Die Alben des Jahres 2022: 30 – 21

von am 30. Dezember 2022 in Jahrescharts 2022

Die Alben des Jahres 2022: 30 – 21

| HM | EPs | 50 – 41 | 40 – 31 | 30 – 21 | 20 – 11 | 10 – 01  | Playlisten |

Imperial Triumphant - Spirit of Ecstasy30. Imperial Triumphant – Spirit of Ecstasy

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Keine Ahnung, was das heutzutage noch wert ist, aber Steve Blanco hat seiner Band für Merkurius Gilded das ziemlich sicher perfekte Musikvideo auf den Leib geschneidert.
Gut, viel Airplay hätten Imperial Triumphant dafür wohl selbst während der Heydays von MTViva nicht bekommen – dafür ist die eigenwillige Synergie aus Avantgarde Black Metal, New York Jazz und 1920er-Jahre-Flair wohl einfach grundlegend zu extravagant. Aber auch so wächst der Bekanntheitsgrad der New Yorker beständig – dass niemand Geringerer als Kenny G bei Mercury Gilded vorbeischaut ist dann aber kein erstes Anzeichen von massenvermarktbarer Promi-Tauglichkeit, sondern ein Freundschaftsdienst für die Ex-Bandkollegen seines Sohnes Max Gorelick.
Alleine was dessen Nachfolger Kenny Grohowski hier (oder auch auf Vonals) derweil am Schlagzeug abliefert, sorgt dann für technisch virtuose Ohrgasmen, während Imperial Triumphant die Stellschrauben an ihrem ureigenen eklektischen Sound einmal mehr, seit sie sich mit Vile Luxury gefunden haben, immer enger drehen – sie in der zweiten Hälfte der Platte allerdings auch komplett in den freigeistigen stream of consciousness lösen – und damit eine Entwicklung liefern, deren Wert unbezahlbar ist.

Grivo - Omit29. Grivo – Omit

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Gut, mit Omit haben Grivo ihr Debütalbum Elude im weitesten Sinne einfach noch einmal aufgenommen.
Allerdings mit nachgestellten Schrauben an zwei entscheidenden Faktoren. Der zartschmelzende Hauch im Gesang von Timothy Heck ist ein bisschen bestimmter geworden und die Band aus Texas agiert generell selbstsicherer und präsenter in dem getragenen, anmutigen Sound, den sie für sich in den elegischen Auslegern des Alternative Rock im verträumten Shoegaze gefunden haben. Außerdem hat das Zweitwerk des Trios zudem – stets knapp innerhalb der Wahrnehmung unter die Haut gehend – die um das Quäntchen besseren Songs um das majestätische Herzstück Fatal Blue gebündelt.
Ist es also somit eigentlich die einzige Überraschung an Omit, dass Grivo praktisch wirklich genau das Album geschrieben haben, dass man sich nach dem wundervollen Einstand 2018 von ihnen erhofft hat? Nicht unbedingt – denn wie ausgezeichnet sie damit in der von Stereogum ausgerufenen New Wave of American Shoegaze reüssieren, ist mindestens ebenso beachtlich!

Charley Crockett - The Man from Waco28. Charley Crockett – The Man from Wacko

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Sofern Charley Crockett seine eigentlich absurd hohe Frequenz an Veröffentlichungen irgendwann gach drosseln wird, könnte das gut so sein, als wäre morgens kein Kaffee mehr zu Hause – oder irgendein anderes ähnliches die Gewohnheiten schockierendes Erlebnis. Gar nicht vorzustellen, wie man erst reagieren würde, sollte dem 38 jährigen dann auch erstmal ein schwacher Song passieren.
Vorerst ist an solche Szenarien freilich nicht zu denken. Zwei Alben hat Crockett mit der Cover-Platte Jukebox Charley und The Man from Waco 2022 veröffentlicht. Beide sind spitze – und zeigen außerdem mal subtiler, mal deutlicher neue Facetten in seinem Country-Sound. Doch es ist gerade auf dem regulären Music City USA-Nachfolger schon verdammt beeindruckend, wie er Trademarks öffnet: Mit seinen Blue Drifters nimmt Crockett neuerdings unter der Regie von Bruce Robinson Motown-Elemente, 70s-Anreize, Funk- oder Blues-Ideen wie selbstverständlich mit und reiht (mal wieder, eigentlich) die vermeintlich eingängigsten und auch breitenwirksamsten Songs – ja, auch wieder so viele Hits! – seiner Karriere zu seinem ersten Konzeptalbum aneinander. Dass seine in den vergangenen Jahren immens gewachsene Popularität nach The Man From Waco stagnieren könnte erscheint insofern ebenso unwahrscheinlich wie die Möglichkeit, dass diese Frischzellenkur seiner Kreativität und Produktivität auf absehbare Zukunft auch nur ansatzweise geschadet haben könnte. Eher das Gegenteil ist der Fall.

Konvent - Call Down the Sun27. Konvent – Call Down the Sun

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Die an der Grenze zur Gleichförmigkeit agierende stilistische Konsequenz von Konvent war dem Langzeitreitreiz von Call Down the Sun letztendlich zwar ein klein wenig abträglich – um sich zu wünschen, dass ein bisschen mehr Variabilität in der Platte stecken könnte, genügt es eigentlich, den heroisch mit Streicherunterstützung gen Melodik aufmachenden Closer Harena zu genießen.
Und trotzdem landet man immer wieder in diesem sludgig plättenden Doom-Riffmeer. Auch, um sich jedes Mal aufs neue in die wunderbare Stimme von Rikke Emilie List zu verlieben. Die klingt so modrig aus dem fauligen Morast des Death gewürgt so derart derart nihilistisch und abstoßend, als würden mit jedem Ton schimmelige Batzen der Magenschleimhaut mit ins Mikrofon gebrüllt werden.
Die Agenda dieser Platte mag kein Mysterium sein und ihre Wirkungsweise im Grunde verdammt pragmatisch: Diese Faktoren tragen aber auch zur angenehm bodenständigen Attitüde dieser Urgewalt bei.

Wormrot - Hiss26. Wormrot – Hiss

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2022 war ein herausragender Jahrgang für den Grindcore – aber war es auch in letzter Konsequenz ein gutes Jahr für Wormrot selbst?
Zwar hat die Band aus Singapur heuer mit ihrem Viertwerk am bisherigen Zenit ihrer Schaffenskraft (hinter einem wenig originären Artwork) ziemlich sicher das Konsens-Werk der Szene vorgelegt und sich in neue Sphären der Wahrnehmung katapultiert – doch Sänger Arif (nebst Gattin und Bandmanagerin Azean) hat Wormrot im Mai kurz nach dem Release der Platte nach 15 gemeinsamen Jahren (im augenscheinlich guten, wie es scheint, aufgrund familiärer Umstände) verlassen.
Dabei war sein Organ elementar für für den Charakter von Wormrot und auch für die auf Hiss breitenwirksamer denn je angelegte Vielschichtigkeit der Band, die von Alternative-Choral-Ansätzen über Thrash-Anleihen bis hin zu Streichern, Avantgarde-Mustern und Noise-Ideen reicht, und der vorangegangenen Schreibblockade von Gitarrist Rasyid Juraimi damit eine schier überbordende Ambition im sauberer, zugänglicheren Klang nachtritt.
Unter anderen Umständen wäre Hiss exakt die Platte, die Wormrot endgültig in die erste Liga katapultierend für eine große Zukunft in sichere Position gebracht hat – so aber sind die Ausblicke angespannt: „There are going to be some changes. I can’t say what’s in the future just yet as we’re still dealing with this major problem, and we’re taking it a step at a time.” – mal schauen, wie die Sache mit Implore-Sänger Gabriel Dubko so läuft.

25. City of Caterpillar – Mystic Sisters

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Nicht einmal das Hammering Hulls-Debüt Careening konnte ein derartiges Oldschool-Dischord-Feeling verbreiten wie Mystic Sisters, das mit veritablen Szene-Hits wie Paranormaladies, Voiceless Prophets oder gerade Decider eine Sicht auf eine alternative Realität aufgerissen hat, in der Guy Picciotto die giftigen Fugazi-Hooks wie hinterlistige Asse aus dem Screamo-Ärmel leiert.
Am besten ist der nach zwei Dekaden kommende Nachfolger des selbstbetitelten Einstandsalbums aber, wenn das sich sechs Jahre auf dieses Comeback hinarbeitende Quartett City of Caterpillar im Titelsong Mystic Sisters und dem bis zum hymnischen Chor ausholenden Ascension Theft… (Gnawing of the Bottom-Feeders), den beiden weit ausladenden Herzstücken der Platte, in den Postrock gleiten und in strukturoffener Grandezza mit Haut und Haaren fressen.
Da (in kompakten Szenen) wie dort (im langen Format) ist der eigentliche Geniestreich aber nicht nur, dass Mystic Sisters der Spagat gelingt, Vergleiche mit dem unerreichbaren Vorgänger zuzulassen, aber diese nicht aufzubürden. Sondern, dass man hiernach so richtig heiß auf die Zukunft einer Band ist, die es sich als Legende gemütlich machen hätte können.

Rachika Nayar - Heaven Come Crashing24. Rachika Nayar – Heaven Come Crashing

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Rachika Nayar aus Brooklyn hat angeblich etwa dagegen, wenn man ihr zweites Studioalbum, das nur ein Jahr auf das Doppel aus Our Hands Against the Dusk und Fragments vergehen ließ, abermals als Postrock kategorisiert – auch wenn die weiterhin mit Tremolo und Reverb flirrenden Gitarren der Platte diese Verortung ästhetisch stets nahelegen, und so viele Augenblicke trotz einer merklichen Umschichtung der Saiten hier erscheinen, als wären 65daysofstatic in den 80ern einer euphorischen Nostalgie verfallen.
Heaven Come Crashing ist mit seinen astralen Synthflächen und modulierter Elektronik natürlich zuerst wirklich eher als Ambientwerk ausgelegt, doch greifen allzu dogmatische Sichtweisen spätestens dann zu kurz, wenn die stets a la Jon Hopkins schimmernde Club-Ästhetik im choralen Titeltrack zum retrofuturistischen Drum and Bass mutiert, der cinematographische Score von The Price of Serenity im Techno anschwillt und dort sogar als Our Wretched Fate ausbricht, nachdem ein Death & Limerence noch von The Police träumte, um sich ätherisch aufzulösen und den düsteren Drone von Nausea einzuladen. Einigen wir uns also einfach auf den Soundtrack zur Erinnerung an eine alternative Realität?

23. Birds in Row – Gris Klein

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Kann man einem Album wirklich Vorwürfe machen, wenn drei absolute Übersongs das große Ganze letztendlich zu überschatten drohen? Wohl schon – es wäre im konkreten Fall von Gris Klein allerdings wirklich verdammt schwachsinnig.
Weil der dritte Langspieler der Franzosen nicht nur ein absolut fantastisches Sequencing mit grandiosen Übergängen für eine ausfallfreie Stafette an elf vielschichtig gehaltenen Highlights gefunden hat, sondern mit diesem Material auch eine geschlossene Einheit erzeugt, die mehr als die Summe seiner Teile darstellt: Gris Klein ist so klar der bisherige Zenit der Diskografie von Birds in Row, wie man seit langer Zeit inmitten der Fronten des Screamo und Post Hardcore, nichts ähnlich gelungenes entdecken konnte: intensiv und durchdacht packt diese Achse aus methodischer Emotionalität ohne Gefangene zu nehmen. Ja, man kann und will sich diese 43 Minuten voll und ganz hingeben, immer wieder.
Und dennoch: Das ändert freilich trotzdem nichts daran, dass man zwangsläufig jedes Mal, wenn das Thema auf Gris Klein fällt, die Begeisterung darüber hinausschreien muß, wie unfuckingfassbar stark – nein, eigentlich sogar regelrecht ikonisch! -das miteinander verbundene Triumvirat aus Noah, Cathedrals und Rodin doch ist.

King Gizzard & The Lizard Wizard - Omnium Gatherum22. King Gizzard & The Lizard Wizard – Omnium Gatherum

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Es gibt eigentlich keine Verwunderung mehr darüber, wie immens der (niemals versiegende, niemals übersättigende) Output von King Gizzard & The Lizard Wizard (trotz gesundheitlicher Probleme….) war, ist und bleibt; oder darüber, dass praktisch wirklich ausnahmslos alles, was die Australier dabei vorlegen, auch absolut hochklassige Ware ist: eine überragendere Quote aus Qualität und Quantität wird man kaum wo sonst finden, als bei der Band, die in den vergangenen zehn Jahren 23. Studioalben veröffentlicht hat.
Fünf davon alleine 2022 – neben den zwei wirklich tollen Mitschnitten der Konzerte in Brisbane und Bonnaroo sowie einer neuerlichen Demo-Compilation und der Satanic Slumber Party mit Tropical Fuck Storm. Das erste davon erschienene, Omnium Gatherum, hängt Made in Timeland sowie das Oktober-Trio Ice, Death, Planets, Lungs, Mushrooms and Lava, Laminated Denim und Changes in der subjektiven Gunst ab: als inhomogenes Songsammelsurium, dass vom Metal bis zum Rap reicht und dennoch ein schlüssiges Ganzes von unpackbarem Unterhaltungswert ergibt – dem mit dem schlichtweg genialen Doppel aus dem 18 minütigen Megasong The Dripping Tap und dem Pop-Traum Magenta Mountain (wer waren nochmal Yeahsayer?) ein Karriere-Sternstunden-Duo vorwegsteht.

Fleshwater - We're Not Here To Be Loved21. Fleshwater – We’re Not Here To Be Loved

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Offen und ehrlich: Wie sein großer death.fm.radio-Bruder This World Is Going To Ruin You ist auch We’re Not Here To Be Loved zuallererst eine Enttäuschung geworden.
Allerdings scheitert das Debüt von Fleshwater (wie übrigens auch das rundum tolle Zweitwerk von Vein.fm) alleine an der unpackbar großen Erwartungshaltung. Dafür verantwortlich ist in diesem Fall sogar genau genommen „nur“ die erste Demo von vor zwei Jahren, die im Grunde eh nicht großartig etwas anderes angekündigt hat, als es (das nur klangtechnisch weitaus kräftiger von Kurt Ballou inszenierte) We’re Not Here To Be Loved letztendlich ohnedies geworden ist: eine superschmissig, nein, eigentlich sogar in Ideallinie daherkommende Achse aus Dreampop, Post Hardcore und Alternative Metal in permanenter 90er-Nostalgie als enorm reizvolles Hybridwesen der Stammzellen der Deftones, Hum und Slowdive.
Nur hat man subjektiv einfach mit noch mehr gerechnet. Doch kann man dies einem nicht aus der Heavy Rotation wollenden Erstwerk vorwerfen? Bei aller Offenheit und Ehrlichkeit verlangt eine differenziertere Betrachtung deswehen wohl festzuhalten: Der einzige, was man hier ungeachtet der illusorischen eigenen Ansprüche unbedingt mokieren kann, ist die Tatsache, dass gerade einmal 28 Minuten Spielzeit die von der Musik erzeugte Sucht nicht auf erschöpfende Weise stillen können/wollen.

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