At the Drive-In, Le Butcherettes [05.04.2016: Arena, Wien]
Daher Omar offensichtlich einen neuen Zugang zu den Songs von At The Drive-In gefunden hat, klappt es diesmal auch mit der funkensprühenden Reunion. Nach den mitunter verhalten aufgenommenen 2012er-Konzerten melden die Post Hardcore-Götter deswegen sogar mit Ambitionen auf eine längerfristige Zusammenarbeit zurück. Knapp eineinhalb Stunden in der Arena unterstreichen, dass dies trotz eines markanten Schönheitsfehlers keine halbgare Idee sein könnte.
Mit geschlossenen Augen wirbelt Omar Alfredo Rodríguez-López über das Griffbrett seiner Gitarre, zuckt immer wieder wie in alten Zeiten über die Bühne, experimentiert aber exzessiver denn je um die Kompositionen von At The Drive-In, schickt sie mit proggiger Weite und wie in Trance auf Reisen und jagt selbst dann spacige Loops durch die Anlage, wenn Cedric Bixler-Zavala im Plausch mit dem Publikum erfundene Geschichten aus dem Bandnähkästchen zum besten gibt.
Spaß am Verfremden, am Attackieren, am Vorauseilen und Ausdehnen hatte der kaum zu bändigende Omar immer schon, dennoch geht er mittlerweile noch freizügiger mit Songs um, zu denen er vor wenigen Jahren keinerlei Beziehung mehr zu haben glaubte, verwehrt ihnen noch weniger das dezente Umkippen in den launigen Jamaspekt (der nicht nur für The Mars Volta-Verhältnisse freilich immer noch als enorm kompakte Aufarbeitung durchgehen würde). Wahrscheinlich ist dies der Punkt, über den Omar wider Erwarten wieder die nötige Portion Enthusiasmus in den beinahe zwei Dekaden alten Nummern seiner ersten Band gefunden hat, um den nunmehrigen Konzerten im Gegensatz zu der ersten Rückkehr von At the Drive-In das Feuer und die dringliche Leidenschaft injizieren – ein Punkt, der der neuerlichen Reunion der texanischen Legende allerorts (berechtigterweise, wie sich zeigen wird) begeisterte Besprechungen beschert.
Offenbar nicht zu begeistern war (wie zu befürchten) das von den Comeback-News überraschte Gründungsmitglied Jim Ward (was der ganzen Angelegenheit durchaus einen fahlen Beigeschmack verleiht).
Dessen Stelle füllt nun interessanterweise ausgerechnet Sparta-Gitarrist Keeley Davis aus, der erst 2005 zur Band von Ward und Tony Hajjar gestoßen war, nachdem Paul Hinojos zu den seinerzeit regelrecht verfeindeten The Mars Volta um Rodríguez-López und Bixler-Zavala gewechselt war.
Dass Ward in diesem Bandgeflecht nun fehlt, macht sich auf der Bühne jedoch objektiv wohl nur bedingt bemerkbar – primär dann, wenn der ehemalige Engine Down–Frontmann Davis die Backingvocals wie in ‚Sleepwalk Capsules‚ alleine stemmt und seine galligere Sttimmfärbung die Abweichung von Ward’s Organ offenbart. Wenigstens ein bisschen Charakteristik geht da allerdings schon verloren.
Ansonsten legt Ersatzmann Davis seinen Job aber genauso songdienlich und zurückhaltend aus, wie Ward dies tat – wie die klassische Rollenverteilung bei At The Drive-In ohnedies beibehalten wurde: Der Hüne Hinjos gibt stoisch den Groover im Hintergrund, Hajjar den präzise Druck machenden Antreiber, der live unterstreicht, was für ein exzellenter, kraftvoller Drummer er doch ist.
Die im Mittelpunkt stehende Afro-Connection wirbelt davor in unermüdlicher Energie über die Bühne, auch wenn der schiere Wahnsinn der Live-Intensität von vor dem Clash 2001 in seiner drogenschäumenden Schonungslosigkeit und bis heute beispiellosen Intensität natürlich nicht reproduzierbar ist.
Cedric gibt dennoch immer noch den unberechenbaren Springteufel im aufgekratzt im Kreis marschierenden Ringelspiel mit sich, über Kisten gelegt, das Mikro durch die Luft kickend, seinen Kopf hinter Vorhängen verhüllend oder (gar (un)freiwillig komisch wirkend) aus einer Box heraus performend. Bisweilen mutet dies jedoch auch an, als würde er in steter Überlegung daran über die Bühne wüten, welche Aktionen das nächste Motiv für all die Handyfotografen im Publikum abgeben könnte. (Eine Unterstellung, die jedoch wohl eher im seit den frühen 200ern geänderten Konzertverhalten seitens des Publikums ihren Ursprung hat).
Dazu ist die Bürde der Erwartungshaltung eben auch die Crux bei derartigen Comeback-Konzerten. Zumal At The Drive-In von der schwer auf ‚Relationship of Command‚ bauenden Setliste beginnend einerseits viel daran setzen mehr oder minder direkt an das erste Bandende anzuknüpfen (siehe etwa die Tagesordnung wenige Tage vor dem Split), andererseits aber eben schlau genug sind, sich in ihrem Auftreten und der Performance nicht entsprechenden Modifikationen zu verschließen.
Neu sind abseits von Omars relativer Prog-Perspektive auf den rauschhaften Songfluss vor allem Details. Wie etwa, dass Hajjar nun mit eigens designten (und signierten) Sticks spielt, Cedric neben Teetasse im Hintergrund den Boden um den (immer wieder zweckentfremdet durch die Gegend geworfenen Mikroständer) mit Spickzetteln zugekleistert hat, dafür aber mittlerweile abseits der verstärkten Melodica auf sein Minikeyboard samt Stimmverfremder vollends verzichtet.
Oder, dass At the Drive-In nicht nur einen Luftbefeuchter mitgebracht haben, sondern auch in genormter Kleidung inklusive neuem Bandsymbol auftreten – der demonstrierte Einheitsgedanke findet abseits davon auf der Bühne aber in erster Linie weiterhin nur in Form von Interaktionen zwischen Omar und Cedric statt.
Den Sinn für Ästhetik haben die beiden insofern wohl nicht nur soundtechnisch zu gewissen Teilen von in ihre alten Band The Mars Volta herübergerettet. Vielleicht sind ja deswegen auch mittlerweile Aktionen wie Crowdsurfen gestattet, während sich die Menge immer wieder zu einem aufkochenden Pit aufstachelt – war ja auch nicht immer so. Dass die Band zwischen der Bühne und dem von der ersten Sekunde an ausgelassen involvierten Publikum ein Trittgitter hat anbringen lassen, wirkt dennoch schaumbremsender als der Kameramann, der aus diesem Sicherheitsabstand heraus den gesamten Abend filmt.
Auch wenn grundsätzlich zu bezweifeln ist, dass sich die in der rappelvollen Arena zelebrierte Lust am (jederzeit explosiv zupackenden, aber gar nicht unbedingt aggressiven austickenden) Posthardcore in all ihrer Intensität überhaupt adäquat in Bild und Ton konservieren und einfangen lässt – was für At The Drive-In ebenso gilt wie die Vorband Le Butcherettes.
Dass man deren Auftritte besser nicht verpasst hat sich noch nicht überall herumgesprochen. Weswegen sich die Arena nur langsam aber stetig füllt, als Rodríguez-López‘ Freundin und Bosnian Rainbows-Kollegin Terry Gender Bender pünktlich in rotem Tüll die Bühne entert und mit ihrer Band (aktuell hat sie mit Basser Riko Rodríguez-López und Drummer Chris Common ein bärenstarkes Doppel im Rücken!) zwischen Garage, Hardrock und Wave eine manisch exaltierte Performance (notfalls in nur einem Stöckelschuh) der Extraklasse abliefert, die nicht nur Cedric am Bühnenrand zu beeindrucken scheint: Wer die ideale Schnittmenge aus alten Yeah Yeah Yeahs, einer besseren Juliette Lewis, Björk im Punkmodus oder Iggy in lasziv-weiblich sucht, der hat Le Butcherettes spätestens jetzt auf der Rechnung.
So grandios der Abend damit bereits beginnt, so fulminant endet er schließlich auch – wenn At the Drive-In mit jedem Song zwingender werden, der eigenen Legende mühelos standgehalten und ein ohne jedwede Nostalgie auskommendes Feuerwerk abgebrannt haben.
Daher nahezu komplett das vollständige ‚Relationship of Command‚ gespielt wird, regnet es von ‚Arcarsenal‚ und ‚Pattern Against User‚ bis zum unhaltbar gefeierten Schlusspunkt ‚One Armed Scissor‚ praktisch Hits am Laufband – nicht nur beim hymnischen ‚Invalid Litter Dept.‚ zeigt sich das Ü30-Publikum dabei enorm textsicher und euphorisch. Auch die drei ‚Vaya‚-Songs ‚300 Mhz‚, ‚Proxima Centauri‚ und ‚Ursa Minor‚ sitzen perfekt und fügen sich weitestgehend ohne erkennbaren Spannungsabfall in den stets nach vorne ziehenden Reigen.
‚In Casino Out‚ kommt dagegen zwar deutlich zu kurz, was aber ansatzweise zu verschmerzen ist: ‚Lopsided‚ und das im Gegensatz zu Berlin wieder gespielte, unsterblich schöne ‚Napoleon Solo‚ (Cedric betont, wie viele Beerdigungen die Band in ihrer Heimat während dieser Tour verpasst) stellen dann nämlich als heimliche Highlights die verhältnismäßigen Ruhepole in einer atemlos zelebrierten Punkrock-Abfahrt da. Die als schweißtreibende Standortbestimmung eben die nicht nur Vergangenes aufarbeitet, sondern auch potentiell die Weichen für Neues abtastet – ohne deswegen aber Material von dem bereits in Aussicht gestellten Comebackwerk zu präsentieren. Entgegen der dynamischen Getriebenheit auf der Bühne überstürzen At the Drive-In tonträgertechnisch vorerst also nicht.
Dass Cedric – bevor die Band nach superknackig rausgehauenen knapp eineinhalb Stunden ohne jede Zugabe von der Bühne marschiert (alleine dafür muß man At the Drive-In lieben – übertrieben teure Kartenpreise hin oder her!) – hoffnungsvoll in Aussicht stellt, dass das Quintett wiederzukommen gedenke, ist insofern eine durchaus verlockende Nachricht: Zumindest auf Konzertebene funktionieren At the Drive-In anstandslos, haben ganz offensichtlich wieder ansteckenden Spaß am gemeinsamen Spiel gefunden und lassen trotz fortgeschrittenem Alter im schweißtreibenden Husarenritt keine Anzeichen erkennen, sich im Sonnenschein des eigenen Ausnahmestatus auszuruhen: This Station Is Operational!
Ob man einer neuen Studioplatte ohne die Beteiligung und den Einfluss von Jim Ward wirklich optimistisch entgegen blicken darf und sollte ist da ein anderes Thema, für den Moment aber ohnedies egal – begeistern At the Drive-In doch erst einmal mit einer Show, die mindestens alle Erwartungen erfüllt und in seinen besten Momenten gar gut 15 Jahre alte Fanträume stemmt.
Setlist:
Arcarsenal
Pattern Against User
Sleepwalk Capsules
300 MHz
Proxima Centauri
Lopsided
Invalid Litter Dept.
Enfilade
Ursa Minor
Cosmonaut
Quarantined
Catacombs
Napoleon Solo
One Armed Scissor
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