haben; dazu Synthietupfer und eine The Edge-Gitarre, die nicht nach U2 klingen muß: Produzent Garth „GGGarth“ Richardson liefert der Band den bisher besten Sound der gemeinsamen Zusammenarbeit, weniger fett ohne roh oder dünn zu werden, dafür fügen sich alleine die wieder so beliebten (aber diesmal eben nicht überstrapazierten) Streicher homogener denn je in den Sound der Band – siehe etwa das episch mit Synthies aufgeladene ‚Biblical‚ mitsamt seinem Bombast-Chor-Finale, das imposante Auftreten von ‚Accident Without Emergency‚ oder den gefühlvollen Beinahe-Titelsong ‚Opposite‚. Songs wie diese werden natürlich weiterhin die Stadien mit euphorischen Massen füllen, ebenso die im Kontext gewinnende Rockballade ‚Black Chandelier‚ oder das mit irrwitzigem Dudelsack-Intermezzo schwanger gehende ‚Stingin‘ Belle‚. Das kann leicht als zu plakativ empfunden werden, aber immer wieder hinterlässt es mit heruntergeklappten Kiefer, mit welcher traumwandlerischen Sicherheit Biffy Clyro mittlerweile durch eine unfassbare Hookline-Ansammlungen rasen – ohne auf dem sechsten Studioalbum den Vorschlaghammer von ‚Only Revolutions‚ benutzen zu müssen.

The Joke’s On Us‚ klaut zwar ohne mit der Wimper zu zucken bei Wintersleep’s ‚Drunk On Aluminum‚, schmiedet daraus aber einen ebenso spielfreudigen Rocker wie das annähernd punkig in die Vollen gehende ‚A Girl and His Cat‚. In die selbe Kerbe schlägt ‚Modern Magic Formula‚, der kompakte Witz des knackigen ‚Woo Woo‚ kurbelt den unverfänglichen Unterhaltungswert der Platte hin raus noch einmal problemlos an. Dagegen beinahe ziellos: das melodramatisch in den Industrial taumelnde ‚Skylight‚. ‚Little Hospitals‚ ist dagegen wieder einmal so ein unverschämter Hit und das majestätisch in die Vollen gehende ‚The Thaw‚ ist nur deswegen kein optimaler Schlusspunkt für den ersten Akt, weil absurderweise die aufgestockte iTunes-exklusive Version mit seinen beiden kurzen Bonus-Instrumentals an den Enden beider Platten die Sache noch runder gestaltet – und nicht zuletzt ‚Picture a Knife Fight‚ so einen passenderen Rahmen angehängt bekommt.

Am besten ist ‚Opposites‚ dennoch immer dann, wenn sich die „alten“ und „neuenBiffy Clyro zu überschneiden scheinen: ‚Sounds Like Balloons‚ klärt die Frage nach den Untertiteln der Platte mit leicht vertracktem Rhythmus-Beginn und einem übermenschlichen großen Gänsehaut-Refrain zum niederknien. Das lange bekannte ‚The Fog‚ wird auf ‚Opposites‚ zu einer zärtlich stampfenden Walze mit verdichtetem Noise-Feeling, wie sie Tour-Spezi Mike Vennert mit Oceansize heute vielleicht auch schreiben würde. ‚Spanish Radio‚ klingt wie es heißt und klaut deswegen einer Mariachi-Band ihre Trompeten, ‚Victory Over the Sun‚ verschachtelt die Angelegenheit verdammt nahe an ‚Blackened Sky‚-Niveau, irgendwo in den Jahren danach hechtet ‚Trumpet or Tap‚ die Tonleiter leicht cheesy auf und ab. Und einen stärker im sommerlichen 90er-Rock verankerten Pianopowerpopper als ‚Pocket‚ haben Biffy noch nie geschrieben.

Trotz all dieser Auswüche ist ‚Opposites‚ zu einem homogeneren Album geworden, als es das Gräben aufreißende ‚Only Revolutions‚ war, einem Seiltanz zwischen alten Tugenden und zielgelenktem Größenwahn, dazu die weniger brachiale Destillation der Essenz jener bombastischen neuen Ufer, auf denen Biffy Clyro mittlerweile keine Band von der Insel mehr den Ruf als größte Konsens-Arena-Band streitig machen kann. Wo sich das Trio diesmal quantitativ stärker aus dem Fenster lehnt als bisher, fährt die Band kompositionstechnisch die vielleicht sicherste Schiene ihrer Karriere zwischen den Fronten. Middle of the Road-Rock ist das polarisierende ‚Opposites‚ dennoch niemals.
We wanted to make the first double album that you could enjoyably listen to from start to finish“ kündigte Simon Neil während des ausufernden Entstehungsprozesses vollmundig an. Selbst wenn es nicht das erste gelungene Machwerk dieser Art ist: das anvisierte  Minimalziel haben Biffy Clyro spielend erreicht. Und in Summe ist ‚Opposites‚ dann eben noch viel besser.

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1 KommentarKommentieren

  • last.fm dude - 26. Januar 2013 Antworten

    Ich kann das Review nicht nachvollziehen. Inwiefern soll Opposites denn „experimentierfreudiger“ gegenüber Only Revolutions sein? Unter anderem genau das wäre notwendig, um die in der Einleitung genannte Brücke zur vor-Puzzle Vergangenheit zu schlagen. In meinen Ohren reiht sich Opposites nahtlos in die letzten Major Label Releases ein, es wird wenig mutiger Stadion Rock zum Tanzen mit hoher Radiotauglichkeit präsentiert, sehr aufwendig produziert mit Kammerorchestereinlagen und Trompeteneskapaden. Auf akustische Details wurde definitiv viel Wert gelegt. Musikalisch enttäuscht Only Revolutions, weder gibt es rhythmisch anspruchsvolles wie auf Infinity Land noch penetrante Ohrwürmer wie auf Puzzles, auch der wuchtige Bombast Rock á la Captain und Mountains ist in den Hintergrund gerückt. Opposites versucht scheinbar eine Mischung aus Puzzle und Only Revolutions zu sein, das ganze aber dezenter und etwas massentauglicher. Das Ergebnis sind 20 ziemlich langweilige Tracks, deren Essenz auch auf ein Album reduziert nicht aufregender gewesen wäre. Musikliebhaber werden das Album schnell vergessen, Charthörer werden sicher mit der in der Limited Edition des Albums enthaltenen Sing-Along Disc Spaß haben.

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