Die Alben des Jahres 2024: 30 – 21
| HM | EPs | 50 – 41 | 40 – 31 | 30 – 21 | 20 – 11 | 10 – 01 | Playlisten |
30. Concrete Winds – Concrete Winds
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Hört man die Musik von Concrete Winds, stellt man sich die Finnen als Typen vor, die nach dem Ausstehen zehn doppelte Espressi kippen und sich vor dem Spaziergang Adrenalin intravenös injizieren, um sich gegenseitig mit Peitschen anzutreiben, bevor am Abend zur Entspannung eine Nails-Platte als Meditations-Hintergrund beruhigt.
Das Amalgam, das das aus der Asche von Vorum gestiegene Trio mit kochendem Blut hinter die Schmerzgrenze von Death und Grind kotzt, ist jedenfalls unkontrollierbar gewalttätig, brutal und wild. Schlicht und einfach extrem. Konventionelle Formen bis hin zum mit Stacheldraht gerahmten Sound in Säure auflösend.
„We have always hunted for the worst and most disgusting we can come up with and this was the band to devote to it“ sagen Concrete Winds und treffen mit ihrem nicht von ungefähr selbstbetitelten Drittwerk einen masochistischen Nerv noch präziser, als Primitive Force (2019) und Nerve Butcherer (2021) es bereits taten.
29. Chat Pile – Cool World
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Der Noiserock hat ein verdammt ereignisreiches Jahr hinter sich. Crippling Alkohol, Hammock oder Spiral Staircase und Meth. haben beachtliche Alben an den Ausläufern veröffentlicht, während sich Metz nach Up in Gravity Hill auf Farewell-Tour befinden. Eugene S. Robinson hat auf eine solche verzichtet und Oxbow kurz und schmerzvoll beerdigt, um mit Bunuel weiterzumachen. Jesus Lizard sind mit Rack und ihrem ersten Studioalbum seit 26 Jahren zurückgekehrt und Shellac verschieden sich in Form von To All Trains mit ihrem letzten überhaupt: künftig einer Musiklandschaft ohne Beteiligung von Steve Albini zu begegnen etscheint immer noch unvollstellbar.
Bei all diesen Tumult im Genre war es dennoch unmöglich, am Zweitwerk von Chat Pile vorbeizukommen. Wegen 43 Minuten, in denen so viel passiert. In denen die Flenser-Band ihren vom Sludge und Industrial verseuchten Noiserock durch die externe Hilfe von Uniform-Man Ben Greenberg (dessen eigene Band heuer ja übrigens auch einen neuen Zenit erklomm) mittels einer zusätzlichen Grunge-Injektion zugänglicher gemacht hat, ohne die Fortsetzung wirklich bekömmlicher als God’s Country vor zwei Jahren anzulegen. In denen der Spielraum größer geworden ist, derweil der Brennpunkt seine Schärfe behält. In denen der der 1992er Film von Ralph Bakshi den Titel stiftet und Voltaire die Zusammenfassung der Inhaltsangabe („It is about the price at which we eat sugar in America„).
Nicht alles davon, was sich in diesem Noiserock-Jahrgang ereignet hat, war also gut. Aber vieles. Und Cool World sogar noch weitaus mehr als das.
28. Blood Incantation – Absolute Elsewhere
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Ob das allgemeine Interesse an In Search of Ancient Gods gestiegen ist, ist zu bezweifeln. Aber dank Blood Incantation hat es zumindest der seinen Titel von dessen Urhebern entlehnende Metal bis in den Feuilleton des Standard geschafft. Nicht, weil die Band aus Denver sich nun dem Mainstream anbiedern würde. Sondern, weil die Zeit nun endlich für deren Stil-Amalgam reif zu sein scheint und eine breitenwirksame Aufmerksamkeit verdient ist. Und weil das Konsens-Album des Genres (beinahe) hält, was der Hype verspricht – Absolut Elsewhere ist (die Sidequests Timewave Zero von 2022 und Luminescent Bridge aus dem Jahr darauf außen vor lassend) höchstens nicht so gut wie der (in)direkte Vorgänger Hidden History of the Human Race von 2019.
Der als natürlichste Sache dieser (realen) Welt gelingende Spagat zwischen (einem für sich genommen zwar generischen, aber so authentisch aufbereiteten) 70s Progrock mit Kraut- oder Synth-Space-Halluzinationen und (einem für sich genommen die Speerspitze des Genres diesmal eher nur bedienenden, anstatt herausfordernden) Death gelingt fantastisch. Absolute Elsewhere überzeugt mit seiner holistischen Vision als Gesamtwerk, und hat (als das „Hipster Album des Jahres“?) das Potential in seiner euphorischen, anachronistischen Achterbahnfahrt zu begeistern.
27. Beak> – >>>>
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Beherzigt Geoff Barrow einfach nur die alte Weisheit, dass man aufhören soll, wenn es am schönsten ist? Die 53 jährige Ikone aus Bristol hat sich, mit einer angekündigten Vorlaufzeit, zumindest auf den Höhepunkt von Beak> verabschiedet: In >>>> kulminiert alles, was man schon auf den drei Viehhänger-Alben toll finden konnte, mit einer optimierenden Hebelwirkung, verschweißt um entwaffnenden, simplen Groove mit einigen der stärksten Bass-Läufen diesem Jahr.
>>>> klingt in den meisten Momenten wie ein vergessener Krautrock-Klassiker aus einer Parallelwelt – und in einigen dazwischen sogar wie die Option, die Portishead nach Third ziehen hätten können.
Nachdem diese sich aber ja seit annähernd eineinhalb Jahrzehnten im Dornröschenschlaf befinden, bleiben somit eigentlich – neben der florierenden Soundtrack-Karriere mit Ben Salisbury – nur noch Quakers als aktives Projekt von Barrow über. Vielleicht ist für ihn ja dort nun der Fokus vorhanden, um der Hip Hop-Open-Mic-Party endlich ein wirklich auf den Punkt findendes Album abzuringen?
26. Convulsing – Perdurance
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Death Metal-Bands aus Australien (bzw. Neuseeland) erleben derzeit ja eine absolute Sternstunde. (Abseits von Kollegen wie Eye Eater) Auf Ein-Mann-Bands konkretisiert ist dabei noch vor dem Cave Sermon-Zweitwerk Divine Laughter das dritte Studioalbum von Convulsing, dem Projekt des (vor zwei Jahren auch bei Altars eingestiegenen und zudem durch geschmackvolle Gastbeiträge für Defacement, Cosmic Putrefaction oder Nightmarer aufgefallenen) Brendan Sloan das herausragendste Ergebnis dieser Blütezeit. (Selbst wenn das vielleicht einige Genre-Freunde nicht mitbekommen haben könnten, hält der Mann aus Down Under sein eigenes Material doch gepflegt von Spotify sowie anderen Streaming-Anbietern fern und hat keine Pläne dies zu ändern.)
Noch zielführender als schon die beiden schon superben Vorgängern Errata (2016) and Grievous (2018) artikuliert Perdurance nach einer rund sechsjährigen Abstinenz von Convulsing die verstörende Dissonanz des Death – intensiv, brutal und wild – mit der Grandezza des Prog – ambitioniert, akribisch, virtuos. Die keine Länge kennenden 55 Minuten der Platte sind mit einer selbstsicheren Geduld unberechenbar, schwingen sich zu brillanten Höhepunkten in der bestechenden Atmosphäre auf. lassen immer wieder neues entdecken und zünden wie ein unerschöpfliches Abenteuer.
25. Ryan Adams – Star Sign
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Die Öffentlichkeit hat wahrscheinlich nicht mitbekommen, dass Ryan Adams 2021 Vater wurde (und, nebenbei erwähnt, seinem bei der Mutter aufwachsenden Sohn kurzerhand den selben Namen gab, wie Mandy Moore ihrem Nachwuchs); dass der 50 jährige heuer seine Karriere als Autor exzessiv voranzutreiben versucht hat (und die weitestgehend einzigen euphorischen Kritiken über seine Werke praktischerweise selbst verfasst hat, wobei die im Eigenvertrieb veröffentlichten Werke sich ungeachtet davon durch fehlende Seiten auszeichnen); dass er auf seine jüngste Solo-Tour ganz in im Zeichen von Love is Hell ankündigte, dann aber kaum Songs davon auf der Bühne spielte; dass ein prolongierter Umzug nach England nicht stattfand und die dritte Inkarnation der Cardinals praktisch beendet war, bevor sie überhaupt begann; dass Adams 24 Wochen lang jeden Freitag ziemlich coole Acoustic-Cover Songs veröffentlichte und dazu in den vergangenen 12 Monaten satte fünf (weitestgehend tolle) Alben veröffentlicht hat.
Unter ihnen ist nicht nur das legendäre Blackhole, sondern mit Star Sign auch das dritte definitiv essentielle Diskografie-Werk von Adams seit 2020 (wovon sich Schnäppchenjäger ohne großen monetären Aufwand überzeugen können). Voller famoser Springsteen-Momente und fabelhafter Hooks, Instant-Lieblingen und schlüssiger Beinahe-Hits. Davon Notiz zu nehmen war ebenfalls nicht einfach: ohne Vertrieb ist es gerade in Europa ein teures Hobby, an DRA-Platten heranzukommen – und von Spotify wurde Star Sign entfernt. Laut Ryan übrigens, weil das Album derart oft gehört wurde, dass die Firma von Daniel Ek sich das nur mit Bot-Wellen erklären konnte.
24. Oranssi Pazuzu – Muuntautuja
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Viele Bands markieren ihre Klasse dadurch, indem sie die Grenzen ihres Metiers austesten. Oranssi Pazuzu tun es jedoch, indem sie Grenzen ignorieren, Stile verschmelzen und als Borg des Black Metal alles in ihrem finsteren Organismus assimilieren, was den Weg der eigenwilligen Finnen kreuzt.
Für Muuntautuja bedeutet dies, dass die Band ihre ureigen entrückte Version von Trip Hop aufgenommen hat – und mit dem Titelsong ihres sechsten Studioalbums auch gleich das ultimative Referenz-Stück dieses noch jungen Hybrid-Genres (von dem wohl niemand außer Juho Vanhanen und seinen Männern wusste, dass es die Musikwelt unbedingt brauchen würde) aufgenommen haben. So faszinierend, berauschend. Anders. Einzigartig.
Ob sich daran jemand messen wollen wird, bleibt aber zu bezweifeln: spätestens mit Värähtelijä sind Oranssi Pazuzu ja derart weit in ihren eigenen Kosmos abgedriftet, dass ihnen kaum mehr jemand nachzueifern versucht. Und sie selbst werden wieder einmal ganz woanders ihre schwarze Alchemie betreiben.
23. Friko – Where we’ve been, Where we go from here
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Friko gelang mit Statues innerhalb der vergangenen zwölf Monate neben Light Your Way Home zwar der wohl beste Genre-externe Blick in den (intern von Brown Paper Bag geadelten) Shoegaze. Die eigentliche Kernkompetenz der Band liegt aber woanders.
Praktisch jeder Song auf Where we’ve been, Where we go from here weckt Erinnerungen an populärere Vertreter des Indie-Hoheitsgebietes – etwa an Bright Eyes, Arcade Fire, Black Country, New Road oder Elliott Smith. Doch kein einziger klingt so, als würden Friko auf ihrem Debütalben etwaige Vorbilder zu imitieren versuchen. Mit einem entwaffnenden Händchen für Hooks und Melodien kochen sie vielmehr ein eklektisches Süppchen aus bekannten Zutaten auf, das man einfach nicht mehr aus dem Kopf bekommen will.
Niko Kapetan und Bailey Minzenberger haben ihre seit zwei Jahren herangereiftes, deswegen jedoch keineswegs verkopftes Material aber auch entsprechend gut selektiert: an guten Nummern mangelt es dem Duo nicht, wie ein Blick auf die unvermeidlich nachgereichte Expanded Edition der Platte beweist. Der essentielle Teil der Kompositionen wurde aber im regulären Kontext in die richtige Reihenfolge verpackt. Inklusive Shoegaze-Triumph.
22. Sumac – The Healer
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Der Avantgarde-Sludge-Organismus Sumac feierte heuer seinen zehnjährigen Geburtstag und hat in Sachen Alben-Veröffentlichungen mittlerweile zahlenmäßig mit Isis gleichgezogen – bald auch werden beide Turner-Bands gleich lange existier(t hab)en. Doch der Blick geht darüber hinaus.
„I think what for me in the past has has been the reason for wanting to stop participating in a project or end a band is finding that personal relationships are within the band are extremely stressful or they start to deteriorate as a result of being in a band or and or the creative aspect of it starts to diminish in terms of its its rewards.“ sagt Turner und wird nicht müde zu betonen, wie sehr er, Nick Yacyshyn und Brian Cook sich gegenseitig als Menschen, Freunde und Musiker schätzen. Diese Chemie ist auf The Healer – als Höhepunkt der inoffiziellen Trilogie aus Love in Shadow (2018) und May You Be Held (2020) und neuer Zenit der Band-Maxime – so überdeutlich spürbar. Wenn ein Allstar-Trio, das niemandem mehr etwas beweisen muss, aber die Freiheiten hat, ihren Sound exzessiv auszuleben, im wahrsten Sinne in die Vollen geht.
„Every band ends, that’s inevitable.“ ist eine grundsätzliche Überzeugung von Turner, der in diesem Umfeld aber auch ergänzt: „I don’t see any reason why we would stop.“
21. Billy Strings – Highway Prayers
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„Sometimes I just want to go back to playing regular old bluegrass. Lose the big light show, play to a 500-capacity room max, get intimate and actually play real bluegrass instead of whatever monster we’ve built that now I have to feed“ beichtet der frischgebackene Vater William Apostol als vielleicht unerwartetst Beteiligter an der Flesh and Blood Robot-Reanimation – dafür aber das vielleicht denkbar ungünstigste Album als Major Label-Einstand aufgenommen.
Mit Pop-Produzent Jon Brion hat er zwar den ausufernden, zwischen Grateful Dead und Phish improvisierenden Psychedelic Jam-Aspekt in den relativ kompakt gehaltenen Songs von Highway Prayers zurückgefahren, gleichzeitig aber eben auch die zugänglichsten, unterhaltsamsten und schmissigsten Songs seiner Karriere geschrieben, diese in ein 74 minütiges Doppelalbum purer Kurzweiligkeit verpackt, und dann auch noch Karriere-Highlights wie Gild the Lily, My Alice oder The Beginning of the End als Schleife darum gezogen.
Ohne sich auch nur einen Millimeter zu verbiegen hat der (mindestens) beste Bluegrass-Musiker seiner Generation eine Platte aufgenommen, die viele Arenen dieser Welt zu klein für Billy Strings machen.
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