Bat For Lashes – Lost Girls
Spätestens im zwischen düster-abgründigen The Cure und Testosteron- Saxophonmonster Tim Cappello pendelnden Nostalgie-Verlangen von Vampire wird klar, dass Bat For Lashes mit dem warm fließenden Lost Girls tatsächlich ganz unkaschiert ihr ureigenes, weibliche Pendant Kiefer Sutherlands legendärer Bande aufgenommen hat.
Ihre Faszination für die cinematographischen Ausläufer der Musik – und das Medium Film ganz allgemein – haben sich im Schaffen der Natasha Khan zuletzt ja über die Beteiligung am tollen Soundtrack zur (weniger tollen) Serie The Requiem explizit herausgeprägt. Sie stellt nun auch die Wurzel zur Entstehung von Lost Girls, wie schon der Vorgänger The Bride mit konzeptueller Hintergrundgeschichte ausgestattet.
„My plan initially was to go to Los Angeles to focus on scriptwriting and doing music for film. The first song on the album, Kids in the Dark, was actually written for a Stephen King TV series [Castle Rock] – but the music supervisor Charles [Scott] and I had such a good time that we decided to keep meeting. I didn’t even know whether I was going to make an album again“. Und weiter: „I was developing a script for a film called The Lost Girls. It was heavily influenced by 80s children’s films and vampire films, many set in Portland and California. But as the songs progressed, I felt like I was writing the film soundtrack.“
Auf die wichtigsten Einflüsse angesprochen zollt das fünfte Studioalbum dabei bereits im Titel Tribut, Joel Schumachers Kultfilm ist die allgegenwärtige erste Referenz: „The Lost Boys, obviously, is a close link, and seeing LA’s hazy sunsets is making me think of films like ET and The Goonies. Moving to LA, I’ve basically been plonked inside the sets of all the films I loved as a kid.“
Die von Khan angesprochene Initialzündung Kids in the Dark gibt nun als Opener der Platte direkt die Ausrichtung der Platte vor. Ätherische Synthies und eine Drummachine träumen da sehnsuchtsvoll um verwaschene Melodien, bittersüß und entschleunigt. Eine gleißende, aber nicht stechende Decke der melancholischen Nostalgie, authentisches Retro-Feeling mit imaginativer Kopfkinowirkung.
Das folgende, beschwörende The Hunger vertieft diesen Weg direkt, schärft die Konturen, pulsiert mehr. Die Flächen sind kristalliner, die Bässe werden gurgelnder, die Perkussion wuchtiger, die irgendwo ganz hinten im Mix auftauchenden Gitarren schwelgen in Erinnerungen an Disintegration oder Zeitkapsel-Meister wie Merchandise. Klar, das Werk von Bat For Lashes war immer schon direkt in den 80er verwurzelt, doch so direkt und ungefiltert wie auf Lost Girls hat sie diese Essenz aber seit Two Suns nicht mehr destilliert. Da ist es wohl auch nur stimmig, dass Khan mit ihrer Fantasie um ihr aktuelles Platten-Alter Ego-Nikki Pink und deren Vampirclique auch gleich ihr bestes Studioalbum seit ihrem Meisterstück von 2009 aufgenommen hat.
Dass es nicht gänzlich reicht um zu diesem sowie dem grandiosen Debüt Fur and Gold aufzuschließen – beziehungsweise sich vollends von The Bride und dem enttäuschenden The Haunted Man abzusetzen – liegt dann zum einen daran, dass Lost Girls in seiner zweiten Hälfte nicht das Niveau der bärenstarken ersten halten kann, nach dem eingangs erwähnten Quasi-Interlude Vampires weniger zwingend im Songwriting agiert. Schon das hibbelige, die Gitarren an Let’s Dance anlehnende Feel For You ist eher pure Ästhetik, hinter der eine zu simple Idee zu oft wiederholt wird. Der kleine Ohrwurm So Good nutzt sich mit seiner lyrischen Plattitüde ein bisschen schneller ab, als der Rest der Platte und Safe Tonight kommt einfach nicht zum Punkt, bevor Peach Sky seine feine Hook gezielt flüchtig in einen wenig nachhaltigen Nebel schleust.
Allesamt keine Ausfälle, nicht ansatzweise – zumal der subtile Abfall in der Leistungskurve einerseits ohnedies durch den episch getragenen Closer Mountains aufgefangen wird; und Khan andererseits wie schon im Fall von The Bride trotz wundervoller Singles ohnedies wieder kein explizit aus der Masse herausragender Übersong a la Daniel oder Laura gelingen wollte, weswegen auch diesmal eher das große Ganze im Vordergrund steht.
Über Schönheiten wie das prunkvoll gestikulierende Desert Man oder Jasmine, diese rezitierende Erzählung mit griffigen Chorus in der Nähe von Gunship (die auch dafür sorgt, dass Songs mit Namen als Titel Aushängeschilder für Bat For Lashes bleiben), fällt dies allerdings keineswegs negativ ins Gewicht – wo Lost Girls ohnedies eine erstaunlich positive Platte geworden ist.
Khan wollte Songs, die „fun, full of romance and more commercial“ sind und liefert diese auch. Alle Nummern ziehen erfolgreich schnell ins Ohr, breiten sich dort mit einer eleganten Schwere aus, die heller, bunter und optimistischer als die mystischere Frühphase der Natasha Khan funkeln. Bat For Lashes gelingt mit diesem bunten Memory Lane-Trip in eine alternative Realität der Vergangenheit deswegen zwar kein neuerliches Gesamtkunstwerk, Khan ringt ihrem Projekt aber so lebendige und erfrischende Facetten wie seit einem Jahrzehnt nicht ab.
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