Die Alben des Jahres 2024: 50 – 41

von am 30. Dezember 2024 in Featured, Jahrescharts 2024

Die Alben des Jahres 2024: 50 – 41

Alben, die in den vergangenen Jahren durchaus Chancen gehabt hätten, souverän in den Top Ten der hiesigen Charts zu reüssieren, stehen nun in einem veröffentlichungstechnisch herausragenden Jahr bis über die ersten dreißig Listen-Plätze hinaus Schlange. So hart die Ablöse von Khanate jedoch auch umkämpft ist – jemand muss sie antreten, in den 2024er Heavy Pop Top 50. 


| HM | EPs | 50 – 41 | 40 – 31 | 30 – 21 | 20 – 11 | 10 – 01  | Playlisten |

Hereisaropegoodluck - Nothing to Write Home About50. Hereisaropegoodluck – Nothing to Write Home About

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Als Nothing to Write Home About Mitte Juni veröffentlicht wurde, war es das Debütalbum des neuen Bandprojekts des ehemaligen Destroyer Destroyer-Gitarristen Michael Carroll.
Nun, knapp sechs Monate später – in dem sich die 23 wüsten, vom alten Plagues-Kumpel Brian Cole auf Linie gebrüllten Math-Grindcore-Minuten der Platte einfach nicht und nicht abgenutzt haben – ist es tatsächlich jenes des aktuellen Destroyer Destroyer-Gitarristen: Siebzehn Jahre nach Littered With Arrows und acht nach den Tod der eigentlich unersetzlichen Front-Biestes Jamie Schnetzler ist die kurzlebige Wahnsinns-Band doch tatsächlich reaktiviert worden.
Der vor Tatendrang mitreißende Impuls, den der (auch durch die trendig luftdicht-fette Digital Ghost-Produktion) vor Energie nur so strotzende (und dennoch so vielseitig ausgewogene) Kickstart Nothing to Write Home About als moderner Wax Vessels-Instant-Schmankerl über seine kompakten Grenzen lostritt, kann eben kaum hoch genug eingeschätzt werden.

49. Serpent Column – Tassel of Ares

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Da läuft Jimmy Hamzey sich doch tatsächlich selbst den Rang ab.
Genauer gesagt hat Ashes in the Huron River im Februar bewiesen, dass es mit Theophonos durchaus ein Leben nach dem Ende von Serpent Column geben kann. Und dann belebt der Amerikaner sein innerhalb kurzer Zeit ein stilprägendes Vermächtnis hinterlassen habendes Projektaus dem Nichts kommend einfach wieder zu neuem Leben. Und stiehlt Ashes in the Huron River mit dem Comeback Tassel of Ares etwas undankbar aus dem Stand heraus die Show.
Drei Jahre nach dem Schwanengesang Katartisis führt Hamzey (mit einer diesmal nur noch hinter der Bühne werkelnden Maja Chun) den patentiert Math-infizierten Dissonant Black Metal von Serpent Column zurück an dessen Wurzeln und holt den Phoenix gleichzeitig mit einer desorientierend machenden, eigenwillig rohen Produktion in Sichtweite des NWOBHM mit waschechter Iron Maiden-Nietenjacke aus der Asche. Vertrautheit mit einem neuen Spin quasi.
Verstehen muss man das alles nicht. Sich in einem schizoiden Dualismus von Theophonos‘ Unfehlbarkeit malträtieren lassen zu können, bedeutet aber, dass es streng genommen keine Verlierer in der Causa geben kann.

Paysage d’Hiver - Die Berge48. Paysage d’Hiver – Die Berge

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Die Darkspace-Rückkehr Dark Space -II war als überraschender Schwung in den Ambient nicht darauf ausgelegt den Fan-Please zu machen. Der prolongierte Paysage d’Hiver-Abschied Die Berge dafür umso mehr.
Wintherr klärt den Weg des Wanderers von der Heimsuchung durch vergleichsweise catchy groovende Geister und lenkt ihn näher am offiziellen Debütalbum Im Wald (2020) zu monolithischen Gefilden, in denen der patentierte Atmospheric Black Metal aus der Schweiz in voller Blüte – und den LoFi so klar konturiert und kraftvoll wie nie ausproduzierend inszeniert – steht. Er passiert Szenen, die in den Industrial, Doom oder die Piano-Lounge führen könnten. Schweizer Bergtouren liegen im Genre aktuell einfach in Mode.
Doch das letzte Kapitel der nicht chronologisch erscheinenden Paysage d’Hiver-Saga findet seine Erfüllung primär in einer Zuverlässigkeit, einer Art Schaulaufen und Machtdemonstration. Das hat sich kurz vor dem Ziel einer fast drei Jahrzehnte gedauert habenden Reise dann auch wahrlich eine poetische Sentimentalität verdient: „Ein letztes Mal/ Blicke ich zurück/ Auf diеse Welt/ Und erinnere mich/ An ihre unerbittliche und kalte Trauer-Schönheit/ Bevor ich den obersten Totpunkt erreiche/ Und den Ballast dieser Welt/ In ewiges Eis und Schnee bette“.

47. Lord Spikeheart – The Adept

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Duma ist 2020 ein selbstbetiteltes Album gelungen, das wie nichts anderes da draußen klang – und das die eigene Zukunft, in die der futuristische Mix aus Elektronik und Grindcore womöglich gepasst hätte, gar nicht erst erlebt hat: offiziell wurde (erst) 2023 der Schlussstrich unter die Existenz des Duos aus Afrika gezogen.
Martin Kanja war da als eine Hälfte der Konkursmasse bereits weitergezogen, um als Lord Spikeheart das Erbe von Duma noch weiter in die Extreme zu treiben. Erst mit der Elvin Brandhi-Kooperation Drunken Love, nun mit seinem offiziellen Debüt-Soloalbum The Adept über einen aus allen Nähten platzenden Feature-Katalysator, in dem alle Beteiligten wie freie Radikale reagieren.
Metal ist da Clubmusik ist da Anti-Pop ist da Grind ist da Trap ist da Power Noise ist da Digital Hardcore ist da noch viel mehr und ist da all das und doch nichts davon.
Jenseits von Sprachbarrieren ist die Aggression, die Lord Spikeheart artikuliert, jedenfalls ein jedenfalls ein absolutes Unikat. Faszinierend, stressig, lohnenswert. Bereit dürfte die Welt dafür aber weiterhin nicht sein.

Black Curse - Burning in Celestial Poison46. Black Curse – Burning in Celestial Poison

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Steve Peacock alias Ephemeral Domignostika mag keine ganz so eindrucksvolle Vita vorzuweisen haben wie sein Bass-Vorgänger Morris Kolontyrsky. Aber zum einen kann man Black Curse dennoch weiterhin guten Gewissens als veritable Supergroup bezeichnen.
Und zum anderen ist das Songwriting der War Metal-Gruppe vier Jahre nach ihrem allerorts gefeierten Debüt Endless Wound seit dem Einstieg von Peacock 2023 für das (nicht mehr allerorts gefeierte) Zweitwerk auch ungeachtet der breitenwirksamen Reputationsnachweise eklatant gewachsen. Der Blackened Death strebt nun über proggig ausholende Strukturen einfach nur höllisch verderbt nach Mehr, auch im peinigenden Sound.
Wer es also gerne weiterhin straighter auf den Punkt findend mag, wird aktuell zwar mit nahverwandten Alben mit Vengeance of Eternal Fire glücklicher werden, als mit den vielseitiger weitschweifenden vier Longtracks von Burning in Celestial Poison.

Southtowne Lane - Take Care45. Southtowne Lane – Take Care

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Bassistin Hellena Giles hat das Bandgefüge von Southtowne Lanes nach rund zwölf Jahren im Oktober 2024 verlassen. Schon nachvollziehbar, hat sie in den vergangenen zwölf Monaten doch nicht nur sowohl Tolls als auch (die ihre Emoviolence-Fühler mittlerweile zum Disso Death ausstreckenden) Senza neuen Schwung mit auf den Weg gegeben, sondern mit The Names of Our Friends auch eine weitere neue Band am Start.
Die Umbesetzung kommt an einem Punkt in der Karriere von Southtown Lanes, wo nach dem Trauerbewältigungs-Album Take Care vieles für die Band von Matt Kupka und ihren Emo und Post Hardcore möglich scheint: Die von Witness geweckten Assoziationen an Modest Mouse weiterverfolgen? Mehr Hymnen wie Barely Hanging On schreiben, von denen My Chemical Romance auf ihrer kommenden Mega-Tour träumen können? Auf waschechte Hits setzen, wie Go Cold einer ist? Oder den eigenen Gefühlshaushalt ohne konkreten Plan in relativ impulsives Chaos gießen, wie in Hurt All the Time?
Sicher ist nur, dass es schön wäre, wenn diesmal keine acht Jahre bis zum nächsten Album vergehen, wie es nach dem Debütalbum Give Up The Ghost der Fall waren.


Julie Christmas - Ridiculous And Full Of Blood44. Julie Christmas – Ridiculous And Full Of Blood

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End of the World löst nicht nur Fearless an der Spitze der Songs ab, die Mariner zur Ehre reichen. Nein, End of the World wäre sogar ein, womöglich gar das waschechte Highlight auf der 2016 erschienenen Kooperations-Platte von Cult of Luna und Julie Christmas gewesen.
Die (auch auf The Lighthouse zum Tragen kommende)  Chemie zwischen Johannes Persson (der 2024 ja nicht nur im Warmageddon wütete, sondern mit seiner Band auch das – nichts für ungut, Crazy Town! – beste Refused-Cover ever eingespielt hat) und der 48 jährigen Ex-Made Out Of Babies-Frontfrau sorgt also für die Krönung des ersten Julie Christmas-Albums seit vierzehn  Jahren, stellt den Rest davon aber auch nicht in den Schatten.
Songs wie Supernatural fräsen sich ins Gedächtnis und stemmen die seit The Bad Wife gewachsenen und durch Not Enough richtig angeheizte Erwartungshaltungen so selbstverständlich, dass sich Ridiculous and Full of Blood von der ersten Sekunde wie das Wiedersehen mit einem alten, wertgeschätzten Bekannten anfühlt.

Gyfth - Muss Los!43. Gyfth – Muss Los!

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Das bei einschlägigen Streaming-Portalen vergessene Rufzeichen im Titel der Platte ist angesichts der acht darauf gebändigten Songs geradezu absurd. Denn Muss Los! (!) ist ein vor unverbrauchter Energie und hungrigem Tatendrang brennendes Album, wie es nur eine Band entfesseln kann, die gleichzeitig auf unverbrauchte Ambitionen und jahrelange Routine sowie abgeklärtes Können zurückgreifen kann: Die Lebensläufe der Gyfth-Mitglieder erschlagen förmlich mit namhaften (ehemaligen) Betätigungsfeldern in der Szene, das weiß man längst.
Und auch damit, dass der erste Langspieler des Quartetts einen umhauen würde, war nach Aus allen Wolken (2022) und entfesselten Liveshows zu rechnen.
Womit Muss Los! dann aber doch überrascht, sind all die catchy Szenen und dieses Gespür für Melodien, das all die nackenbrechenden Riffs und Wut, die Gyfth einfach so verdammt gut können, auf den nächsten Level hieven.

42. Toadliquor – Back In The Hole

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Das Leben kann manchmal schon ungerecht sein. Gut, dass die Metal-Welt ob der Reunion von Acid Bath Kopf steht, ist schon gerechtfertigt. Aber dass gleichzeitig gefühlt keine Sau das Comeback von Toadliquor gefeiert (oder überhaupt mitbekommen?!) hat ist einfach nicht richtig. Mit Feel My Hate – The Power Is the Weight – R.I.P. Cain hat die Band aus Olympia schließlich ein prägendes Album des 90er Sludge aufgenommen – in einer besseren Welt hieße es gar: ein ikonisches.
In unserer Realität des Hier und Jetzt gelingt Toadliquor abseits der öffentlichen Wahrnehmung jedenfalls das Unfassbare: ein Comeback, das dem Debüt (und lange Zeit eben auch einzigen Album) ebenso alle Ehre macht, wie dem dazugehörigen Augenkrebs-Artwork. Gleich First Crush ist in seiner ranzigen Riff-Dramatik und flehenden Psychotik ein Genre-Fest, der Rest ein vor Noise, Doom und Saxofon brütender „onslaught of desolation, despair, and damaged vocal cords“.
Und insofern auch (aber bitte nicht nur!) ein idealer Soundtrack zur Einstimmung auf die Rückkehr von Acid Bath im potentiellen Wahnsinnjahr 2025.


Vince Staples - Dark Times41. Vince Staples – Dark Times

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Die tiefgehenden Ebenen des Cover-Artworks von Dark Times offenbaren sich nicht auf den ersten Blick. Ähnlich verhält es sich mit der dazugehörigen Musik.
Vince Staples hat sein sechstes Studioalbum Ende Mai veröffentlicht, woraufhin sich die Platte als Abschied von Deaf Jam zu einem definitiven Soundtrack des folgenden Sommers entwickelte. Die keine Sekunde verschwendenden 35 Minuten gingen saisonal passend leichtgängig runter wie Öl, schwelgten mit einem nostalgischen Vibe entspannt und unaufdringlich.
Entlang dieser passgenau auf den Leib geschneiderten Produktionen zeigt Staples aber eben auch mit jedem Durchgang von der vermeintlichen Gefälligkeit abrückend, was für ein herausragender Rapper er ist, was für ein toller Erzähler mit eigenwilliger Perspektive und exzellentem Flow. „Life hard but I go harder.“ Wahrhaftig!
Staples muss niemandem mehr etwas beweisen, ist aber längst ein kleines bisschen weise, wie auch er selbst irgendwann merkt: „It’s the power of the human brain, we trapped in our dreams/ I understand I’m just a grain of sand and life is a beach/ Only Heaven knows whichever way I blow in the breeze/ I’ll be a fool to think it’s left up to me/ But I appreciate the love, loved one, still young“.

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