Beth Gibbons & The Polish National Radio Symphony Orchestra – Henryk Górecki: Symphony No. 3 (Symphony of Sorrowful Songs)

von am 5. April 2019 in Livealbum

Beth Gibbons & The Polish National Radio Symphony Orchestra – Henryk Górecki: Symphony No. 3 (Symphony of Sorrowful Songs)

Wie die Zusammenarbeit von Portishead-Stimme Beth Gibbons und Dirigent Krzysztof Penderecki vor einem 64 köpfigen Orchester für die 3. Sinfonie op. 36 (Symfonia pieśni żałosnych) Symphony of Sorrowful Songs – ausgerechnet bei Domino Records landen konnte, ist eine der Fragen, die für diese 49 minütigen Klassik-Einspielung offen bleibt.

Wie die meisten anderen spielt sie – zumindest für den hier ein Urteil zu fällen versuchenden, in der U-Musik beheimateten Laien) aufgrund des ergreifenden, eindringlich fesselnden Wesens der Platte letztendlich kaum eine Rolle.
Wer will, kann die Verehrung des britischen Trip Hop für den Ex-Avantgardisten Henryk Górecki jedenfalls zumindest bis zu Lambs Gorecki von 1997 zurückverfolgen. Tatsächlich aber war die 1976 komponierte 3. Sinfonie des polnischen Komponisten sogar bereits fünf Jahre zuvor mehrere Wochen in den Popcharts zu finden. Seitdem ist die Symfonia pieśni żałosnych, die Sinfonie der Klagelieder nicht mehr aus dem Kanon der immer wieder verwendeten Score-Szenarien wegzudenken, taucht immer wieder in Serien und Filmen auf.
Wo Beth Gibbons ihre Liebe zu dem Werk entdeckte lässt sich also vielleicht leichter erahnen, als ihre Ambition, das Stück zu intonieren. Es heißt, sie habe vor allem die Herausforderung gesucht, als sich die Möglichkeit auftat, die drei (langsamen bis langsam und breiten) Sätze im November 2014 mit dem Nationalen Symphonieorchester des Polnischen Rundfunks einzuspielen – dienlich und entgegenkommend dirigiert von niemand geringerem als Krzysztof Penderecki, einem anderen Szenestar, dessen Threnody for the Victims of Hiroshima ebenfalls fester Bestandteil der popkulturellen Ausläufern der Neo-Klassik geworden ist, zuletzt alleine schon wegen David Lynch. Ein Rahmen übrigens, den auch Bryce Dessner und Jonny Greenwood als Renaissance-Menschen des Pop nutzten.

Fest steht nun jedenfalls auch für die Breite Allgemeinheit, dass Gibbons diese Herausforderung fern jeglicher Komfortzone in der E-Musik stemmt, wohl nicht nach fundiert geschulten Sopranisten-Standards, aber auf emotionaler Ebene: Ohne ein Wort polnisch zu sprechen vermittelt sie mit ihrem nackt vibrierenden, in ungeahnte Höhen flehenden Gesang tiefe Gefühle, transportiert vielleicht nicht den tief katholischen, niederschmetternden Inhalt der Sinfonie an sich („Beim ersten Satz handelt es sich um ein Klagelied Marias, die um ihren gekreuzigten Sohn trauert; ein Text aus dem Kloster Heiligkreuz auf dem Berg Łysa Góra aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Der Text des zweiten Satzes ist ein Gebet, das an der Wand einer Zelle im Keller des Gestapo-Hauptquartiers in Zakopane gefunden wurde. Der Text des dritten Satzes ist ein oberschlesisches Volkslied aus der Zeit der polnischen Aufstände, in dem eine Mutter um ihren toten Sohn klagt„), sehr wohl aber dessen bodenlose Traurigkeit.
Gibbons wird dabei mit geradezu ungeschönt roher Nahbarkeit gleichzeitig zum Epizentrum der Aufführung, wie sie sich als symbiotischer Teil des Ganzen in den Kontext einfügt, dem sich vorsichtig immer weiter steigernden Aufbau der Sätze folgt.

Das beinahe 25 minütige I. Lento—Sostenuto Tranquillo Ma Cantabile bringt die Parteien in Stellung, lässt das Orchester einsam über einen Kontrabass aus der Dunkelheit steigen und in erhebenden Wellen in ein immer hoffnungsvolleres Licht flimmern, die Dramatik beschwört unterschwellig, wandert kreisförmig und wächst. Nach zwölf Minuten lichtet sich das Szenario, die Instrumente machen Platz für Gibbons, die über leise Klaviertöne in die Mitte schreitet. Ihre Stimme: zauberhaft und faszinierend wie eh und je, gerade in den höchsten Tönen niemals nach der Sauberkeit klassischer Opern suchend, aber vor emotionaler Intensität vibrierend. Irgendwann verschwindet sie mit dem Climax des Satzes wieder, das Orchester streift beklemmend zurück in die Einsamkeit.
II. Lento E largo—Tranquillissimo gibt sich dagegen versöhnlicher, tröstend und gesangsintensive, beinahe optimistisch auf den Punkt kommend, bevor das abschließende III. Lento—Cantabile-semplice das Szenario weiter reduziert, beruhigt, versöhnlich entschwindet. Der aufbrandende Applaus nach dieser fragilen Behutsamkeit und ein bisschen ratlos zurücklassenden Ruhe reißt förmlich aus der gebannten Stimmung, der beschwörenden Atmosphäre – ein Ende, das gerade mittels der beigepackten DVD organischer nachsehen lässt. Das auf Ton- und Filmträger gepresste Schaffen der Portishead-Chanteuse bleibt damit ebenso unkonventionell gewählt, wie quantitativ überschaubar, ist aber um ein eigenwilliges Juwel reicher.

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