Bad Religion – Age of Unreason
„Es hätte unser Schwanengesang sein können, weil wir es selbst so sehr mochten“ reflektieren Bad Religion die ihre aktuelle Qualitätsstandards vorgebende Ausgangslage nach True North. Age of Unreason ist unter dieser Vorraussetzung also alleine insofern schon ein Erfolg, weil es die Bandgeschichte keineswegs redundant fortsetzt. Der Rest ist ein Triumphzug.
Selbst als eingefleischter Fan und trotz des tatsächlich herausragend gelungenen Destillats True North konnte man sich vorab allerdings nicht sicher sein, wie die Dinge bei der konsistentesten und wohl immer noch besten Punkrockband der Welt stehen würden. Weniger, weil sich mit knapp sechs Jahren die längste Pause zwischen zwei Studioalben bereitgemacht hatte, oder nach der wahrhaftig irgendwo final erscheinenden Kräftebündelung tatsächlich alles gesagt zu sein schien. Sondern vielmehr wegen The Kids Are Alt-Right – gefühltermaßen ist der Rohrkrepierer schließlich die eventuell schwächste Bad Religion-Single überhaupt und ließ berechtigte Sorgen um die Form und Relevanz von Bad Relegion aufkommen.
Wie sich nun herausstellt (und eigentlich bereits das die Perspektiven wieder gerade rückende The Profane Rights of Man vorab isoliert klarstellen hätte sollen) ist der impulsiv kalkulierte Ausreißer nun kein qualitativer Gradmesser für Age of Unreason, dass auf den vermeintlich idealen Schlusspunkt vielmehr einfach ein mindestens gleich gutes Kapitel dransetzt: Die Ära Trump will immerhin gebührend reflektiert werden.
Der Weg dorthin ist jedoch ein anderer als zuletzt. Wo True North rund um den Instant-Klassiker seines Titelstücks einige herausragende Highlights samt vielen guten Nummern und wenigen Schwächephasen versammelte, kurbelt Age of Unreason ohne explizit herausragende Übersongs einfach die allgemeine Qualität auf einem ausgewogeneren Niveau nach oben, reiht trotz eines höchstens minimal schwächer werdenden Schlussdrittels (weil dort das twistende Downfall zur Party klatscht und Since Now mit seiner penetranten Hook hibbelig drängt) ausnahmslos Material von bestechender Stärke in Form einer imposant-ausfallfreien Ohrwurm-Stafette aneinander. Alleine für Nummern wie das hingebungsvolle, von Graffin beinahe weich-fürsorglich intonierte My Sanity oder die wunderbar hymnisch aufgehende Dynamik von The Approach würden andere Bands morden.
Und sicher: Vieles davon ist per Definition vielleicht Bad Religion-Standard. Der aber wird auf Age of Unreason eben zumeist mit einer beinahe makellosen Perfektion bedient. Bad Religion spielen die Dinge mit sofort zündenden, zügigen Parade-Trademarks wie Chaos From Within (mit schwindelfreien Solo), Do the Paranoid Style, dem grandiosen Titelstück oder dem mit tollen Leads dienenden Old Regime einerseits praktisch gefahrlos und in geradezu traumwandelnder Sicherheit nach Hause. (Eine Vorgehensweise, die sich zwar schon die Feststellung gefallen lassen muss, weniger mit einem Gefühl der Euphorie zu entlassen, als vielmehr mit einer zutiefst erfüllenden Zufriedenheit. Es gehört allerdings eben durchaus einiges dazu, eine solche Souveränität wie hier zelebriert wird, niemals nach Routine klingen zu lassen).
Andererseits setzt die Band am Start des fünften Bandjahrzehntes ohnedies durchaus immer wieder (auch auf den Erstkontakt polarisieren könnende) Akzente, die das patentierte Erfolgsrezept zumindest im Ansatz dezent variieren. Lose Your Head praktiziert im Midtempo beispielsweise einen ungewohnt versöhnlichen Poppunk, während die Gangshouts in End of History trotz des rezitierenden Teilstücks vage ein surfendes Hardcore-Feeling wecken – ein ungestümes Ventil wie Faces of Grief würden dann in weiterer Folge wohl auch Rancid nicht ablehnen.
Mit einer deutlichen Öffnung für poppig-verdauliche Tendenzen und meist nur inhaltlich hart attackierender Momente sind derartige Konzentrationen aber weniger sinnbildlich für ein musikalisch erstaunlich versöhnlich und auch vergleichsweise milde ausgelegtes Werk, das Carlos de la Garza toll, aber manchmal zu nachsichtig produziert hat. Der folkige Akustik-Beginn in Candidate führt etwa ohne Augenzwinkern in schunkelnde Tenacious D-Gefilde und das stapfende Big Black Dog reklamiert sogar eine formatradiotaugliche Tanzbarkeit samt subtilem Kinderchor.
Die subjektiven Highlights wechseln in der Zugänglichkeit insofern ständig, wo ohnedies jeder neuen Durchgang unterstreicht, dass Bad Religion sich natürlich keineswegs neu erfunden haben, aber Age of Unreason dennoch seinen eigenen Charakter innerhalb der Diskografie trägt. Was auch daran liegt, dass Jamie Miller an den Drums nicht die furiose Dringlichkeit von Brooks Wackerman besitzt (bei der Gelegenheit: Wie bestialisch gut wäre ein Engagement von Jorma Vik gewesen?) und der erstmals durch Styler Mike Dimkich angetriebene Sound insofern ganz allgemein weniger bissig agiert. In der durchaus auch auf ihn zugeschnittenen Produktion klingt Greg Graffin dadurch stimmlich jedoch variabler und phasenweise auch besser als je zuvor, harmoniert entlang gewohnt stärker Texte mit den patentierten „oozing aahs“ unheimlich geschmeidig.
Überhaupt zeigt sich spätestens beim triumphalen Closer What Tomorrow Brings nicht nur, dass das noch laufende Jahrzehnt wirklich gut zu den das Momentum keineswegs überhastenden Veteranen von Bad Religion war – weswegen es letztendlich auch keine zwangsweise Entscheidung bräuchte, welche der beiden darin veröffentlichten Langspieler die überzeugendere ist. Sondern vor allem, dass diese Band auch nach 17 Alben noch etwas zu sagen hat. Insofern darf der Titel des Finales nach einer niemals nachlassenden Kaskade an süchtig machenden Hits durchaus vorwegnehmend verstanden werden: Age of Unreason fühlt sich keineswegs wie der Schlusspunkt einer Karriere an, sondern „nur“ wie ein weiterer triumphaler Zwischenstopp auf einer Karriere ohne Ablaufdatum.
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