Die Alben des Jahres 2018: 40 bis 31
218 Songs | HM | Kurzformate | 50 – 41 | 40 – 31 | 30 – 21 | 20 – 11 | 10 – 01 |
40. Portal – Ion
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Während die Aussie-Höhlenkollegen von Grave Upheaval auf eine brutal wertkonservative Stagnation setzen, heißt die Konstante bei Portal weiterhin schonungslos eskalierende Progression, bis einer über die Kuckucksuhr fliegt und 12 Monkeys in okkulten Kutten vibrieren: Wenn 2017 das Jahr der wurzelbewussten Death-Renaissance war, will Ion deswegen auch gleich das Ende des ganzen konventionellen Genres sein.
Das fünfte Werk der Band um den Curator röchelt dem Fortschritt mit kaum nachvollziehbaren Blast-Fragmenten in hirnwütiger Zerrissenheit entgegen, ändert seine Ausrichtung praktisch im dekonstruierten Sekundentakt, lässt keine orientierende Ruhe einkehren. Ein prätentiös herausforderndes Horror-Mysterium, extrem in jeder Hinsicht, ob nun auf seine Versatzstücke aus Black Metal, Doom oder Grind bezogen. Ob man sich diesem experimentellen Wahnsinn rational nähern kann, ob er irgendeinen logischen Sinn ergeben kann, ob man einen wie auch immer gearteten Komfort in dieser Folter finden kann – all das bleibt offen. Während man sich als Hörer wieder und wieder in die Rolle des Märtyrers begibt und Ion ausliefert.
39. Horrendous – Idol
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Idol kann in vielerlei Hinsicht als ein Soft Reboot für Horrendous verstanden werden. Immerhin ist es ein Album, das einige Premieren für die Band aus Philly parat hält.
Es ist nach dem Wechsel von Dark Descent Records der Einstand auf dem weitaus größeren Label Season of Mist, was die stetig wachsende Popularität von Horrendous gut widerspiegelt. Idol ist auch das Debüt von Neo-Bassist Alex Kulick, der mit seinem jazzig gurgelnden, nur vermeintlich bundlosen Spiel an die stilistische Tieftöner-Einschnitte denken lässt, die auch Havok zuletzt erfuhren. Wie sehr sein Imput Horrendous entwicklungstechnisch vorantreibt und auf den nächsten Level hebt, kann kaum hoch genug eingestuft werden.
Das vierte Studioalbum der seit ihren Anfangstagen kaum wiederzuerkennenden Kombo ist auch über diese Schnittstelle die Zäsur, die den schwedisch geprägten Tech-Death der Band endgültig in progressive Bahnen kippt und so unorthodox wie möglich keinen Stein auf dem anderen lässt, sich über die nicht zwangsläufig sauberere, aber deutlich geschmeidiger Raum verteilende Produktion ausbreitet. Und plötzlich scheinen sie damit als Konsens für abgehangene Nietenträger, nackenbrechende Mackenschwinger, szeninformierte Hipster und trve Metaller gleichermaßen zu taugen, wie sie Idol durch ein Labyrinth aus verqueren Riffs, schwindelerregenden Rhythmen und schier wahnsinnigen Strukturen schicken. Diesen stets wachsenden Popularitätslevel kann man mittlerweile gerne einen Hype nennen, oder exponentiell wachsenden Lohn für die harte Arbeit: Horrendous haben sich den Erfolg so oder so absolut verdient.
38. The Good, The Bad & The Queen – Merrie Land
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Der Brexit nähert sich mit Riesenschritten und Damon Albarn sucht nach Antworten. So wie seine Reisen durch Asien Blurs The Magic Whip (2016) beeinflussten und die Aufenthalte in den USA Gorillaz‘ The Fall und The Now Now inspirierten, schrieb Albarn Merrie Land nach einer persönlichen Pilgerreise durch das moderne Großbritannien, wobei er sich von großen Städten und seinem geliebten London zu Gunsten englischer Küstenstädte, walisischer Täler und dem industriellen Norden fernhielt.
Damon Albarns bescheidene Supergroup legt eines der seltenen Alben vor, das anspruchsvoll sein will, sich aber nicht übertrieben anfühlt. Immer wieder regen sich diffuse Streichinstrumente oder lakonischer Bläser-Blödsinn, der Côr-y-Penrhyn-Chor aus Wales hilft, Lady Boston auf den Punkt zu bringen. Zwischen Vaudeville-Flair und Leierkasten-Walzer, Art Pop und schwarz-weißem Cabaret fühlt sich Merrie Land weitestgehend an, als würde der Troubadour Albarn vor einer sentimental schunkelnden Band durch die Lande ziehen, um seinen gemütlich düdelnden Jahrmarkt aufzubauen, der gar nicht erst versucht aus einer gewissen Gleichförmigkeit und Distanz auszubrechen – selbst Refrains will sich nicht jeder der mit unheimlich kontemplativer Grandezza baumelnden Songs gönnen. Der Brexit ist nicht gerade ein sexy Thema, und Merrie Land ist vielleicht nicht das Zünglein an der Waage, das die Entscheidung der britischen Regierung rückgängig machen wird, es funktioniert aber immerhin als erfrischendes Gegenmittel gegen Alben auseinanderpickende moderne Hörgewohnheiten, als bittere Pille gegen Angst und frohe Botschaft von Liebe und maßvoller Hoffnung.
37. Satan – Cruel Magic
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Satan ist eine der angesehensten NWOBHM-Bands und hat es – ungewöhnlicherweise – geschafft, seit der Reunion 2011 nur fantastische Alben zu veröffentlichen. Sowohl Life Set als auch Atom By Atom sind in aufgezeichnete Heavy-Metal-Anmut in Reinform und auch live haben sich die Briten ein hervorragendes Image bewahrt. Und der besondere Platz, der von Satan im Heavy-Metal-…, nun ja, Himmel eingenommen wird, wird auch 2018 durch Cruel Metal bestätigt.
Nachdem es sich episch aufgebäumt hat, poltert Into the Mouth of Eternity los und gibt das Tempo für die folgenden 50 Minuten vor, und spätestens wenn sich die Cowbell im Titeltrack bemerkbar macht, steht fest, wofür Satan da sind: Heavy Metal. Entschlossenem Oldschool Heavy Metal von höchster Qualität, mit verdrehtem Kreuzzeichen gen (ganz) frühe Iron Maiden. Satan kümmern sich einen Dreck um die neueste Mode, um Doom- oder Thrash-Einflüsse und schon gar nicht um Politur, Overdubs oder Muskelspielereien. Cruel Magic ist im wahrsten Sinne des Wortes trve, auch was die Produktion betrifft: großteils an einem Stück eingespielt, kaum Verschönerungen am Sound, direkt und, man muss es so sagen, badass. Eines der besten Gitarrenduos Englands (Russ Tippins und Steve Ramsey) und Sänger Brian Ross, der sich irgendwo zwischen Scott Walker und Joe Hutton von Hammers of Misfortune bewegt, sorgen für Songwriting, dass viele selbsternannte Retrorocker beschämt. Der Teufel sang eben immer schon die besten Lieder.
36. Swarrrm – Beginning to Break
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Obwohl das raue und schmutzige frühere Material, das kurz nach ihrer Gründung vor 22 Jahren veröffentlicht wurde, Welten von ihrer jüngeren Arbeit entfernt klingt, hatten Swarrrm aus Kobe, Japan noch nie Angst, Grindcore durch allerlei hirnwütige wie wundervolle Gefilde zu schleppen. Zwar nicht so unbarmherzig wie auf ihren ersten Veröffentlichungen, sind die Dinge im Hause Swarrrm immer noch einfach nur seltsam. Beginning to Break ist gerade bei Erstkontakt mit den Japanern ein durchgängiger WTF-Moment, der jenseits jedweder Genre-Treue bis zur Absurdität übersteigert zu sein scheint, seine Bestandteile augenscheinlich gegeneinander antreibt und in der Fusion aus zuckenden Blastbeats und leidenschaftlich gebrüllten Singalong-Refrains schon beinahe wie eine Persiflage anmutet.
Die derzeitige Iteration der Band lässt in der Art und Weise, wie sie die mitreißende Flut von Geschwindigkeit, Chaos und Wahnsinn durch einen Überfluss an kristallinen Melodien ausgleicht Parallelen zu Envy, Friendship oder Endon zu – wobei niemand davon über eine Geheimwaffe wie Wahnsinns-Sänger Tsukasa Harakawa verfügt, der scheinbar zufällig zwischen Heulen, Gurgeln und heiseren, fast klangvollen Röcheln changiert, und dabei nicht allzu weit von einem betrunkenen Matt Pike gekreuzt mit einem Gorilla entfernt ist. Weil es in so wenigen Zeilen wirklich schwierig zu erfassen ist: 愛のうた’ (Song for Love) kann durchaus als Paradebeispiel bemüht werden, wie all die abgefahrenen Elemente, die Sawrrrm ausmachen, perfekt zusammenfinden – (gar nicht mal so) absurderweise unter einer der Hooks des Jahres, halb Animé-Intro, halb klagender Emo-Epos. Ein Album wie ein außerirdischer Monolith, der je nach Lichteinfall schön, bizarr oder geradezu erschreckend sein kann.
35. UN – Sentiment
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Was die Erleichterung des Suchmaschinen-technische Aufspüren von UN im Internet angeht, hat sich die Band aus Seattle drei Jahre nach ihrem Debut keinen wirklichen Dienst erwiesen, abseits davon macht das Quartett im direkten Vergleich zum markanter betitelten The Tomb of All Things wirklich alles noch einmal besser.
Mastermind Monte Mccleery hat seinen Kampf gegen den Krebs mittlerweile überstanden und muss die Dinge deswegen nicht mehr derart überstürzen, wie dem überfallsartig veröffentlichten 2015er Einstand – auch wenn er die poetischen Texte abermals in letzter Sekunde änderte. Angepasst an der erweiterte Spektrum der Reflexionen, denn der finstere Nihilismus ist einer dynamischeren Bandbreite gewichen, die auch ein wenig Optimismus zulässt. Mccleery lässt eine Band als allergischer Stubenhocker die weitschweifenden Doom-Landschaften von UN in erhebend majestätischer Form abschreiten und findet dabei auch den Raum, um mit Kelly Schilling (Dreadnought) und Ethan McCarthy (Primitive Man) sowohl die elegischen Höhen wie auch markerschütternden Tiefen im Sound auszuweiten. Bei aller der dabei freigesetzten Intensität ist Sentiment dabei trotzdem mehr alles ein versöhnliches Dokument geworden, ein Album, das UN zur Mitte finden lässt. Eine Reise, auf die man sich einlassen und erfühlen muss – also stimmigerweise auch nichts, was man ergoogeln könnte.
34. Tropical Fuck Storm – A Laughing Death in Meatspace
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Fraglich, ob Gareth Liddiard und Fiona Kitschin für A Laughing Death in Meatspace tatsächlich unbedingt eine neue Band aus der Taufe heben mussten – mit Lauren Hammel (u.a. High Tension) und Erica Dunn (u.a. Harmony) ja eigentlich sogar gleich eine veritablen Down Under-Supergroup. Tropical Fuck Storm entfernen durch die charakteristische Darbietung ihrer beiden nominellen Köpfe (abseits des exaltierten Auftretens im Bandnamen sowie den herrlich schrillen Artwork) kaum vom ambitionierten Fundament, dass die beiden mit ihrer Stammband The Drones spätestens mit dem offenbar orakelnden Feelin‘ Kinda Free (2016) angefertigt hatten.
Allerdings nutzt das australische Quartett den Start aus dem Stand zum Quasi-Reset, impft dem psychotisch neben sich selbst stehenden Art Punk noch mehr psychedelischen Blues und experimentellen Pop ein, lässt A Laughing Death in Meatspace so mit wehenden Fahnen zu neun unorthodox-schmissigen Songs mit schroffer Kante und fürsorglichen Herzen finden. Was sich erst nach schräger Dissonanz und aufreibend pessimistischem Nihilismus anhört, entpuppt sich deswegen auch bald zur unheimlich eingängigen Apokalypse-Predigt. Eine Party im Wunderland, in der all die Panik und Verzweiflung über zynische Pointen in erstaunlich zwingenden Harmonien, Melodien und Hooks münden. Liddiard gibt seine Nick Cave‘sche Anti-Haltung nicht auf, die drei Ladies neben sich führen diese aber um das Quäntchen präziser, weil versöhnlicher, zum Punkt und entwaffnen damit so verführerisch, wie es im Kontext der Drones ja eventuell tatsächlich nicht möglich gewesen wäre. Ein kunterbuntes Horror-Spektakel in knallendem Technicolor jedenfalls, bei dem man nie sicher sein kann, wann all der schrille Spaß zum nackten Albtraum umschlägt.
33. Toby Driver – They Are the Shield
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In seinem unendlichen Streben, alles zu Gold zu machen, was er anfässt, treibt Toby Driver seinen musikalischen Stil neoklassischen Minimalismus‘ kombiniert mit purer Schönheit einen weiteren Riesenschritt weiter gen Perfektion. Dabei klingt They Are the Shield genauso, wie es jeder aufmerksame Beobachter Drivers Schaffen vorhersehen konnte: nicht ansatzweise wie sein kaum weniger famoses (quasi) Solo-Debut aus dem letzten Jahr, Madonnawhore. Drivers gewohnt unkonventionelles Songwriting ist hier so stark wie in den besten Arbeiten von maudlin of the Well und Kayo Dot, statt Synths und verstärktem Gitarreneinsatz umreißt They Are the Shield seine Avantgarde-Balladen mit Violinen, Keyboards und Drivers wohl bis dato besten Gesangs-Performance, die in einzigartiger Weise zusammenfließen oder Songs für sich selbst stehend tragen.
Trotz all seiner Fokussierung schafft es They Are the Shield auf einem undefinierten Mittelweg zwischen Kammermusik und Post-Rock eine breite Palette von Dynamiken erkunden, von verstörenden Ambient-Passagen bis zu hymnischen Uptempo-Abschnitten. Driver macht Einflüsse experimenteller agierender Zeitgenossen wie Godspeed You! Black Emperor, Ulver oder Scott Walker spürbar und verarbeitet sie zu etwas gänzlich Originellem, einer weiteren Sternstunde in einer beispiellosen Diskografie.
32. Kurt Vile – Bottle it In
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Da hat er nicht nur am süffisanten Cover gut lachen, dieser Kurt Vile. Hält konstant die Polizei zum Narren und untermalt dies auch noch mit der Vorabsingle gewordenen Fake-News namens Loading Zones, die mal eben ganz ungeniert behauptet, dass das achte Studioalbum des Slackerkönigs eine kompakte Angelegenheit werden könnte.
75 Minuten und zwölf nachfolgende Tracks später ist Bottle it In nicht nur das längste (natürlich auch irgendwie wieder: zu lange) Album von Vile, sondern eventuell sogar sein (natürlich auch wieder irgendwie) bestes bisher. Das behaupten zumindest Instant-Hits wie One Trick Ponies oder hauseigene Klassiker ala Bassackwards. Überhaupt muss man erstmal den Chuzpe haben, mehrmals an der zehn Minutengrenze zu den immer gleichen Akkorden lakonisch zu nölen, und am Ende trotzdem alle auf seiner Seite zu haben. Anderswo würde man deswegen vom Magnum Opus fantasieren – für den lässigen Könner Vile ist es hingegen nur die vierte über jeden Zweifel erhabene, überragend zeitlose Platte am Stück, typisch bis in die letzte Haarsträhne, die Essenz einer mit einer beispiellos unaufgeregten Selbstverständlichkeit um sich selbst kreisende Kunst genüsslich auswalzen. Wäre Bottle it In also doppelt so lange gelaufen – auch kein Problem!
31. Amen Dunes – Freedom
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Die Credits zum ersten Amen Dunes-Album seit dem 2014er-Prachtwerk Love – „my [amazon_link id=“B014K3640M“ target=“_blank“ ]Astral Weeks[/amazon_link]“, wie Damon Mahon es nennt – listen ein abstruses Instrumentarium – von der „strawberry funk guitar” oder “underwater keyboards“ ist da die Rede.
„‘Cause that’s what it sounds like, y’know? I sort of have some kind of synesthesia with music, where you see what you hear. And those parts—that’s the best way to describe them. That’s doing them justice.“ Also bekommen MCMahons Mitmusiker oft Anordnungen wie „‚I want you to sound like a robot dying at the beach at sunset,’ or like, ‘I want you to sound like David Bowie prancing down a dark alleyway lit by gas lamps eating soup dumplings.“ – ergibt durchaus Sinn. Wohl auch für die namhafte Belegschaft, die McMahon neben seinen alten Weggefährten Parker Kindred und Jordi Wheeler wieder versammelt hat: Gus Seyffert, Raffaele Martirani, Steve Marion sowie Yeah Yeah Yeahs-Punk Nick Zinner oder sein eigener, wieder für die androgynen Gesangpartsarts zuständiger Bruder Xander Duell. Eine so illustre wie männliche Belegschaft, für die sich hoffentlich niemand erklären muss.
Keinerlei Rechtfertigung verlangt dann die musikalische Ausrichtung der locker aus dem Handgelenk dösenden 10 Songs hier, praktisch der verlängerte Arm von Love: Freedom fließt auf konstant hohem Niveau durch das patentierte Amen Dunes-Flair, schiebt über Ausnahmenummern wie Miki Dora praktisch ausnahmslos neue Lieblingssongs über die Hintertür in das Repertoire des mittlerweile Locken-losen McMahon. Die Chancen stehen also nicht schlecht, dass er hiervon rückblickend von seinem [amazon_link id=“B014X537GG“ target=“_blank“ ]Moondance[/amazon_link] sprechen wird dürfen.
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