Atoms for Peace – Amok
Mit seiner prominent besetzten Supergroup Atoms For Peace im Rücken setzt Thom Yorke dort an, wo er mit seinem Solodebüt ‚The Eraser‚ vor knapp sieben Jahren endgültig aus dem Schatten von Radiohead gewachsen ist: das Gefüge hinter ‚Amok‚ vertieft den angestammten Laptop-Pop des Ausnahmesängers, macht das heiß erwartete Debütalbum aber auch zu mehr als nur dessen ideal-ausformulierter Fortsetzung.
‚Amok‚ ist also das zu erwartende ‚The Eraser 2.0‚ geworden, das heiß erwaretete – kündigte sich ein Dokument des Zusammenschlusses von Yorke, Godrich, Flea und den anderen beiden Typen (namentlich Waronker und Refosco übrigens) doch bereits 2009 an. Auf dem falschen Fuß erwischen werden die nun endlich versammelten 45 Minuten nun jedoch kaum jemanden ernsthaft, der Yorkes Schaffen seit zumindest 2006 verfolgt hat: formvollendet (und eigentlich darf man durchaus behaupten: restlos perfektioniert) manifestiert das illustre Gespann dessen traumwandlerisches Gespür für kompliziert gedachte, aber unkompliziert funktionierende Melodien im digitalen Outfit nahe an allem, was der Radiohead-Vorstand in den letzten Jahren fabriziert oder zumindest für gut befunden hat. Für die optimalen Grundvoraussetzungen und Rahmenbedingungen sorgt einmal mehr der kongeniale Haus-und-Hof Produzent Nigel Godrich, welcher für Atoms for Peace vom „inoffiziellen sechsten Bandmitglied“ Radioheads zum akkreditierten Bandeckpunkt (als Gitarrist, Keyboard- und Synthie-Spieler) werden darf. Ehrensache natürlich, dass Stanley Donwood beim Artwork ein Wörtchen mitzureden hatte.
In dieser bereits makellos eingespielten Vertrautheit gedeihen sie, die so unverkennbaren musikalischen Gedankenkünste und kompositorischen Ideale des Vorzeige-Nerds Yorke; in einer für den grundsätzlich niemals Innovationen Scheuenden geradezu selbstreferenziellen Ausprägung. Wer nach Querverweisen zum bisherigen Schaffen des Engländers sucht, wird etwa schon beim Bandnamen beginnend fündig werden, musikalisch spätestens in der überragenden polyrhythmischen Afrobeat-Arbeit ‚Stuck Together Pieces‚, dort jene so typischen Unterwassergitarren von ‚The Eraser‚ und ‚In Rainbows‚ entdecken – und letztendlich den Titel des Dubstep-Jongleurs ‚Judge, Jury and Executioner‚ bis ‚Myxomatosis‚ als Archetypen des Tanzfieberausdrucks von Thom Yorke zurückverfolgen können. Wohin sich die erste Albumhälfte von ‚The King of Limbs‚ steigern hätte lassen – ‚Amok‚ führt es in aller Konsequenz vor. Bekannte Verhaltensmuster des 44 jährigen werden eben detailverliebt verschweißt und in die Tiefe getrieben – manifestieren sich somit aber auch näher an Burial, Four Tet, Flying Lotus und den sonstigen Vorreitern der elektronischen Szene mit klickernden und klackernden Beats, als sie sich an Radiohead orientieren. Atoms for Peace ist in Summe eben doch mehr die Summe seiner Teile, als die offenkundig-alleinige Soloshow Yorkes.
Tatsächlich tut sich vor allem abseits des omnipräsenten Vorstandes so einiges, der sich in der Rolle des melancholischen-melodiesüchtigen Zappelphilipp durch 9 Songs schwingt, während rund um ihn die Schaltkreise rotieren und die organischen Elemente Druck machen, ‚Amok‚ so zu jedem Zeitpunkt einen nachdrücklichen Pulsschlag verpassen. Schon die Vorabsingle ‚Default‚ führte nach dieser Prämisse bereits geschmackssicher vor, wie Tanzmusik klingen kann, zu der sich nur Roboter adäquat bewegen können („The Will is strong/ But the Flesh is Weak“ quasi), dazu der verspulte Beat dem alten Spezi Steven Ellison die glückseligen Freudentränen ins Gesicht getrieben haben muß und zumindest der Refrain den Song als astreinen Hit im Blade Runner-Universum auswieß. Die Band Atoms for Peace, sie klingdem folgend rhythmisch stets intensiv und zwingend, kontrolliert unter Strom und immanenten Groove stehend, mit viel Grips die zappelnde Hüfte ansprechend: still sitzen geht kaum, aber als Clubmusik etikettieren, wenn sich doch höchstens die Beine verknoten?
‚Amok‚ ist trotzdem eher auf eine unheimlich einnehmend schlaue Art berauschend, denn auf hochemotionale Weise berührend. Das unermüdliche Beatgerüst, es arbeitet dabei so vielschichtig wie vielleicht noch nie in der Konstellation Godrich/York. Im vergleichsweise zurückgelehnten ‚Reverse Running‚ scheinen zahlreiche verschiedene Drumspuren auf mehrerern Ebenen nebeneinander zu laufen – niemals aber konträr zueinander verstörend, sondern sich klug ergänzend. Auf ‚Amok‚ gibt es nach diesem Muster zahlreiche Dinge und Ideen zu entdecken, Schichten freizulegen. Überall passieren phrasierende Spielereien um die eigentlichen Songkonstruktionen herum, vor allem auch in der jedwede Sterilität vermeidenden, beinahe warmen Produktion, dem organischen Mix: das Debütalbum der ausgerufenen Supergroup, es ist eine Platte geworden, die sich am besten über Kopfhörer ergründen lässt.
Die hauptberuflichen Sessionmusiker aber vollwertigen Bandmitglieder Mauro Refosco (Percussion; bereits für David Byrne oder die Red Hot Chili Peppers aktiv) und Joey Waronker (Drums; bereits für Beck, R.E.M. oder Godrichs Ultraista) funktionieren in diesem entstehenden Rausch nahezu unscheinbar als kleine Rädchen im großen Ganzen; als Erfüllungsgehilfen, welche den Ursprung von Atoms for Peace als reine Bandunterstützung für den 2009 in den USA als Solomusiker tourenden York verdeutlichen – begnadete Handwerker im Dienste der Musik ohne obsessiven Geltungsdrang könnte man auch sagen. Der Einfluss des dritten großen Namens im Atoms for Peace-Bunde setzt seine Duftnoten freilich deutlich markanter: Red Hot Chili-Bassgott Flea drückt aus dem Hintergrund, wiederholt seine Rolle als stiller Virtuose vom Vorjahr bei Rocket Juice and The Moon (nun ist es also amtlich: alle Bands mit Flea-Beteiligung müssen einen fraglich coolen Namen tragen!) weitestgehend, setzt aber grundlegende Akzente so wohlüberlegt wie effektiv und absolut prägend.
Man nehme nur das hyperaktiven Szenario von ‚Before Your Very Eyes‚, diesem ständig wachsenden Wahnsinnsauftakt zwischen James Blake und Aphex Twin: ausgebremst auf der einen Seite von Yorke mit seinem sphärischen Gesang, befeuert von Michael Balzarys sexy Funkriff auf der anderen, welches die bald so dicht in den Song schiebenden Synthesizer ideal vorbereitet. Oder ‚Ingenue‚: das klingt mit seinem modulierten Tieftöner nach Trance und dem Jazzfreak . Im Hintergrund tröpfeln Hightech-Beats – trotz all der sorgfältigen Arrangements glaubt man nach diesen knapp fünf Minuten die breitgetretene Geschichte, ‚Amok‚ sei in einer nur dreitätigen Jamsession entstanden. ‚Dropped‚ ist dann solange Kraftwerk auf der Autobahn, bis der simple Raketenbasslauf einen zusätzlichen Tritt austeilt und die Sequencer zu funkeln beginnen. Und ‚Unless‚ mutiert gleich zu einer einzigen, an- und abschwellenden Hookline – ein Stammestanz in die digitale Psychedelik, welche sein ätherische Mantra formuliert: „I coud’nt care less‚.
Der ohne Burials ‚Untrue‚ wohl nie möglich gewesene Titelsong kommt mit seinem dezenten – und auf ‚Amok‚ generell erstaunlich unpopulär gesetzten – Piano noch am ehesten in die Nähe einer klassisch niederschmetternden Yorke-Ballade, bleibt dieser jedoch letztendlich doch auch meilenweit fern. ‚Amok‚ hat schlicht keinen Platz für Ausbrüche aus seinem Spannungsfeld zwischen Dubstep-Elementen und elegantem Elektropop in Form expliziter Ruhepole. Vermissen darf man diese natürlich, schlecht getan hätten sie dem dennoch abwechslungsreichen Albumfluß eventuell auch nicht, aber erwarten durfte man sie eigentlich ohnedies nur aufgrund der letztendlich falschen Erwartungshaltung, es mit einem neuerlichen Yorke-Soloalbum zu tun zu haben. Dass ‚Amok‚ dazu weniger von herausragenden Einzelsongs wie noch ‚The Eraser‚ lebt, sondern eher von seinem konzentrierten Gesamtgefüge, passt da nur ins Konzept.
Die prägenden Tugenden des designierten „Vorgängers“, sie werden eben nicht in alle Richtungen verfolgt – die sich anbietenden Auslegungen aber aufs fulminantes in neuen Strömungen vertieft und Dank der Aufstockung im agierenden Personal auch mit mehr Muskeln ausgestattet. Eine experimentelle Platte ist ‚Amok‚ dadurch zumindest ansatzweise geworden, eine für den Horizont der Beteiligten progressive oder gar mutige jedoch eher nicht. Was auch deswegen gar nicht unbedingt nötig ist, weil Atoms for Peace anstatt zu überraschen lieber erwartungsgemäß beliefern und damit doch zu begeistern wissen. ‚Amok‚ ist letztendlich wohl sogar nahe dran an der Perfektion seiner Intention, die letzten sieben Jahre nahtlos zusammenzufassen. „I’ve made my bed/ I’m lying in it“ singt Yorke. Auf dem Album, das eben unterm Strich doch auch ein bisschen mehr ist, als „nur“ die aktualisierte Version von ‚The Eraser‚.
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