Bell Witch – Future’s Shadow Part 1: The Clandestine Gate

von am 16. Mai 2023 in Album, Heavy Rotation

Bell Witch – Future’s Shadow Part 1: The Clandestine Gate

Die Kooperation Stygian Bought Vol. I war der nötige Schritt zur Seite, um Luft zu holen und Anlauf zu nehmen. Schließlich denken Bell Witch Future’s Shadow, das Nachfolge-Projekt ihres genrefeiernden (und nebenbei auch in ästhetischer Hinsicht eine neue Metal-Zeitrechnung einleitenden) Doom-Meisterwerks Mirror Reaper, schon mit dessen ersten Teil – The Clandestine Gate – in einem noch größeren Rahmen.

Future’s Shadow Part 1: The Clandestine Gate beginnt dort, wo Part 3 nach Plan auch enden wird – oder es eben, als konzeptuelles, zyklisches Möbiusband, nicht tun wird: als „composition that pulses and breathes on a filmic timeframe. It constitutes the first chapter in a planned triptych of longform albums, collectively called Future’s Shadow.“ und wie Dylan Desmond weiter ausführt: „Eventually, the end of the last album will be looped around to the first to make a circle. It can be continuously looped, like a day cycle. This would be dawn. The next one would be noon. The following one would be sundown, with dawn and sundown both having something of night.
Die Dimensionen sind also genau genommen nicht nur gewachsen – alleine Clandestine Gate ist ein einzelnes, 85 minütiges Kompositions-Gebirge von erst einschüchternder (die Grenzen der Aufmerksamkeitsspanne jedoch tatsächlich nur selten strapazierender Größe) und letztendlich so erfüllender Majestät, wie sie außer Bell Witch nur verdammt wenige Genre-Kollegen erschaffen können.

Die Rahmenbedingungen des (je nach Zählweise alle Kooperationen und Demos mitnehmend) genau genommen erst 22. Songs, den das Duo aus Seattle in seiner (den prägenden Besetzungswechsel an den Drums von Adrian Guerrera auf Jesse Shreibman nach Four Phantoms 2015 außer acht lassend) 13 Jahre dauernden Karriere ausbreitet, muß dabei sicher auch die Last von Mirror Reaper als Konsens-Meisterstück des Funeral Doom stemmen (sowohl in stilistischer, struktureller, ästhetischer oder sonstiger Hinsicht), doch baut es genau genommen eher geschickt auf dessen Rahmen und Tugenden aus: Bell Witch wissen selbst am besten, was ihnen, ihrem Sound und auch Hörerschaft an Volumen zuzumuten ist.
Die Unterschiede zu Mirror Reaper lassen sich insofern kompakt zusammenfassen – Aerial Ruin hat diesmal keinen Platz an Bord der Reise bekommen, derweil der chorale Pastoral-Gesang nun weite Teile der Platte begleitet, wo auch die Orgel-Passagen und Synth-Flächen dominant wie nie zuvor den Charakter der Musik formen – ihre Tragweite jedoch erst nach und nach vollends befriedigend erfassen.

Lange nimmt sich das sakral orgelnde Intro von The Clandestine Gate also Zeit, bevor der Bass wie kontemplativ oszillierende Postrock-Gitarren über den andächtigen Teppich flicht, und nach neun Minuten das Schlagzeug erwacht, die Saiten eine so typische, unverkennbare Melodie der Band in den Arm nehmen, was in seiner Vertrautheit auf subversive Weise überwältigend ist: das kennt man so ähnlich natürlich schon von Bell Witch, nur artikuliert das Duo diese Variation ihrer Essenz einmal mehr unendlich episch und sehnsüchtig, wie auf seine deprimierende erhebende Weise schlichtweg heilend, hebt die Tragik der Schönheit auf ein Podest, und wirkt durch die malmenden, fast am Drone sinnierenden Texturen im Feiern des Songwritings und der Architektur der Riff-Kaskaden insgesamt doch noch runder, weicher und ausladender angelegt, als bisher.
Die Atmosphäre verdichtet die Tiefenwirkung mit jedem Meter, ein klerikaler Chant treibt elegisch durch den massiven Sound, der eine regelrecht ambiente Wirkungsweise beschwört: Clandestine Gate gehört, um es an dieser Stelle explizit hervorzuheben, zu den besten Arbeiten, die Billy Anderson (Engineer, Mixing) und Justin Weis (Mastering) in ihrer an hochklassigen Glanztaten nicht armen Karriere klangtechnisch betreut haben.

Nach ungefähr 25 Minuten kippt der meditative Strom der hypnotisierenden Heaviness jedoch in ein reduziertes Bass-Motiv, das in beängstigend maritimer Hoffnungslosigkeit sinniert, immer tiefer hinab gleitend, die kontemplative Einsamkeit in Zeitlupe genießend: keine Sekunde wirkt hier verschwendet oder bemüht. Nur bedächtig fliesen deswegen mystisch schimmernde Synthies wieder in die das von Dunkelheit geprägte Sichtfeld, zeigen die Apathie einer okkulten, ja regelrecht kultischen Rezitation: „I wanted the vocals to be more active, rather than being on top of the soundscape“ sagt Schreibman und bündelt seine Stimme mit Desmond zu klarerer Linien.
Nach rund halben Stunde Spielzeit beginnt The Clandestine Gate so wieder in all den Attributen zu wachsen, die Bell Witch in ihrem Sektor seit Jahren definieren, ohne Schlagwörter wie monolithisch oder episch geht es nicht: das hat eine Physis, die in jede Pore kriecht, bevor der postapokalyptische Schlund in den Abgrund guttural malmend zum Death stiert, die harmonischen Felder mit bösartiger Vehemenz zur wundervollen, endlosen Heaviness, deren überwältigende Grandezza, Stimmung und Dynamik von wohligen Orgel-Wellen hoch und höher geschoben werden, wahrhaftig monumental.

Ein Horizont, der sich gerne ewig weitererstrecken hätte können – auch wenn Bell Witch in ihrem reibungsloser zelebrierten Hoheitsgebietes nicht ganz die Magie der den Boden unter den Füßen wegziehen könnenden Mirror Reaper-Höhepunkten erreichen – der aber in den letzten 20 Minuten der Platte plötzlich noch ein Ungleichgewicht im Pacing auftut: Wo hinsichtlich des Spannungsbogens bereits das Finale von The Clandestine Gate erreicht ist, hängt die Band plötzlich einen Orgel-Appendix an, der erst ein wenig das Momentum aus dem Fluss nimmt, und dann auch noch zu rasch (gerade gemessen an der Geduld, die jede Passage zuvor an den Tag legte) wieder in ein traunhaftes Funeral-Doom-Geplänkel umschaltet, das durchaus packend direkter und unmittelbarer angelegt ist als die Bereiche zuvor, indem es auf eine griffige Stringenz setzt, um eine weihevolle Erlösung mit Trance-artigen Tool-Bass-Halluzinationen zu wählen. Doch so brillant weite Strecken der Platte nach der Einstunden-Marke auch sind, gerade für sich alleine stehend – sie wirken im Kontext auch gewissermaßen zu überhastet erzwungen.
Ob eine isolierte Bewertung für diesen ersten Part des Triptychons Future Shadow insofern überhaupt sinnvoll ist, wird wohl erst der restliche Verlauf des Mammut-Projekts bzw. der Blick auf das große Ganze zeigen – vielleicht wird die Sequenzierung des (trotz allem keineswegs als Stückwerk auftretenden) Clandestine Gate im Gesamtwerk ja noch schlüssiger erscheinen. Wird es dies nicht tun, sollte man dennoch gut damit leben können: Bell Witch haben ihre Ausnahmestellung im Genre auch so bereits jetzt einmal mehr eindrucksvoll demonstriert.

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