Bell Witch & Aerial Ruin – Stygian Bough Volume I

von am 29. Juni 2020 in Album

Bell Witch & Aerial Ruin – Stygian Bough Volume I

Dass Aerial Ruin die Alben von Bell Witch unterstützt, war immer schon eine natürliche Symbiose. Nun setzen die beiden Parteien für Stygian Bough Volume I gleich auf die vollwertige Kooperation und verrücken den Funeral Doom damit deutlich in den Neofolk.

Mit grandiosen Alben wie Longing (2012) und Four Phantoms (2015) als Vorhut war Mirror Reaper ein aus der Nische kommendes Konzept-Meisterwerk und dennoch der wohl unerwartetste Konsens des Jahres 2017, darüber hinaus freilich auch gerade abseits seiner Musik auf ästhetische Weise absolut prägend für den Metal der kommenden Jahre – Stichwort: Mariusz Lewandowski (inklusive zeitaktuell auffälliger Überschneidung).
Aus diesem Schatten zu treten ist freilich eine Bürde – und eine, die Dylan Desmond und Jesse Shreibman nun dezidiert nicht alleine zu schultern gedenken: Erik Moggridge alias Aerial Ruin wandert von der Gästeliste zum gleichberechtigten Partner, agiert auf Augenhöhe – „We started working on collaboration material together sometime in 2019. But there was writing going on as far back as 2018. The original approach was going to be doing a split record in which we each covered specific songs from each other’s catalog“ erinnert dich Desmond – einer Entscheidung, der man so vorab auch mit gemischten Gefühlen entgegenblicken konnte. Immerhin waren die im Kontext der Bell Witch-Werke gesetzten Akzente von Moggridge immer superb, wohingegen Aerial Ruin-Alben als meist gute, aber nie besonders originär/genialistische Genre-Vertreter nicht aus der Masse herausragen konnten.
In dieser Ausgangslage ist Stygian Bough Volume I tatsächlich ein ambivalentes Werk geworden – phasenweise imposant, dann aber wieder nicht nur an der überragenden Brillanz seiner noch besseren Vorgänger krankend.

Bell Witch lassen Aerial Ruin viel Freiraum, nehmen sich über weite Strecken zurück. Der dunkle Folk dominiert große Teile der Platte, wofür Moggridge wiederum mit einer neuen Tragweite als Sänger und Gitarrist in den meist auf seine Einsamkeit hereinbrechenden Bandmomenten aufgeht, auch der Einsatz der Orgel von Shreibman dem Doom mehr Schattierungen und Akzente verleiht, als bisher bereits – wohingegen die dabei erzeugte Intensität dabei verwaschener anmutet. Der bereits auf der jüngsten Split mit Panopticon als Gewinner hervorgehende Moggridge ringt auch hier „seinem“ Kompetenzbereich eine eindringlichere, nachhaltigere Präsenz ab.
Dennoch ist die Interaktion von Bell Witch und Aerial Ruin stets auf Synergie bedacht, provoziert kein Kräftemessen, obgleich die Extreme (die stille Einkehr und Intimität am Lagerfeuer auf der einen Seite, die tektonische Wucht der Heavyness in Zeitlupe auf der anderen) und deren Amplituden sich ein bisschen zu vorhersehbar abwechseln, während die Stimmfarbe und Kraft von Moggridge in vielen Momenten als tragenden Element zu limitiert und dünn bleibt.
Allerdings ist es schwer zu sagen, ob nun die stilistische Seite der Platte eher Probleme bereitet, als jene des Songwritings – denn nur selten stößt das Trio in wirklich überwältigende Szenen vor.

The Bastard Wind ist lange eine nächtliche, depressive Elegie, die geistesverwandt mit Mount Eerie verträumt am mystischen Folk klampft, durch den fragilen Klargesang wie die Erinnerung an einen androgynen Patrick Walker anmutet. Wenn Desmond und Shreibman einsteigen, entwickelt der Song eine Schwere, die Stimme und der Sound bekommen von Randall Dunn eine körperlose Form. Die Coda der Orgel wird zum Leitmotiv des Basses, die Gitarre schrauben sich solierend nach oben und die Drums zucken, wunderbar akzentuiert. Irgendwann wandelt sich die Stimme zum Growlen, der Song will weiter in hymnische Höhen. Doch „the light means nothing to the sky“ und das Amalgam beruhigt sich, rezitiert zu entschleunigt nachhallenden Schüben, setzt sich danach noch einmal in Bewegung, um einen sich selbst kasteienden Leidensweg zu suchen, der hypnotisch mitnimmt. Ein souveräner Einstieg.
Danach leitet Stygian Bough Volume I jedoch seine schwächste Phase ein. Heaven Torn Low I (The Passage) wird mit schweren Stahlsaiten aus der selben Epik geboren, aus der Pallbearer seinerzeit Foreigner wachsen ließen. Das schrammt in der sakralen Melancholie, ruhig und bedächtig, beginnt gezupft zu perlen, ganz hinten ist in aller Stille der klaren Eleganz ein Schellentanz zu erahnen. Vordergründig scheint Aerial Ruin hier eine Solonummer zu spielen, jedoch arbeiten Bell Witch subtil nuanciert an Details – spätestens wenn die düsteren Synthieschwaden aus den Texturen in die Wahrnehmung kriechen, wird dies deutlich. Heaven Torn Low I (The Passage) nimmt sich im Verlauf immer weiter zurück, löst sich beinahe auf, nimmt jedoch einen neuen Anlauf und legt zwischen den Zeilen die Hoffnungslosigkeit ab, entwickelt sich für knapp dreizehn Minuten Spielzeit einfach zu träge. Hier mäandert Stygian Bough Volume I zu repetitiv, monoton und enervierend. Auch deswegen, weil Heaven Torn Low II (the Toll) diese Vorlage nicht effektiv nützen kann.

Heaven Torn Low II (The Toll) detoniert als Staffelübergabe an Bell Witch, erzeugt auch ein ehrwürdiges Gewicht, das mit der atonalen Dissonanz liebäugelt, alleine über seinen bedächtigen Texturenteppich aber vor allem an einer zeitlosen Schönheit interessiert ist. Eine majestätisch überwältigende Katharsis bleibt jedoch aus.
In diese Sphären steigt dann erst das dritte Segment der Platte auf, der klare Höhepunkt der (bisherigen) gemeinsamen Reise. Prelude ist ein Interlude irgendwo zwischen Kirchenempore, klassischem Metal-Kontemplation und der progressiven Trance von Pink Floyd. Hier halten die Bands ihre in sich gehende Andacht, sprechen Eine durchatmende Einladung aus, die das überragende The Unbodied Air als Monolith annimmt.
Erdrückend langsam rumort es mit religiösem Ernst, röchelt und keift garstig, badet in einem versöhnlichem Meer, einer traurigen Grandezza, die dann in einem zähflüssigen Triumph ausläuft, pastoral, abgekämpft, erhebend. Als wäre der lange Epilog beendet und Stygian Bough Volume I endlich auf Betriebstemperatur, Richtung Meisterklasse – direkt am Ende der Platte.
Es hilft also zwar, sich von der Vorstellung entfernen, es hier mit der reinen Potenz der beiden Gruppen zu tun zu haben. Dann funktioniert ein Schulterschluß, der kein Neuland vermisst, aber unter einem konzeptuell und ästhetisch übergeordneten gemeinsamen Ganzen agiert, sicher am unvoreingenommsensten, wenn sich Stygian Bough Volume 1 nur noch als leisen Hintergedanken den Vorwurf gefallen lassen muß, nicht derart gravierend zu überwältigen, wie es Bell Witch-Veröffentlichungen bisher taten.
Nach 65 Minuten bleibt jedoch auch so einfach das Gefühl, dass da einfach noch deutlich mehr gehen müsste, die beiden Parteien als Kollektiv hier eher über weite Strecken „nur“ ihr Potential umreißen, anstatt es ohne Luft nach oben bereits zu perfektionieren.
Weswegen das Versprechen im Titel auf nachfolgendes Material freilich nur zu ergebenst goutiert wird – und man unvollendete Mehrteiler von Limp Bizkit, The Paper Chase oder The Soundtrack of Our Lives geflissentlich ausklammert.

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